Walter Wosp

ASIA B-C


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nicht funktionieren.«

      »Ich will das ausprobieren, das muss doch möglich sein, dass sich der Körper wieder daran gewöhnt. Können wir morgen damit anfangen?«

      Wir einigen uns darauf, dass mich ein Nachtpfleger am Ende seines Dienstes auf die Toilette bringt und mir ein Zäpfchen gibt. Die Pfleger haben anschließend Dienstübergabe, es kommt die Morgenschicht. Nach der Dienstübergabe soll ein Pfleger oder eine Pflegerin kommen und schauen, ob alles geklappt hat.

      Dann zieht mich Matthias an. Über die Beine zieht er weiße Stützstrümpfe, hauteng anliegend, nicht wirklich sexy.

      »Wozu sind die Strümpfe?«

      »Sie sollen eine Thrombose verhindern, Sie bekommen bis auf Weiteres auch jeden Tag eine Spritze. Wenn Sie wollen, können Sie sich die auch selbst geben.«

      »Sicher nicht«, sage ich, »ich bekomme schon alle Zustände, wenn ich eine Spritze nur auf der anderen Straßenseite sehe.«

      »Noch so einer«, sagt er, »Sie werden sich schon daran gewöhnen.«

      Dann zieht er mir meine Trainingshose an.

      »Wo wollen Sie die Spritze hin? In den Bauch oder in den Oberschenkel?«

      »Ist mir egal, ich will nur nicht sehen, wenn Sie stechen.«

      Am Nachmittag kommt Julia, sieht sich im Zimmer um und sagt, dass es schlimmer hätte kommen können, es schaut eh ganz gut aus, groß, Blick ins Grüne, nur ein Mitbewohner. Sie gibt mir ein Päckchen ungefähr 10 mal 15 und fünf Zentimeter hoch, eingepackt in Geschenkpapier, verschnürt mit einer dünnen Schnur in die Hand.

      »Was ist das?«

      »Ein Geschenk, wenn du es selbst auspacken kannst, gehört es dir«, antwortet sie und grinst listig.

      Ich versuche die Masche wie gewohnt mit den rechten Fingern aufzumachen, die Schnur rutscht mir durch die Finger. Ich versuche es mit der linken Hand, diesmal kann ich an der Schnur ziehen, die Masche geht auf. Das Papier kann ich dann schon leichter entfernen, eine Schachtel mit einem Nokia Handy kommt zum Vorschein.

      »Das ist toll, wie kommst du gerade auf das, das wollte ich ein paar Tage vor dem Unfall kaufen.«

      »Du hast in der Intensivstation einmal im Schlaf davon gesprochen, ich habe mir gedacht, zu einer neuen Wertkarte kann ich dir auch gleich ein neues Handy kaufen.«

      »Beug dich runter, damit ich dich küssen kann.«

      »Erst wenn du die Schachtel geöffnet hast.«

      Ich probiere es mit rechts, ich probiere es mit links, ich probiere es mit den Zähnen, ich fange wieder von vorne an, schließlich geht die verdammte Schachtel auf.

      »Den Kuss hast du dir wirklich verdient«, sagt Julia und beugt sich über mich.

      Ich nehme das Telefon vorsichtig aus der Schachtel, halte es so fest ich kann in der linken Faust, es rutscht mir nicht durch die Finger.

      »Warte, ich ruf dich gleich an«, sagt sie mit einem verschmitzten Lächeln. Sie nimmt ihr Handy aus der Handtasche, wählt, und ich höre die Toten Hosen:

      »Steh auf, wenn du am Boden bist!

      Steh auf, auch wenn du unten liegst!

      Steh auf, es wird schon irgendwie weitergehn!«

      Ich schaue sie ungläubig an.

      »Wie hast du das gemacht?« frage ich.

      »Erich hat angerufen und wollte wissen, wie es dir geht. Und da habe ich ihn gleich gebeten, dass er mir erklärt, wie ich das Lied von der CD in den Computer spielen kann.«

      »Aber das ist ja nur ein Teil vom Lied.«

      »Dann hat er mir gezeigt, wie ich das kürzen kann. Hast du gehört, wie es am Ende ausgeblendet ist?« sagt sie stolz.

      »Und dann?« frage ich fassungslos.

