Walter Wosp

ASIA B-C


Скачать книгу

Traum meinen, wie ich glaube, dass Sie meinen, dann ja.«

      »Freut mich für Sie«, grinst sie noch einmal. Sie erklärt mir dass ich, wenn ich wirklich große Schmerzen habe, Morphium bekomme und dass es relativ häufig vorkommt, dass Patienten dann sehr intensive Traumerlebnisse haben.

      »Intensiv war es, stimmt«, sage ich versonnen und überlege, ob meine Zukunft nicht in einer chinesischen Morphiumhöhle liegt.

      »Ich habe gute Nachrichten«, sagt Dr. Schneyder. »Wir haben für Sie ein Bett in einem Reha-Zentrum ganz in der Nähe von Wien bekommen, dem besten Reha-Zentrum für Querschnittverletzungen, das es in Österreich gibt. Sie werden übermorgen überstellt.«

      Ich verabschiede mich während der nächsten zwei Tage von den Pflegern, sage Gisela noch, dass ich gerne mit ihr ab Oktober trainieren würde, sie sagt, sie hofft für mich, dass wir uns sehen werden. Mir fällt der Abschied schwer, ich bin noch nie so liebevoll betreut und umsorgt worden wie von den Pflegern in der Intensivstation der Unfallklinik.

      JUNI / JULI

      Die Rettungsfahrer bringen mich auf einer Liege zum Empfang des Reha-Zentrums, ich bekomme ein Band zum Umhängen mit einem Schlüssel für einen Kasten und eine Karte, mit der ich elektronisch mein Essen bestellen kann. Dann führt man mich in ein Zimmer auf Ebene zwei. Drei Betten nebeneinander, vier Kästen, drei Tische, ein Fernseher, ein riesiges Fenster zu einem Balkon, alles sehr hell und auf den ersten Blick angenehm, so angenehm, wie ein Zimmer in einer Klinik sein kann. Im ersten Bett, dem Bett gleich bei der Eingangstür liegt ein Patient, er grüßt mich freundlich, ich bekomme das Bett beim Fenster. Das mittlere Bett ist frei und bleibt es auch während meines gesamten Aufenthalts.

      Ein Pfleger, er stellt sich als Robert vor, nimmt meinen Schlüssel und legt meine Sachen in den Kasten. Ich habe nicht viel, drei Leibchen, drei Unterhosen, drei paar Socken, eine Trainingshose und den Laptop.

      Ich bitte ihn, mit meinem Handy meine Frau anzurufen und ihr zu sagen, dass ich gut angekommen bin. Er wählt die Nummer, die ich ihm sage, kann aber keine Verbindung herstellen. Er fragt mich, welchen Provider ich habe, ich sage es ihm. Er erwidert, dass es mit diesem Provider hier keinen Empfang gibt, ich soll zu einem anderen wechseln. Er ruft von seinem Telefon meine Frau an und gibt mir das Telefon. Ich sage Julia, dass ich bereits im Reha-Zentrum bin, dass das Zimmer sehr schön ist und dass sie mir bitte eine Wertkarte eines anderen Providers kaufen und ein Buch mitnehmen soll.

      Dann legt mich Robert in mein Bett, die Reise zurück ins normale Leben hat begonnen. Robert sagt, dass in ein paar Minuten eine Ärztin kommen wird, ich soll etwas Geduld haben. Und wieder das »G« Wort, ich fühle mich verfolgt.

      AUSZUG AUS DER KRANKENGESCHICHTE

      Aufnahmediagnosen

      Cont.med.spin.reg.cervicalis

      Stenosis columnae vertebr.cervic.op.(5/08)

      inkompl.Tetraplegie sub C VII ASIA B-C

      Inkont.vesicae et alvi

      Zum Zeitpunkt der Aufnahme ist der Patient von akut interner Seite her gesund.

      Spezieller Befund

      Aufnahmestatus wird liegend im Bett bei angelegter Schanzkrawatte durchgeführt, diese wird derzeit 24 Std. rund um die Uhr getragen.

      Obere Extremitäten:

      Schultern, Ellbogen und Handgelenke bds. können aktiv und passiv frei bewegt werden. Faustschluss ist bds. unvollständig, FKHA1 bis 2 QF Fingerspitzgriff ist rechts von Daumen zu Dig I und ll gut möglich, links von Daumen zu Dig l, der restliche Fingerspitzgriff nicht möglich. Sensibilität wird vom Patienten bis zu den Fingerspitzen in sämtlichen Qualitäten als der Norm entsprechend angegeben.

      Kraft wird bis zum Segment C Vll der Norm entsprechen ausgeführt (Triceps - KG5),distal davon ist die Kraft deutlich herabgesetzt (Faustschluss und Fingerspitzgriff mit Maximum 2 bis 3), außerdem ist bereits eine Atrophie der Musculi interossei erkennbar.

