Walter Wosp

ASIA B-C


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      »Da müssen wir uns aber Mühe geben,« sagt er ohne Reaktion.

      Später erfahre ich, dass er schon vorgewarnt wurde, dass da ein scheinbar Komischer liegt. Die eine Ärztin flüstert dem Primar etwas ins Ohr.

      »Sie wollen keinen Aufzug für Ihre Wohnung?«

      »Nein. Ich gehe davon aus, dass ich im aufrechten Gang und ohne Stöcke von Ihnen nach Hause gehe.«

      »Im aufrechten Gang, so, so«, sagt er und schüttelt den Kopf. »In welchem Stock wohnen Sie?«

      »Im Dritten.«

      »Selbst wenn Sie hier im aufrechten Gang, wie Sie sagen, nach Hause gehen, und ich halte Ihnen beide Daumen, dass Sie das schaffen, werden Sie sich beim Stiegen steigen sehr anstrengen müssen.«

      »Ist mir klar. Ich will es nur gleich richtig angehen und mich nicht schon von vornherein auf einen Aufzug verlassen.«

      »Gut, aber was ist, wenn es nicht so klappt, wie Sie sich das vorstellen?«

      »Ich - werde - im - aufrechten - Gang - nach - Hause – gehen«, sage ich und betone jedes einzelne Wort. »Ich brauche keinen Aufzug!«

      »Und an Ihre Frau denken Sie nicht?«

      »Warum an meine Frau?«

      »Ich nehme an, dass bis jetzt Sie die schweren Sachen oder von mir aus auch nur Getränkepackerl oder Flaschen rauf getragen haben.«

      Ich nicke.

      »Das wird ab jetzt aller Voraussicht nach Ihre Frau machen müssen. Und selbst wenn nicht, sie werden beide nicht jünger.«

      ›Was will er mir sagen? Werde ich wirklich nicht mehr zu 100 Prozent fit?‹

      »Es war ein Verkehrsunfall, habe ich gehört«, sagt er nach ein paar Augenblicken Stille.

      Ich nicke wieder.

      »Ist die Schuldfrage schon geklärt?«

      »Ja. Ich glaube schon. Ich bin auf einem Radweg gefahren. Mein Anwalt sagt, dass die Unfallgegnerin zu 100 Prozent schuld ist.«

      »Dann bekommen Sie den Aufzug ohnehin von der Versicherung«, sagt der Primar. »Sind´s nicht blöd, sind´s nicht blöd«, wiederholt er. »Denken Sie an Ihre Frau und lassen Sie sich einen Aufzug einbauen.«

      »Ich werde mit meiner Frau reden«, sage ich.

      Der Vormittag vergeht mit Therapien. Nach dem Essen schalten wir den Fernseher im Zimmer an. ORF1 Baywatch. Schlanke, muskulöse, austrainierte Männer. Die Frauen ebenso und noch dazu mit entsprechender Oberweite. Was gibt es Besseres für zwei Patienten, die sich kaum bewegen können und ohne fremde Hilfe nicht einmal aus dem Bett kommen? Man kann entweder völlig verzweifeln oder die Schauspieler als Vorlage nehmen. Mir fällt ein, dass ich vor zwei Wochen genauso austrainiert war. Ich nehme Baywatch als Zeichen von wem auch immer und nehme mir fest vor nach dem New York Marathon zwei Wochen am Strand von Los Angeles anzuhängen.

      Am Nachmittag erzähle ich Julia von Baywatch und dass ich zwei Wochen Badeurlaub an den Marathon in New York anhängen will. Sie sagt, dass sie sich darauf freut, aber dass Kalifornien im November zu kalt sein wird. Wir sollten den Urlaub eher in Florida machen. Ich sage, dass mir alles recht ist, dann frage ich sie, ob sie mit dem Primar gesprochen hat.

      »Nein. Warum?«

      Ich beschreibe ihr die Visite. Sie sagt, dass sie mit der Ärztin über unsere Lebenssituation, die Behandlung und die Heilungschancen gesprochen hat. Die Ärztin hat ihr gesagt, dass man jetzt noch nicht abschätzen kann, wie ich mich entwickle. Wir sollen aber zur Sicherheit auf jeden Fall planen, die Wohnung barrierefrei zu machen.

      »Ich denke nicht daran«, sage ich, »ich will da wieder gesund nach Hause gehen.«

      »Das wirst du. Aber überlege dir wenigstens den Aufzug.«

      Ich lasse mir eine Hintertür offen.

      »Wir warten einmal ab, was die Versicherung sagt. Gibt es schon einen Prozesstermin?«

      »Nein, ich glaube, es gibt noch nicht einmal ein offizielles Unfallprotokoll.«

      Ich schüttle den Kopf.

