Michael Schenk

Die Pferdelords 09 - Die Nachtläufer des Todes


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wir nicht mit in unsere Stadt nehmen, die finden den Tod.“

      Sebor-Mann, der schon einige Male in der Stadt der Frauen gewesen war, trat heran und legte Gelbat-Mann die Hand auf die Schulter. „Die Übereinkunft gibt uns Pflichten, ebenso wie den Frauen. Ohne unseren Samen gibt es keine Knaben und keine Mädchen mehr. Daher dulden die Frauen uns zweimal in jeder Jahreswende in ihrem Land. Einmal, damit sie unseren Samen empfangen können, und ein zweites Mal, damit wir die Knaben abholen. Diese Übereinkunft besteht seit vielen, sehr vielen Jahreswenden, und sie hat sich bewährt.“

      „Ich weiß, ich wurde als Bulle erwählt“, seufzte Gelbat-Mann, „doch ich weiß nicht einmal, was ich tun muss, damit … damit …“

      Sebor-Mann lächelte sanft. „Das fügt sich. So hat es die Natur eingerichtet.“

      Herdur-Mann räusperte sich. „Du musst an deine Aufgabe unserem Volk gegenüber denken. Die Männer zählen auf Bullen wie dich. Es mag dich Überwindung kosten, zwischen die Schenkel eines verdammten Weibes zu rutschen, doch du musst dein Bestes geben.“

      „Es ist ekelhaft“, murmelte einer der anderen Männer. „Und doch auf eine merkwürdige Weise auch angenehm.“

      „Wäre es nicht so, könntest du den Weibern deinen Samen nicht spritzen.“ Der Anführer legte die Hand um den Griff seines Kurzschwertes. „Und jetzt genug geschwätzt. Dort vorne ist die Brücke.“

      „Ihr Anblick jagt mir immer wieder einen Schauer über den Rücken“, raunte einer von ihnen. „Dahinter beginnt das Frauenland.“

      „Es ist nicht anders als das unsere“, knurrte Herdur-Mann. „Nur dass die Weiber es bewohnen und dort keine Männer leben.“

      Es war eine Bogenbrücke, die den Fluss überspannte. Ihre Konstruktion wirkte massiv, und die vier gemauerten Stützen im Fluss schienen ihr Gewicht kaum tragen zu können. Dennoch war sie keineswegs grob gefertigt. Sie stammte noch aus den Tagen des Königreiches von Julinaash und zeigte in verwitterten Reliefs die Gesichter lange vergangener Krieger. Von der Mitte des Flusses an, dort wo das Reich der Frauen begann, waren die männlichen Gesichtszüge mit groben Hammerschlägen unkenntlich gemacht worden. Ein Anblick, der in Herdur-Mann immer wieder Zorn hervorrief.

      „Halt!“ Aus einem kleinen Gebäude am diesseitigen Aufgang der Brücke traten drei Männer hervor. Ihre Hände lagen griffbereit an den Schwertern.

      Herdur-Mann verdrehte die Augen und seufzte theatralisch. „Wir sind keine Weiber, das seht ihr doch, oder tragen wir Drüsen vor uns her? Lasst also eure Klingen stecken und gebt uns den Weg frei.“

      „Ah, die Bullen.“ Der Wachführer sah die Gruppe mitfühlend an. „Dann ist es also wieder so weit. So sehr ich euch auch bedauere, so bin ich doch froh euch zu sehen.“

      „Hattest du Angst, wir kämen nicht, und du müsstest den Weibern selbst als Bulle dienen?“

      Der Wachführer grinste niederträchtig. „Da kann ein tapferer Krieger schon Angst bekommen oder nicht? Nein, euer Erscheinen zeigt mir, das unsere Wachablösung in drei Tageswenden eintreffen wird. Ich habe genug von der Kälte, die dieser Fluss ausstrahlt, und von der Feindseligkeit, mit der die Hüterinnen zu unserem Ufer sehen.“

      Herdur-Mann nickte. „Du musst nur ihre Blicke aushalten, doch wir müssen ihre Berührungen ertragen. Sie werden uns wieder nach versteckten Waffen durchsuchen.“ Er sah die fünfzig Männer seiner Gruppe an. „Schnallt eure Schwerter ab und vergewissert euch, dass keine Waffe in eurem Besitz verbleibt. Auch kein noch so kleines Messer. Die verfluchten Hüterinnen würden jeden Vorwand nutzen, um einen von uns abzustechen.“

      Die drei Wachen nahmen die Waffen entgegen und trugen sie in das Gebäude, um sie dort sorgfältig zu verwahren.

