M.E. Lee Jonas

Die kuriosen Abenteuer der J.J. Smith 02: Die schwarze Prinzessin


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er der rücksichtsvollste Mensch auf Gottes Erden ist, geht sie langsam hinter ihm her. Mit gesenktem Kopf betritt sie die Küche und rennt zur Eckbank, ohne sich umzusehen. Sie setzt sich auf ihren Lieblingsplatz und starrt aus dem Fenster. Broaf stellt sich vor die Eckbank und stemmt die Hände in die Hüfte.

      »Also, wirklich! Da haben wir uns solche Mühe gegeben und du siehst es dir nicht einmal an!«, spöttelt er und imitiert dabei gekonnt Oma Vettels Zeterton.

      J.J. dreht sich um und staunt.

      Broaf hat die Küche renoviert! Er hat sie sogar neu eingerichtet. Im Gegensatz zu den urigen Möbeln aus Oma Vettels Zeiten stehen nun sehr moderne, weinrote Möbel mit Hochglanzfronten an der Wand. Der dreiflügelige Kühlschrank wurde durch ein zweitüriges, schwarzes Modell ersetzt, was J.J. doch etwas schade findet.

      Broaf eilt hinüber und streicht sacht über die polierte Oberfläche.

      »Durch Vettels Auszug und deinen Internatsaufenthalt sind wir ein paar Bewohner weniger im Haus. Die Feste, die sonst monatlich stattfanden, gibt es seit eurem Auszug auch nicht mehr. Ich dachte deshalb, dass ein zweitüriges Modell für mich und die restlichen Bewohner ausreichen würde. Also, Jezabel, worauf hast du Appetit?«, fragt er grinsend.

      Das Mädchen geht hinüber und drückt auf das moderne Glasdisplay. Gespannt wartet sie, was passiert. Als die freundliche Stimme sich meldet, bestellt sie Hühnchenburger mit Pommes frites. Der Diener verdreht die Augen und schnalzt mit der Zunge. J.J. befürchtet nun, dass sie etwas verkehrt gemacht hat, und öffnet hastig die Tür.

      »Puh! Ist wohl ein neueres Modell? Dieses Mal hat er die richtige Anzahl serviert«, stellt sie erleichtert fest.

      »Ja, in der Tat! Das ist das allerneueste Modell! Den habe ich mir geleistet. Er hat einen hochempfindlichen Sensor, der die genaue Anzahl der sich im Raum befindlichen Wesen erfasst. Somit wird eine grobe Verschwendung von Nahrungsmittel vermieden«, erklärt der Diener mit stolz geschwellter Brust.

      J.J. nimmt sich schnell ihr Essen heraus und setzt sich auf die Eckbank. Lincoln und Broaf sitzen ihr gegenüber und starren sie erwartungsvoll an.

      »Was hast du jetzt eigentlich vor? Sollen wir vielleicht Oma Vettel kontaktieren?«, fragt der Halfie zögerlich.

      J.J. legt ihren Burger beiseite und schüttelt energisch den Kopf.

      »Nein! Ich möchte euch bitten, Großmutter erst einmal nicht zu sagen, dass ich hier bin! Ich weiß, was ich da von euch verlange, aber ich brauche ein paar Tage Ruhe. Broaf, vielleicht könntest du Mrs. Rogan sagen, dass wir einen Trauerfall in der Familie haben und ich deshalb eine Zeit lang zu Hause bleiben werde. Das müsste die Gemüter erst mal besänftigen. Ich werde mir etwas überlegen. Gebt mir bitte ein paar Tage dafür Zeit. Ich muss nachdenken.«

      Lincoln und Broaf sehen sich betrübt an und nicken ihr stumm zu.

      J.J. steht auf und geht zur Tür.

      »Die Küche sieht wirklich sehr schön aus! Danke, dass ihr das gemacht habt! Ich bin froh, dass ich wieder bei euch bin!«, sagt sie müde und geht hinauf in ihr Zimmer.

      Die Gemälde, die extra schief an der Wand neben der Treppe hängen, beachtet sie nicht und sie bleibt auch nicht vor dem Schlafzimmer ihrer Großmutter stehen. Als sie ihr Zimmer betritt, verschließt sie hektisch die Tür und schmeißt ihre Tasche in die Ecke. Fluchend wirft sie sich auf ihr Bett und weint.

      Alles, was sie in den letzten Wochen unterdrücken musste, drängt sich jetzt mit aller Macht nach außen. Jedes unterdrückte Gefühl, jede untersagte Erklärung, jeder Gedanke, den sie mit einer dicken Mauer ferngehalten hat. Wütend schlägt sie in den Kissenberg. Die Trauer um Diggler und Flick, der Umzug ihrer Großmutter, der Hass auf Darania und die unaufhörliche Sehnsucht nach Linus zerreißen sie innerlich. Es scheint, als würde es nichts auf dieser Welt geben, was sie trösten könne.

