Michael Schenk

Die Pferdelords 09 - Die Nachtläufer des Todes


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anderen Bewohnerinnen vor Raubtieren und giftigen Dschungelbewohnern zu schützen.

      „Die Stadt ist verkommen wie alles, was in ihr haust“, raunte Herdur-Mann. „Die Frauen lassen sie verfallen.“

      Sebor-Mann hatte die Bemerkung gehört und schüttelte unmerklich den Kopf. „Ich glaube eher, dass sie nicht die Kraft haben, sich dem Dschungel zu widersetzen.“

      „Dann sollen sie es wie wir machen“, knurrte der narbige Krieger. „Den Dschungel verbrennen, wenn er sich zu weit vorwagt. Aber wahrscheinlich könnten die Weiber die Flammen nicht beherrschen.“ Er lachte. „Wahrscheinlich würden sie eher ihre verdammte Stadt niederbrennen.“

      Sie verstummten, als eine Hüterin sie mit scharfem Blick musterte und dann stumm mit dem Blasrohr zur Stadt hinunterzeigte.

      Unter der strengen Obhut der Frauen marschierte die Gruppe die Straße entlang und näherte sich bald dem Haupttor Julinaars. Die beiden Statuen des letzten Königs und seiner Gemahlin, rechts und links des Tores, waren zerschlagen worden. Für die Frauen der Stadt war die frühere Königin eine Verräterin, die sich bereitwillig dem Mann hingegeben hatte, der für die Unterdrückung und das Elend von Julinaash verantwortlich gewesen war.

      Die Hüterinnen der Torwache winkten der Gruppe zu und machten anzügliche Bemerkungen, die von den Männern ignoriert wurden. Sie wussten, dass man sie provozieren wollte, um einen Vorwand zu finden, sie zu töten. Auf dem kleinen Platz jenseits des Tores wartete eine weitere Gruppe Wachen gemeinsam mit jenen fünfzig Frauen, die zur Empfängnis ausgewählt worden waren. Die wenigsten von ihnen zeigten ein freundliches Gesicht. Den meisten war die Übereinkunft eine ebenso lästige wie notwendige Pflicht, um das Überleben Julinaashs zu sichern.

      Die Anführerin der Eskorte gab ein Kommando, und die Gruppe verharrte. Das Geraune, welches sich beim Anblick der Männer unter den Frauen erhoben hatte, verstummte nun und machte gespannter Erwartung Platz.

      Herdur-Mann stieß Sebor-Mann unmerklich an. „Ich kann diese Elian-Frau erkennen, die du schon oft bestiegen hast. Seltsam, sie sollte eigentlich genug haben.“ Er grinste Sebor-Mann an. „Scheinbar schätzt sie deine Fähigkeit als Bulle.“

      „Mag sein“, murmelte Sebor-Mann, ohne eine Miene zu verziehen. „Sie ist immerhin erträglich.“

      „Dann hast du Glück, mein Freund. Wenn ich meine Pflicht erfülle, starrt man mich an, als sei ich dabei, die Frau zu erwürgen.“ Herdur-Mann zuckte die Schultern. „Man muss wahrhaftig an etwas Schönes denken, sonst gibt es keinen Samen und keinen Nachwuchs.“

      „Jene, die erwählt wurden oder die Last der Empfängnis freiwillig auf sich nehmen, sie mögen nun die Wahl ihres Schmerzes treffen.“ Die Anführerin der Hüterinnen gab den anderen Wachen einen Wink, und die Bewaffneten traten zurück. „Vor jeder Tür, hinter der die Übereinkunft erfüllt wird, steht eine Hüterin bereit, um über euch zu wachen. Bei Sonnenaufgang werden die Männer wieder aus der Stadt geführt. Trefft eure Wahl, Dienerinnen des Volkes, mit dem Segen unserer Kronenträgerin.“

      Einige Frauen traten rasch zu den Männern und trafen ihre Wahl. Es war wohl weniger die Erwartung der Empfängnis als vielmehr der Wunsch, es rasch hinter sich zu bringen. Andere zögerten und mussten mit jenen Bullen vorliebnehmen, die noch keine Frau gefunden hatten.

      Sebor-Mann wurde, wie Herdur-Mann nicht anders erwartet hatte, von Elian-Frau erwählt.

      „Du musst sie hart stoßen“, riet der narbige Krieger, „damit sie dich endlich in Ruhe lässt. Oder findet sie etwa Gefallen an dir?“

      „Red nicht so einen Unsinn“, brummte Sebor-Mann. „Ich tue meine Pflicht und du tu die deine. Bei Sonnenaufgang sehen wir uns wieder.“

      Elian-Frau war eine schlanke und zierlich wirkende Person mit schwarzem Haar, das sie offen trug und das ihr bis zu den Schenkeln reichte. Sie musterte Sebor-Mann und nickte schließlich. „Gut, Bulle, bringen wir es hinter uns.“

      Elian-Frau ging voraus, gefolgt von Sebor-Mann und einer aufmerksamen Hüterin, die darauf achten würde, dass der Frau kein Leid geschah. Wenigstens keines, das nicht durch die Übereinkunft vorbestimmt war.

