stützen. Ich schaffe es auch ein paar Zentimeter, dann verlässt mich die Kraft, ich sacke sofort wieder nach unten. So geht es nicht. Ich drehe mich auf den Rücken. Ich ziehe mit beiden Händen den linken Fuß so weit es geht Richtung Gesäß, dann den rechten. Ich kontrolliere, ob beide Fußsohlen auf der Matratze aufliegen, hole einmal tief Luft und hebe probeweise das Gesäß. So müsste es gehen. Ich nehme mit beiden Händen den Hosenbund, konzentriere mich, hebe das Gesäß und ziehe blitzschnell die Hose nach oben. Mit meiner stärkeren linken Hand bekomme ich die Hose bis über die Hüfte, die rechte Hand ist zu schwach, die Hose rutscht zwischen den Fingern durch. Trotzdem, die Aufgabe ist zu 50% geschafft, ich weiß jetzt, wie es geht. Nach einer kurzen Verschnaufpause greife ich mit der linken Hand nach unten, hebe das Gesäß und reiße die Hose nach oben. Geschafft, japsend, aber stolz falle ich auf den Rücken.
»Haben Sie noch Kraft für das T-Shirt, oder soll ich Ihnen helfen?«
»Ich schaffe das schon, geben Sie mir nur noch eine Minute zur Erholung.«
Ich nehme meine Beine, drehe sie zur Seite und lasse sie über die linke Bettkante fallen. Dann stütze ich mich auf, bis ich sitze. Ich nehme das Leibchen und ziehe es über den Kopf. Ich stecke die linke Hand durch das Ärmelloch, dann die rechte. Das Leibchen sitzt bis zu den Brustwarzen, bildet dort einen Wulst. Ich greife nach oben und will es über den Bauch nach unten ziehen. Ich kann zwar den Stoff greifen, aber nicht anziehen, rutsche mit den Fingern immer wieder ab.
»Das gibt es nicht. Das ist ja nicht einmal eng, warum kann ich es nicht nach unten ziehen?«
»Sie haben noch immer zu wenig Kraft in den Fingern. Das ist ein bekanntes Phänomen bei Verletzungen, wie Sie sie haben.«
Ich ziehe nochmal, dann habe ich den Trick gefunden. Ich greife mit beiden Händen nebeneinander zur linken Brustseite, ziehe ein Stück, greife nach rechts, ziehe ein Stück, greife wieder nach links. Am Ende habe ich das T-Shirt wirklich und wahrhaftig angezogen. Erschöpft lasse ich mich nach hinten kippen. Ich liege im Bett und schnappe nach Luft.
»Gratuliere«, sagt Susanne. »Ich komme morgen zur Sicherheit noch einmal, ab dann brauchen Sie mich wahrscheinlich nicht mehr. Und Sie werden sehen, morgen brauchen Sie auch keine halbe Stunde mehr, jetzt wissen Sie ja, wie es geht.«
Ich bin baff. 30 Minuten um eine Trainingshose und ein Leibchen anzuziehen. In die Schuhe hilft mir eine Pflegeassistentin.
Der Zivildiener bringt einen neuen Therapieplan. Ich bin von 14:00 bis 15:00 zum Rollstuhltraining eingeteilt.
»Ich brauche kein Rollstuhltraining, ich will gehen, ich werde nicht mit einem Rollstuhl fahren«, sage ich zu Matthias, der mir das Frühstück macht.
Er schaut mich an.
»Ich hoffe für Sie, dass Sie wieder gehen werden, aber realistisch ist, dass Sie in der nächsten Zeit mit dem Rollstuhl fahren werden.«
»Ja, so einen ähnlichen Satz habe ich schon einmal gehört. Okay, hier im Haus. Aber ich werde niemals zu Hause mit einem Rollstuhl fahren. Ich werde ganz sicher gehen.«
Matthias wechselt übergangslos ins »Du«.
»Ich glaube es dir, aber sei gescheit. Mit dem Rollstuhl kommst du erstens ins Freie und zweitens machst du was für deinen Oberkörper, die Arme und deinen Rumpf und das ist ganz wichtig, wenn du dann einmal gehst.«
Ganz bin ich nicht überzeugt, beschließe aber, mir das einmal anzusehen. Um 14:00 komme ich zum Treffpunkt, ein paar andere Patienten warten schon, mit einigen Minuten Verspätung trudelt Angelo, der Sporttherapeut, ein. Er begrüßt mich und fragt mich nach meiner Verletzung.