      Herdur-Mann packte Gelbat-Mann am Arm und zog ihn zum Eingang. Er deutete in den Raum hinein. Dort war das Mobiliar der Wachmannschaft zu erkennen und ein großes Regal, in welches die Schwerter gelegt wurden. „Siehst du dort die Schwerter, Jungbulle? Sie stammen von Männern, die in die Stadt der Frauen gingen, um ihre Pflicht zu erfüllen. Aber sie kehrten nie zurück. Sie machten einen Fehler. Niemand von uns hat je erfahren, was sich zugetragen hat, die Bullen verschwanden spurlos. Vielleicht haben die Frauen einfach nur die günstige Gelegenheit genutzt, ihre Mordlust auszuleben. Gib ihnen also keinen Anlass, Gelbat-Mann, halte dich an die Übereinkunft und kehre mit uns ins Land der Männer zurück.“ Herdur-Mann räusperte sich. „Und tue deine verdammte Pflicht.“

      Für die fünfzig auserwählten Männer war es ungewohnt, die Kurzschwerter abzulegen. Der Dschungel jenseits des Flusses war ebenso gefährlich wie der auf dieser Seite. Aber die Übereinkunft ließ ihnen keine Wahl. Kein Mann durfte die Brücke bewaffnet überqueren, und dies galt umgekehrt auch für die Frauen.

      „Haltet euch in der Mitte der Brücke und geht nicht zu dicht an das Geländer“, riet eine der Wachen. „Es treibt sich ein Dorm unter der Brücke herum, und gestern hat er versucht, einen von uns mit seinen Tentakeln zu packen.“

      „Wir werden es beherzigen.“ Herdur-Mann musterte seine Gruppe. „Jenseits der Brücke beginnt das Land der Frauen. Verbergt euren Ekel und reizt die verfluchten Weiber nicht. Wir begeben uns nicht nur zwischen ihre Schenkel, sondern auch unter die Klingen ihrer Langmesser. Seid vor allem bei den Hüterinnen vorsichtig. Sie sind auf Blut aus und Stolz darauf, nie einen Mann bei sich geduldet zu haben.“

      „Sie werden gebührend hässlich sein“, scherzte einer der Männer.

      Herdur-Mann schnellte vor und packte den erschrockenen Mann am Hals. „In ihrem Inneren sind die Weiber alle hässlich, Bulle. Lass dich niemals von einem glatten Antlitz täuschen. Sie dulden uns zur Bullenzeit und zur Abholung der Knaben, zu jeder anderen Tageswende schneiden sie uns vergnügt den Hals durch.“ Er grinste. „Was auf Gegenseitigkeit beruht.“

      „Es lebe der König“, raunte ein Bulle.

      Herdur-Mann sah ihn kalt an. „Die Zeit des Königs ist lange vorbei. Der Ruhm Julinaashs ist vergangen. Jetzt hausen Frauen in dem alten Palast und haben die Statuen der Krieger entweiht. Nehmt es hin und ertragt die Schande, eine Frau bedecken zu müssen. Uns bleibt keine Wahl, ebenso wenig wie den Frauen. Wir brauchen Kinder, wir brauchen unsere San, sonst wird das Land endgültig in Vergessenheit versinken.“

      Der narbige Krieger übernahm die Spitze, und die Gruppe der fünfzig betrat die alte Brücke. Hinter ihm folgte Sebor-Mann, der schon mehrmals im Land der Frauen gewesen war, und der unerfahrene Gelbat-Mann schloss sich ihm instinktiv an. Im Gegensatz zu Herdur-Mann schien Sebor-Mann weitaus beherrschter und strahlte eine Ruhe aus, die dem jungen Mann Zuversicht einflößte. Eine Zuversicht, die er dringend benötigte, denn er kannte Frauen nur aus den Schilderungen der anderen Männer und wusste nicht, ob er ihren Anblick ertragen würde.

      Gelbat-Mann war neugierig und trat näher an das Brückengeländer. Erschrocken zuckte er zurück, als prompt die gescheckten Tentakel eines Dorm aus dem Wasser zuckten und gierig in seine Richtung peitschten.

      Sebor-Mann konnte ihn gerade noch zurückzerren und sah ihn strafend an. „Hör auf die Worte, die man dir sagt. Wenn der Dorm dich gepackt hätte, dann wärst du ebenso sicher tot, als wenn du einen Fehler bei den Frauen machst. Richte dich nach den erfahrenen Männern, und du kannst überleben.“

      Gelbat-Mann sah den Älteren in einer Mischung aus Dankbarkeit und Schauder an. „Ich habe noch nie einen Dorm aus der Nähe gesehen. Und auch keine Frau“, fügte er rasch hinzu.

      „Nun, das wird sich jetzt ändern“, versicherte Sebor-Mann lächelnd und wies zum anderen Ende der Brücke. „Dort kommen die Hüterinnen. Verhalte dich ruhig und denke an die Übereinkunft.“

      Eine Gruppe von Frauen wurde sichtbar. Es waren um die Zwanzig, und sie alle waren in die knielangen eng anliegenden Gewänder gehüllt, die in Julinaash von beiden Geschlechtern getragen wurden. Die bauschigen Ärmel schlossen eng um die Handgelenke, ein kurzer Stehkragen hob sich in intensivem Rot von dem zarten Beige des übrigen Bekleidungsstückes ab. Um die Hüften lag ein geflochtener Gurt, von dem mehrere kleine Taschen und die Scheide eines langen