M.E. Lee Jonas

Die kuriosen Abenteuer der J.J. Smith 02: Die schwarze Prinzessin


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zu spüren bekommen.

      So war sie gerade einmal knapp vierzehn Jahre alt, als sie sich ohne jegliche Zauberkenntnisse den Gefahren des dunklen Phads aussetzte, um ihre Großmutter aus dem Verließ der heimtückischen Oberhexe Darania zu retten, die sich nicht damit abfinden will, dass dieses Mädchen mächtiger sein soll als sie.

      Was also wie ein wunderbares Märchen begann, entwickelte sich schnell zu einem furchtbaren Albtraum, aus dem es für J.J. anscheinend kein Entkommen gibt.

      Für das Mädchen hatte es sich seltsam angefühlt, als sie nach den ganzen Ereignissen während der Sommerferien in das Internat zurückgekehrt war. Aber sie hoffte, dass sie sich mit der Zeit von den Strapazen erholen und irgendwann ein ganz normales Leben führen könne.

      Diese Hoffnung wurde jedoch zerschmettert, als sie die offizielle Einberufung in das dunkle Zauberreich bekommen hat. Denn während J.J. dieses Reich abgrundtief hasst, verehren sie dessen Bewohner, da sie dort die langersehnte schwarze Prinzessin ist, die nun, mit vierzehn Jahren, ein Buch schreiben soll, welches über das Schicksal abertausender Zauberreichbewohner entscheidet. Und als wären dies nicht schon genug Probleme für einen Teenager, plagen sie tiefe Schuldgefühle, die sie nicht zur Ruhe kommen lassen. Linus, ihr Schützer, ist fort. Er ist fort, weil sie ihn nur ein paar Stunden, nachdem sie den Hexenbesen von Oma Vettel geerbt hat, mit dem Vergessenszauber belegte, damit er nicht stirbt. In dieser Sekunde dachte sie, dass es keinen anderen Ausweg gäbe, denn der Junge war vollkommen überraschend im Hause ihrer Großmutter auf sie losgegangen, um sie zu verfluchen. Und das kurz nachdem sie sich gemeinsam gegen den dunklen Phad gestellt und das erste Mal geküsst haben. Warum Linus sich mit einem Schlag so veränderte, weiß J.J. bis heute noch nicht.

      Nun soll also dieser erste große Zauber, den sie in einem Moment der größten Verzweiflung anwandte, endgültig über ihr Schicksal, ihre Zukunft entschieden haben?

      Das Mädchen fühlt sich dem Ganzen hilflos ausgeliefert und überfordert. Deshalb braucht sie jetzt die Sicherheit ihres Zuhauses, ihrer Familie. Und diese besteht in der realen Welt nur noch aus Broaf.

      J.J. atmet durch und schielt zum Wagen, von dem sie ein leises, ungeduldiges Wimmern vernehmen kann, das sie in den letzten Wochen so schmerzlich vermisst hat. Lincoln, der kleine Halbtagshund, lugt durch die Scheibe der Fahrertür und lächelt sie erwartungsvoll an. Freudestrahlend rennt das Mädchen hinüber und reißt die Autotür auf.

      »Lincoln, mein kleiner Freund. Mein kleiner, bester Freund. Ich bin so froh, dich wiederzusehen!«

      Vor lauter Aufregung springt der halbe Mops auf und ab. Der Halfie ist so angespannt, dass er nur bellen kann. J.J. nimmt ihn in den Arm und drückt ihn fest an sich. Broaf hat dem Halbtagshund heute die Kleidung angezogen, die Linus ihm bei Madame Shari in der linkischen Gasse gekauft hat. Der Anblick amüsiert das Mädchen und macht es gleichzeitig unendlich traurig. Sie drückt ihrem geliebten Halfie ein Küsschen auf die Stirn und wartet darauf, dass Broaf ebenfalls in den Wagen steigt.

      Der Diener hievt ihre Tasche in den Kofferraum und sieht sich verstohlen um. Dann eilt er zur Fahrertür und setzt sich seufzend hinter das Lenkrad. Wortlos drückt er J.J.s Hand und streicht ihr sanft über die Stirn. Dann startet er den Motor. Bevor er losfährt, reibt er sich die Hände und haucht hinein.

      »Es wird Herbst in Neuseeland«, sagt er leise und legt dem Mädchen eine Decke über die Beine, die er sorgfältig glatt streicht. Er hilft Lincoln auf den Rücksitz und dreht die Heizung hoch. Dann fahren sie los zum Anwesen ihrer Großmutter.

      Während der Fahrt redet niemand ein Wort. Die Stimmung im Wagen ist gedrückt, denn diese schlechten Neuigkeiten machen auch dem Diener zu schaffen.

      Ab und zu schielt J.J. besorgt zu ihm hinüber, da ihr nicht entgangen ist, dass Broaf eingefallen und traurig wirkt. Erst als sie die endlose Einfahrt ihres Anwesens hinauffahren, atmet das Mädchen erleichtert aus.