      Der Anblick eines Mannes innerhalb der Stadt war, trotz der alljährlichen Übereinkunft, ein seltenes Ereignis. Frauen und Mädchen traten aus den Häusern, und ihre Blicke folgten der Dreiergruppe, begleitet von Getuschel. Manchmal ertönten Spottrufe gegen den Mann, andere sprachen Elian-Frau Mut zu und wünschten ihr, dass die Kronenträgerin ihr beistehen möge. Sebor-Mann war dies bereits gewohnt und fragte sich unwillkürlich, wie sich der unerfahrene Gelbat-Mann wohl fühlen mochte. Hoffentlich machte der keinen Fehler. Die Hüterinnen waren begierig, die Schärfe ihrer langen Messer an einem Mann zu erproben.

      Sie erreichten ein Haus, an dessen Eingang ein gelbes Tuch davor warnte, dass in dieser Nacht ein Mann anwesend sein würde. Die Hüterin nickte Elian-Frau ermunternd zu. „Ich werde die ganze Nacht wachen. Beim geringsten Laut werde ich dir beistehen.“

      „Dafür sei bedankt“, erwiderte die Schwarzhaarige. „Ich weiß es zu schätzen.“

      Elian-Frau und Sebor-Mann traten durch die Tür, die hinter ihnen in den Riegel fiel.

      Für einen Moment standen beide schweigend und unbewegt in dem angrenzenden Raum. Dann, fast verstohlen, berührte Elian-Frau die Hand des Mannes. „Ich habe dich vermisst, Sebor-Mann.“

      Er erwiderte den sanften Druck. „Ich habe dich ebenfalls vermisst.“

      Die Berührung wurde fester und verlor an Unsicherheit. Ihre Blicke glitten zu der verschlossenen Tür, doch die Hüterin konnte weder sehen noch hören, was in diesem Raum geschah.

      „Fast eine Jahreswende ist vergangen“, seufzte Sebor-Mann und schloss sie zärtlich in seine Arme. „Eine schrecklich lange Zeit. Ich habe den sanften Blick deiner Augen vermisst.“

      „Und ich die sanfte Berührung deiner Hände.“

      Ihre Lippen fanden sich. Zögernd, dann voller Leidenschaft. Erneut glitten ihre besorgten Blicke zur Tür, als sie sich voneinander lösten.

      „Wir müssen in deine Kammer gehen“, meinte Sebor-Mann. „Wenn die Hüterin überraschend hereinsieht und uns so entdeckt, dann sind wir des Todes.“

      „Du hast Recht, doch ich hatte solche Sehnsucht nach dir.“

      Hand in Hand gingen sie zu Elian-Fraus Wohnräumen. „Ich wollte, du könntest unsere Tochter sehen“, sagte sie wehmütig. „Sia-san-Frau ist nun zwei Jahreswenden alt und entwickelt sich prachtvoll. Sie hat deine wundervollen Augen. Aber du weißt ja, die Hüterinnen achten darauf, dass ein Kind niemals mit dem Anblick des Vaters konfrontiert wird. Es soll nicht leiden.“

      „Wer denkt an mein Leid?“, knurrte Sebor-Mann. „Ich habe unsere Tochter nie zu Gesicht bekommen.“

      „Ich weiß. Ich wollte, es wäre anders.“ Elian-Frau streichelte über seine Wange. „Diese Übereinkunft ist ein schreckliches Verbrechen gegen unsere Liebe.“

      „Der Hass sitzt tief.“ Er strich über ihr langes Haar. „Obwohl ich glaube, dass die meisten seine Wurzeln nicht mehr kennen. Die Knaben werden darin erzogen, die Frauen zu verachten, und für die Mädchen gilt es umgekehrt.“ Er lächelte. „Es ist ein Wunder, dass wir beide dies überwinden konnten.“

      „Es wäre auch anderen möglich“, fand sie. „Wenn die Augen der Hüterinnen nicht so wachsam wären.“

      „Eines Tages werden wir unsere Liebe vielleicht auch anderen gegenüber zeigen können.“

      „Vielleicht. Eines Tages.“ Sie zog ihn zum Bett hinüber. „Doch heute bleibt uns nur die Zeit bis zum Sonnenaufgang.“

      „Dann werde wir sie nutzen“, versicherte er ihr.

      Draußen lehnte die Hüterin gelangweilt an der Hauswand. Hätte sie geahnt, dass sich hinter ihrem Rücken ein liebendes Paar vereinte, so wäre sie mit gezücktem Messer hineingeeilt. Liebe zwischen den Geschlechtern war nicht erwünscht im Reiche von Julinaash.