»Ich habe vor ungefähr einem Monat einen Unfall gehabt und mir dabei das Rückenmark gequetscht.«
»Andere Verletzungen auch?«
»Nein, nur das Rückenmark gequetscht.«
»Auf welcher Höhe?«
»Keine Ahnung«, sage ich.
»Sie werden doch wissen, bei welchem Wirbel Sie die Quetschung haben?«
»Nein, das ist mir auch egal, mich interessiert nicht die Verletzung, mich interessiert nur, dass ich wieder gesund werde.«
Kopfschüttelnd geht Angelo zu einem anderen Patienten. Ich überlege kurz, ob mir das nicht peinlich sein sollte, ich habe wirklich keine Ahnung über die Details meiner Verletzung, mir fällt ein, dass ich auch noch keine Sekunde darüber nachgedacht habe oder einen Arzt gefragt habe. Ich bin so fokussiert aufs Gesundwerden, dass ich die Verletzung komplett verdrängt habe.
Schließlich sind alle Patienten anwesend, wir rollen ins Freie. Ich bin zum ersten Mal seit dem Unfall wieder unter freiem Himmel und in frischer Luft. Es ist warm, windstill, nur ein paar weiße Wolken sind am Himmel. Ideales Joggingwetter, ich muss schlucken.
Wir rollen gemeinsam auf einer Straße neben dem Gebäude, insgesamt sind wir drei Therapeuten und zehn Patienten. Bald löst sich die Gruppe auf, ich gehöre zu den Langsamen, versuche aber nicht der Letzte zu sein. Nach ungefähr einem halben Kilometer geht die Straße in eine leichte Steigung über. Die Steigung wird länger, meine Arme werden schwerer, mein Atem wird lauter. Schließlich kann ich nicht mehr, ich muss eine Pause machen.
Angelo stellt sich neben mich. »Geht es noch?«
»Alles geht. Nein, verdammt, es geht nicht mehr und wenn überhaupt, geht es nicht, wenn überhaupt dann rollt es«, fauche ich ihn frustriert an.
»Wollen Sie eine Pause machen?« fragt er und ignoriert meinen Ausbruch.
»Nein, wollen nicht, ich muss«, blaffe ich ihn an.
Ich hasse mich selbst, weil ich so schwach bin und meine Wut an ihm auslasse. Er dreht sich weg, geht hinter mich. Ich drehe mich mit dem Rollstuhl am Stand um und sage: »Denken Sie nicht einmal dran, mich anzuschieben.«
»Ich schiebe Sie sicher nicht an, außer, Sie bitten mich darum.«
»Das werden Sie nie erleben, lieber falle ich tot um.«
»Dann verstehen wir uns ja bestens«, sagt er und grinst.
»Tut mir leid, dass ich mich wie ein Arsch benommen und Sie so angeschnauzt habe, es ist nur alles momentan zu viel für mich«, sage ich nach ein paar Sekunden.
»Kein Problem. Das war das erste Mal, das ist ein Freiwurf. Beim nächsten Mal schnauze ich zurück.«
Seit dieser Antwort haben wir uns bestens verstanden. Langsam rolle ich weiter. Ich mache, im Gegensatz zu allen anderen, nur die sogenannte »kleine Runde«. Am Ende der Trainingseinheit treffen sich alle beim Haupteingang. Ich schnaufe wie nach zwei Stunden joggen.
»Wie war es?«
»Scheiße«, keuche ich, »ich hätte nie gedacht, dass das so anstrengend ist.«
»Das ist für Sie eine völlig neue Bewegung. Nach ein paar Tagen haben Sie sich daran gewöhnt.«
»Ich will mich aber nicht ans Rollstuhlfahren gewöhnen, ich will gehen.«
»Nun, es ist vielleicht ganz gescheit, wenn Sie beides können, wenn Sie dann einmal den Rollstuhl nicht mehr brauchen, umso besser.«
Mir fällt auf, dass ich trotz der Anstrengung nicht schwitze.
»Das kann bei Ihrer Art der Verletzung sein. Die gute Nachricht ist, dass Sie nicht so unangenehm nach Schweiß stinken, die schlechte, dass das im Sommer gefährlich werden könnte.«
»Warum?«
»Weil der Körper die Hitze nicht abführen kann, wenn er nicht schwitzt und Sie dann eventuell einen Hitzschlag bekommen.«
»Dann fahr ich eben, wenn es heiß ist, nicht mehr beim Rollstuhltraining mit«, grinse ich.
»Im Sommer sind Sie schon so austrainiert, dass Sie gar nicht mehr ins Schwitzen kommen«, kontert Angelo und grinst zurück.
Ich will mich verabschieden, strecke ihm die rechte Hand entgegen und sehe, dass