      »Endlich zu Hause!«

      Die Anspannung, unter der J.J. seit ihrer Rückkehr nach Marton litt, löst sich schlagartig auf. Und als der Wagen endlich vor der schneeweißen Veranda anhält, beginnt sie vor lauter Freude und Erleichterung zu weinen. Noch ehe der Motor verstummt steigt sie aus und lässt den kleinen Halfie laufen. Aber auch hier in Havelock hat sich einiges verändert.

      »Es fühlt sich anders an.«

      Auch wenn Igor versucht sie aufzumuntern, indem er und seine Familie sich zu einem großen Herz formieren. Sie nickt den Schmetterlingen dankbar zu und geht zurück zu Broaf, der vor der Haustür auf sie wartet. Sonst scheint auch nichts auf eine wilde Willkommensparty hinzuweisen. Keine blinkenden Girlanden auf der Veranda, kein singendes Empfangskomitee, kein Sahnetoffeeregen, keine Großmutter, die das Haus ausschimpft, kein verzücktes Werschwein mit einem Klecks Sahne auf der Nase.

      J.J. holt tief Luft und geht die knarrenden Stufen der Veranda hinauf. Sie zögert einen kurzen Moment, bevor sie unsicher den Hausflur betritt. Seit dem Tag ihrer Abreise hat sich das Haus anscheinend nicht mehr verändert. Es ist alles noch so, wie sie es verlassen hat. Der schwarz-weiße Gruselfilmeffekt verzerrt das Ambiente, während verwelkte Blätter, angetrieben durch eine kühle, pfeifende Brise, rastlos durch das Treppenhaus fliegen.

      Broaf huscht eilig an ihr vorbei. Er stellt ihren Koffer auf die Treppe und nimmt ihr die Jacke ab.

      »Es ist immer noch geschockt. Das Haus, meine ich. Diese vielen Veränderungen, weißt du. Erst verlieren wir Diggler und Flick, dann verlässt uns Vettel, um mit Konrad in Rosaryon zu leben und dann noch dieser furchtbare Moment, als du … Ich meine, als Linus …« Der Diener hält kurz inne und schluckt. »Egal, wir können diese Dinge nicht ungeschehen machen. Aber ich gebe täglich mein Bestes, um den Bewohnern ein gutes Heim zu bieten. Das braucht wohl alles noch seine Zeit«, beendet er schnell seine Rede.

      Er räuspert sich, während er sich verlegen umsieht. Ein paar lose Blätter wehen ihm dabei langsam vor die Füße, die er genervt packt und hektisch in seiner Jackentasche verstaut. J.J. bemerkt, dass dort schon einige drinstecken.

      »Anscheinend hat Broaf das Haus überhaupt nicht mehr im Griff.«

      J.J. nimmt ihn an die Hand und horcht in Richtung des Esssalons. Aber sie kann nichts hören. Keine Stimmen, kein Gebrabbel und auch kein Gezeter. Der Diener scheint ihre Gedanken zu erahnen.

      »Ich habe ihnen noch nichts gesagt. Mrs. Rogan rief gestern Abend hier an und wollte sofort mit Vettel sprechen. Ich sagte ihr, dass deine Großmutter für eine Weile verreist und ich währenddessen dein Vormund sei. Daraufhin erzählte sie mir ganz aufgeregt von dem Brief, den du Zoé hinterlassen hast, und dass du mit Sack und Pack fortgelaufen seist. Sie machen sich wirklich sehr große Sorgen. Deine Freunde und Pippa haben noch bis spät in die Nacht nach dir gesucht. Ganz schönes Chaos, was du da verbreitet hast, meine Liebe.

      Aber ich dachte mir gleich, dass du hierher kommst. Wo solltest du auch sonst hingehen? Ich denke, es war längst überfällig. Es geht dir überhaupt nicht gut, oder?«

      J.J. sieht betroffen zu Boden und schluckt kräftig. So wie sie es in den letzten Monaten immer getan hat, wenn sie jemand gefragt hat, wie es ihr gehe. In Marton konnte sie mit niemandem über die furchtbaren Geschehnisse reden. Zoé hat nicht einmal nachgefragt, was es mit dem Stein auf sich habe. So als hätte sie es einfach vergessen. Sie war vielmehr an J.J.s neuer Frisur interessiert als an ihren seltsamen Abenteuern.

      Hier in Havelock ist das allerdings anders. Hier kann sie darüber reden. Sie lehnt ihren Kopf an Broafs Arm und schüttelt langsam den Kopf. Der Diener streicht ihr sanft über das Haar.

      »Ich weiß, ich weiß. Mir geht es genauso. Eigentlich bin ich froh, dass du hier bist! Es war eine dumme Hoffnung, dass wir nach diesen fürchterlichen Ereignissen einfach weitermachen können, als wäre nichts passiert. Ich mache uns jetzt erst einmal etwas Richtiges zu Essen. Anschließend überlegen wir uns, wie es weitergeht.«

      J.J. zuckt leicht zusammen und stockt. Als sie das letzte Mal diese Küche betreten hat, wollte Linus sie verfluchen und dann ist es passiert. Diese Katastrophe, die sie seitdem verfolgt, ihr keine Ruhe gönnt und sie nicht mehr schlafen lässt. Ängstlich sieht sie den Diener an