      »Der Anwalt soll sich darum kümmern.«

      »Apropos Anwalt. Die Rechtsschutzversicherung hat bestätigt, dass sie alle Kosten für den Anwalt übernimmt.«

      Mir fällt ein Stein vom Herzen.

      »Super. Dann habe ich ja genug Geld, dass ich dich zum Essen ausführen kann«, lächle ich sie an.

      »Ich freue mich.«

      »Ein bisschen wird es noch dauern«, sage ich, »aber ich arbeite daran.«

      Es ist die dritte Nacht im Reha-Zentrum und die Erste von vielen Schlaflosen. Ich bekomme zwar Schmerztabletten und schlafe auch relativ zeitig ein, der Schlaf ist aber sehr unruhig und ich erwache bald wieder. Mein Zimmernachbar schnarcht, schnarcht, schnarcht. Ich versuche, das Mehrzwecktelefon zu erreichen. Es hat ein eingebautes Radio, aber, für mich momentan viel wichtiger, eine Ruftaste, mit der man die Pfleger rufen kann. Normalerweise hängt es über dem Bett, da ich aber nicht nach oben greifen kann, hat man es mir ins Bett gelegt. Jetzt liegt es leider am Fußboden, ich muss es im Halbschlaf aus dem Bett gewischt haben. Ich habe keine Chance, einen Pfleger zu erreichen, ich kann nur warten, bis wieder jemand kommt, um mich umzudrehen.

      Ich versuche etwas zu finden, was mich vom Wahnsinnigwerden abhält. Ich bewege die Oberarme, rauf, runter, zur Seite, über den Oberkörper, so weit wie möglich aus dem Bett, das Ganze von vorne. Ein Blick auf die Uhr zeigt mir, dass nicht ganz zwei Minuten vergangen sind, seit ich mit den Bewegungen angefangen habe. So wird das Nichts. Wenn ich nur gehen könnte, ich würde den Schnarcher auf der Stelle erwürgen. Mein Hass schwenkt vom Schnarchen auf meine Hilflosigkeit. Ich versuche, mir wieder die kleinen Reparaturmännchen vorzustellen, die mein Rückenmark reparieren. Ich kann mich nicht konzentrieren, der Schnarcher gewinnt.

      Die Rettung kommt, die Pfleger machen ihren Kontrollgang, unabhängig von meinem Umdrehtermin. Ich bitte, nein eigentlich winsle ich, um Schlaftabletten. Sie fragen mich, ob ich nicht lieber Oropax hätte. Ich sage, dass ich mir die Oropax mit meinen Fingern nicht in die Ohren stecken kann, ich will BITTE Schlaftabletten. Sie sagen, dass sie sich beim diensthabenden Arzt erkundigen werden. Keine fünf Minuten später kommen sie mit einer Tablette wieder, ich schlafe, bis man mich zum Stuhlgang weckt.

      Berthold, ein für mich neuer Pfleger, kommt fröhlich in die Toilette, macht den üblichen Darmcheck. Er runzelt die Stirn, sagt, dass noch etwas im Darm sei. Er holt mit dem Finger Kot aus dem Darm. Es ist körperlich nicht unangenehm, ich spüre eh nichts, es ist nur absolut peinlich. Ich frage ihn, wie er das psychologisch schafft. Ich meine, es ist ja nicht jedermanns Sache aus fremden Körpern die Scheiße rauszuholen. »Das ist mein Job«, sagt er. »Man gewöhnt sich daran.«

      Nach dem Frühstück kommt er wieder, er legt das Transferbrett auf die Matratze und den Rollstuhl.

      »Ich rutsche selbst«, sage ich.

      »Habe ich schon gehört. Ich bleibe nur zur Sicherheit neben Ihnen stehen.«

      Mit der Fußstütze des Rollstuhls hilft er, alles andere mache ich selbst. Ich wechsle in den Rollstuhl und fahre weg. ICH FAHRE WEG??? Unwillkürlich habe ich an die Treibräder des Rollstuhls gegriffen und probiert, mit dem Rollstuhl wegzurollen, und es hat trotz meiner eingeschränkten Greiffunktion funktioniert.

      »He, ich kann selbst mit dem Rollstuhl fahren.«

      »Gut, dann brauchen wir ja keinen Zivildiener mehr. Schon einen EKG gemacht?«

      »EKG?« Ich schaue ihn verständnislos an. »Einen EKG? Sie meinen ein EKG.«

      »Nein, einen EKG.« Er lacht. »Eier Kontroll Griff.«

      »Was, bitte, ist ein Eier Kontroll Griff?« frage ich perplex.

      »Sie müssen aufpassen,