      Erst als ihre Augen dick geschwollen und ihre Kehle trocken ist, schleppt sie sich in ihr Badezimmer und nimmt eine Dusche. Sie dreht das Wasser heiß auf und schrubbt ihren Körper, in der Hoffnung, dass dieses verfluchte schwarze Blut wieder verschwindet.

      »Ich will das nicht! Ich will dieses Schicksal nicht!«

      Außer sich vor Wut schmeißt sie die Bürste in die Ecke und schreit, bis sie erschöpft zusammensackt, weil ihr Kreislauf rebelliert. Als sie bemerkt, dass ihre Adern gefährlich anschwellen und dunkle Verse in ihrem Inneren hochkochen, dreht sie das Wasser eiskalt auf und setzt sich wimmernd unter den Strahl. Erst als ihre Lippen schon leicht bläulich sind, hat sie sich wieder etwas beruhigt.

      Sie geht ins Ankleidezimmer und läuft wie ferngesteuert durch die schier endlosen Kleiderreihen. Am Ende schnappt sie sich einen grauen Jogginganzug und lässt sich erschöpft in einen der Loungesessel fallen.

      »Ich wünschte, jemand würde mir wieder den Vergessenszauber auferlegen«, raunt sie in das leere Zimmer. Dann zieht sie ihre Beine ganz nah an sich heran und umklammert ihre Knie. Summend starrt sie in das dunkle Zimmer, bis sie einschläft.

      Erst die feuchte Zunge des Halbtagshundes weckt sie wieder auf. Angeekelt stupst sie Lincoln weg und sieht sich verwirrt um.

      »Lass das! Wie lange habe ich geschlafen? Du bist immer noch vorn sichtbar. Also höchstens ein oder zwei Stunden?«, fragt sie gähnend.

      Der Halbtagshund schüttelt den Kopf und verdreht die Augen.

      »Wieder sichtbar. Ich bin WIEDER vorn sichtbar! Es ist schon wieder ein ganzer Tag herum, J.J.

      Broaf hat die anderen Bewohner schon mit Frühstück versorgt. Er hat mich hinaufgeschickt, um dich zu holen. Du solltest besser im Bett schlafen als in diesem Sessel, in diesem dunklen Zimmer. Dein Körper muss sich erholen«, sagt Lincoln besorgt.

      J.J. beißt sich auf die Lippen.

      »Schon wieder ein Tag herum?«, raunt sie versonnen.

      Sie hüpft vom Sessel und geht mit dem Halfie hinab in die Küche. Dort sitzt Broaf am Küchentisch und liest sehr konzentriert die regionale Zeitung. Das Mädchen huscht auf ihren Lieblingsplatz und räuspert sich.

      »Das ist neu! Seit wann liest du die örtliche Zeitung?«, fragt sie amüsiert.

      Der Diener, der die Zeitung ausgebreitet vor sein Gesicht hält und aufmerksam einen Artikel über internationale Essgewohnheiten durchliest, zieht die Stirn kraus.

      »Nun ja. Seitdem mit Vettel ein großer Teil der Magie aus dem Haus verschwunden ist, und ich mich damit abfinden muss, den Rest meiner Tage allein in der realen Welt zu fristen, habe ich mir ein paar ganz normale Dinge zu eigen gemacht. Die allmorgendliche Zeitung gehört dazu. Der kleine Jenkins ist so nett und wirft sie mir jeden Morgen vor das Tor«, antwortet er, ohne aufzusehen.

      J.J. reißt die Augen auf und kichert. Lincoln setzt sich neben den Diener und grinst verschmitzt.

      »Der Junge hat zuerst versucht, sie bis zum Haus zu bringen. Aber das hat er wegen der endlosen Einfahrt natürlich nicht geschafft. Daraufhin hat er versucht, sie über das Tor zu werfen. Aber auch das hat nicht geklappt. Jetzt wirft er sie einfach vor das Tor und fährt ganz schnell wieder weg. Ich habe ihn ein paar Mal dabei beobachtet und mich köstlich amüsiert!«

      Der Halbtagshund kichert leise, wofür Broaf ihn missbilligend ansieht.

      J.J. beißt in ihren Toast und freut sich, dass sie diesen kurzen, normalen Moment genießen darf. Sie legt den Rest aber wieder auf den Teller zurück und steht auf. Broaf schmeißt entsetzt die Zeitung beiseite und sieht sie entrüstet an. Das Mädchen hat jedoch keine Lust auf eine weitere Moralpredigt und verlässt wortlos die Küche.

      Im Flur schnappt sie sich ihren dicken Parka und geht hinaus in den Garten, der wie immer in voller Blüte steht. Sie setzt sich auf die Blütenschaukel und vergräbt ihre Hände tief in den Taschen. Obwohl sie versucht es zu vermeiden, bleibt ihr Blick auf der Gedenksäule für Diggler und Flick hängen.

      »Sinnlos! Einfach sinnlos! Wieso passieren diese Dinge? Was soll ich denn jetzt nur tun? Ich kann mich nicht ewig in Havelock verstecken. Irgendwann