      MER: Biceps und Triceps sind schwach auslösbar, RPR nicht sicher auslösbar.

      Am Rumpf wird die Sensibilität bis Th Xll der Norm entsprechend angegeben.

      Untere Extremitäten:

      Beide Beine liegen flach gestreckt auf der Unterlage. Das linke Bein kann aktiv mit einer Hüftflexion bis ca. 30° und Knieflexion mit schleifender Ferse angehoben werden, dies kann auch aktiv gestreckt werden, offensichtlich unter Mithilfe der Schwerkraft, auch aktive Beweglichkeit im Sprunggelenk vorhanden.

      Ab- und Adduktion in der Hüfte gelingt bei flektiertem Hüft- und Kniegelenk.

      lm Bereich des rechten Beines ist offensichtlich ein Anspannen der Hüft- und Beckenmuskulatur möglich, jedoch keine sichtbare oder fühlbare Kontraktion derzeit im Bereich des Quadriceps oder distal.

      Die Ärztin erscheint in Begleitung von zwei Pflegerinnen und Robert.

      »Wie geht es Ihnen?«

      Ich kämpfe ganz kurz mit mir selbst, dann kann ich aber nicht anders, ich sage: »Gar nicht, noch liege ich.«

      Sie lacht, der Bann ist gebrochen.

      »Na, wir werden Sie schon wieder zum Laufen bringen.«

      »Bitte schnell«, sage ich, »ich bin zum New York Marathon angemeldet.«

      Sie stutzt.

      »Wann ist der denn?«

      »Am ersten Sonntag im November.«

      Sie schaut mich ungläubig an.

      »Ich fürchte, heuer wird sich das nicht mehr ausgehen«, sagt sie kopfschüttelnd. »Sie haben eine wirklich schwere Verletzung, wir werden alles machen, was wir können, aber sie werden sehr viel Geduld brauchen.«

      Dann erklärt sie mir die weitere Vorgangsweise.

      »Heute akklimatisieren Sie sich einmal, für morgen bekommen Sie einen Therapieplan. Wir werden mit Physiotherapie und Ergotherapie beginnen, nach ein paar Tagen, wenn alles gut geht, fangen wir mit Krafttraining an. Morgen bekommen Sie auch einen Rollstuhl, dann können Sie sich im Haus fortbewegen.«

      Pfleger Matthias stellt sich als mein Vertrauenspfleger vor. Wenn ich Probleme oder Fragen habe, kann ich mich jederzeit an ihn wenden. Er fragt mich, was passiert ist, ich erzähle ihm vom Unfall und dass er am fünfundzwanzigsten Hochzeitstag passiert ist. Er nimmt meinen Hinweis auf den fünfundzwanzigsten Hochzeitstag ohne Kommentar zur Kenntnis. Matthias fragt mich, was ich zum Frühstück will, es gibt Semmeln oder Brot, Marmelade, Käse und Honig, Saft, Kaffee oder Tee. Dann machen wie einen Speiseplan für das Mittag- und Abendessen für die nächste Woche, es gibt täglich mehrere Menüs zur Auswahl.

      Er fragt mich, in welchen Abständen mich die Pfleger in der Nacht umdrehen sollen. Wir einigen uns auf einen Abstand von drei Stunden, ich werde versuchen, ohne Polster zwischen den Beinen zu schlafen. Ein echter Fortschritt zur Intensivstation, es geht voran. Dann fragt er mich, wann ich mich duschen will. Ich sage, am liebsten gleich in der Früh, am besten gleich nach dem Stuhlgang.

      »Sie sollten sich aber schon jeden Tag duschen«, sagt er.

      »Wo ist das Problem?«

      »Sie werden nicht jeden Tag Stuhl haben. Es gibt sogenannte Stuhltage, wir werden einige Zeit brauchen, bis wir den richtigen Rhythmus haben, im Normalfall haben Sie dann jeden dritten oder vierten Tag Stuhl. Wir geben Ihnen ein Abführmittel oder ein Zäpfchen, dann können wir den Zeitpunkt des Stuhlgangs ziemlich genau kontrollieren.«

      »Ich will aber selbstständig aufs Klo gehen, ich bin zu Hause jeden Tag aufs Klo gegangen, jedes Mal zur selben Zeit, plus minus 10 Minuten. Ich habe um sechs Uhr früh den KURIER aus dem Postkasten geholt und mich dann aufs Klo gesetzt. So will ich es haben, ausgenommen den KURIER natürlich. Das muss sich doch trainieren lassen. Was ist, wenn ich jeden Tag in der Früh aufs Klo