      »Dann hat er mir erklärt, wie ich es ins Handy spielen kann.«

      Ich bin baff, ich kann sie nur noch verblüfft anstarren.

      »Ich glaube, Erich braucht sein nächstes Gehalt für die Telefonrechnung, auf jeden Fall braucht er jetzt einen Psychiater«, lacht sie.

      Ich glaube das sofort, meine Frau könnte ein Vermögen als Testerin von Stressbelastungen für Hotline-Mitarbeiter verdienen. Sie hat die Gabe bei einem Problem jemanden um Rat zu fragen und dann, statt zuzuhören, nach zirka 15 Sekunden der oder dem zu erklären, wie man das Problem wirklich lösen kann. Ich nehme mir vor, dass ich als Erstes mit dem neuen Handy Erich anrufe und die Rolle des Psychiaters übernehmen werde.

      Der nächste Morgen. Ich bin seit fünf Uhr früh wach, nicht weil ich den Gang auf die Toilette nicht erwarten kann, sondern weil mein Zimmernachbar so schnarcht.

      Wolfram, ein Pfleger kommt, stellt sich vor und hebt mich in einen Duschrollstuhl. Dieser unterscheidet sich vom normalen Rollstuhl vor allem durch zwei Sachen: Die Sitzfläche unter dem Hintern ist ausgespart, eine Öffnung, die sich bis vorne zieht. Und die Auflagefläche ist steinhart. Wo beim normalen Rollstuhl ein ungefähr sechs bis zehn Zentimeter dicker Schaumgummipolster ist, ist beim Duschrollstuhl harter, abwaschbarer Kunststoff. Wolfram rollt mich in die Toilette. Er zieht sich Gummihandschuhe an. Ich sehe, dass sie von der Firma Semperit sind, und muss lachen.

      »Warum lachen Sie?«

      »Ich habe Semperit Aktien, wenn ich jeden Tag aufs Klosett gehe, wird sich der Kurs wahrscheinlich verdoppeln.«

      »Matthias hat mir bei der Dienstübergabe schon gesagt, dass Sie ein Lustiger sind. Behalten Sie sich Ihren Humor, sie werden ihn in den nächsten Monaten brauchen.«

      »Warum Monate? Wie lange soll ich da bleiben?«

      »Na, bei der Schwere Ihrer Verletzung schätze ich auf mindestens drei bis fünf Monate.«

      Ich schlucke.

      »Unmöglich«, sage ich ungläubig.

      Wolfram schaut mich an.

      »Haben Sie die Hautabschürfung an der Hand vom Unfall?«

      »Ja, warum?«

      »Wann war der Unfall?«

      »Vor genau 14 Tagen.«

      »Sehen Sie, und da ist noch immer eine Kruste auf der Hand. Und Sie haben eine Verletzung am Rückenmark, das ist schon etwas anderes als eine Hautabschürfung.«

      Mir wird ganz anders. Zum ersten Mal realisiere ich, dass ich das Ganze kein Kinderspiel ist.

      »Aber ich muss den New York Marathon laufen«, stottere ich.

      »Wann?« fragt Wolfram.

      »Am ersten Novemberwochenende.«

      »Ich sagte ja schon, behalten Sie Ihren Humor. Diese Pointe war schon ganz gut.«

      »Sie versuchen mir zu erklären, dass ich nicht laufen werde?«

      »Ich wünsche Ihnen, dass Sie im November einmal um die Welt laufen werden, aber ich fürchte, realistisch ist nicht einmal ein Hundertmeterlauf.«

      ›Was weiß der schon‹, denke ich und sage: »machen wir weiter.«

      Wolfram schmiert etwas Vaseline auf Mittel- und Zeigefinger der rechten Hand, bricht ein Zäpfchen aus der Verpackung, hält es kurz unter einen Wasserstrahl.

      »Was ist das?«

      »Lecicarbon-Zäpfchen. Sie entwickeln nach Einführen in den Mastdarm Kohlensäure. Die Kohlensäure fördert die Darmbewegung und erhöht die Entleerungsbereitschaft.«

      Er geht in die Hocke.

      »Das wird jetzt wahrscheinlich etwas unangenehm.«

      Er greift zwischen meinen Oberschenkeln durch. Ich sehe an den Muskeln seines Unterarms, dass er etwas mit seiner Hand macht.

      »War´s