M.E. Lee Jonas

Die kuriosen Abenteuer der J.J. Smith 02: Die schwarze Prinzessin


Скачать книгу

brauche einen Plan! Ich könnte mein Amt niederlegen und mich aus dem Register des dunklen Phads löschen lassen. Das hat Großmutter doch gesagt. Aber damit hätte ich auch jede Chance vertan, einen Gegenzauber für Linus zu finden. Außerdem bezweifle ich, dass ich das jetzt, unter diesen Umständen noch einfach so kann. Darania wird mich niemals in Ruhe lassen! Ich brauche einen guten Plan! Herrgott J.J., du musst nachdenken!«

      Das Mädchen seufzt und lässt den Kopf hängen. Da hört sie neben sich ein vertrautes Räuspern. Schmunzelnd dreht sie sich um.

      »Hallo Florence! Schön dich zu sehen«, sagt sie leise.

      Das Sonnentrichterorakel grinst verzückt und verbeugt sich leicht. Verlegen sieht es das Mädchen an.

      »Dürfte ich dir vielleicht einen Rat geben?«, fragt Florence vorsichtig.

      J.J. presst die Lippen zusammen. Sie ist sich nicht sicher, ob sie jetzt einen Rat vom Sonnentrichterorakel hören möchte. Aber sie möchte Florence auch nicht beleidigen, also nickt sie zögerlich.

      »Worin liegt deine größte Verzweiflung, Jezabel? Ist es der Brief vom Hexenrat? Ist es die Einberufung nach Xestha, welche dir, entschuldige bitte meine Offenheit, ein Leben mit schier grenzenlosen Möglichkeiten bieten würde?

      Wenn du hier in der realen Welt bleiben würdest, was wolltest du dann tun? Das Geschehene ist geschehen. Du kannst es nicht mehr ändern. Verharre nicht in der Vergangenheit! Versuche deine Zukunft zu lenken und das geht nur, wenn du dich der Gegenwart stellst! Wenn du den Rat deiner Großmutter scheust, handle nach deinem Herzen! Das ist immer der einzig wahre Weg. Entscheide dich und dann geh los! Hadere nicht, wenn sich deine Entscheidung als falsch herausstellt. Darauf kommt es nicht an. Hör auf dein Herz und tue es!«

      J.J. senkt den Blick und schnaubt.

      »Für mich gibt es keine Herzensentscheidungen mehr! Ich finde keine Lösung. Es ist alles viel zu kompliziert!«, zischt sie genervt.

      Das Sonnentrichterorakel nickt verständnisvoll.

      »Aber nicht alle komplizierten Aufgaben erfordern komplizierte Lösungen, meine Liebe. Manchmal können wir sie nur nicht sehen, obwohl sie direkt vor unseren Augen sind. Es wird alles wieder gut werden, Jezabel! Du musst GLAUBEN und aus deiner Lethargie erwachen! Wach auf, schwarze Prinzessin!«

      Eigentlich wissen alle Bewohner, dass es ihr nicht gefällt, wenn man sie mit diesem Titel anspricht. Deshalb ist J.J. auch sehr verwundert, dass Florence ihn jetzt so betont. Aber sie kann das Orakel nicht mehr danach fragen. Die Trichterblüten verschließen sich langsam und verdecken bereits das Gesicht von Florence.

      J.J. denkt noch einige Minuten über diese Worte nach und geht hinauf in ihr Zimmer. Sie setzt sich an ihren Schreibtisch und grübelt. Eigentlich möchte sie den Monitor hochfahren, um sich etwas abzulenken, aber sie traut sich nicht. Sie weiß, dass sie damit einfach alles in Erfahrung bringen kann. Aber das will sie nicht. Noch nicht.

      Sie will auch nicht die alten Nachrichten lesen, deren Absender sie nicht mehr antworten kann. Aber irgendetwas muss sie tun.

      »Ich brauche dringend eine Lösung!«

      Das Mädchen kneift die Augen zusammen und schnippt schnell mit den Fingern. Nachdem sie den dunklen Monitor eine Zeit lang angestarrt hat, tippt sie doch auf die alten E-Mails. Den Boten ignoriert sie, da sie die neuen Nachrichten nicht lesen möchte.

      J.J. schließt die Augen und atmet tief durch. Wie hypnotisiert gleitet ihr Finger auf die Nachricht von Linus. Sanft streicht sie über seine Worte. Als ihr Blick jedoch Avas Nachrichten streift, drückt sie wütend auf die Löschtaste.

      »Ich hasse dich! Wie konntest du nur so etwas tun? Er hat gewusst, dass du uns verrätst, und ich habe ihm nicht geglaubt! Das werde ich dir irgendwann heimzahlen!«, schreit sie, während sie wie besessen auf der Löschtaste herumhämmert.

      »Wie konntest du das nur tun? Ich hasse dich!«, schluchzt sie immer und immer wieder.

      Dann starrt sie eine Weile stumm auf den Monitor. Sie weiß nicht warum, aber sie geht zurück auf Linus’ Nachricht und tippt auf »Antworten«. Unbewusst berührt sie dabei die Feder, die er ihr geschenkt hat und die sie seitdem nicht mehr abgenommen hat.

      Linus.

      Ich weiß, dass du diese Nachricht niemals bekommen wirst. Aber wenn ich schon nicht mehr mit dir sprechen kann, muss ich dir wenigstens schreiben.

      Meine Großmutter hat mir einmal gesagt, dass die Theorie, dass die Zeit alle Wunden heilen würde, in der Praxis nicht funktioniert. Sie glaubt, dass lediglich die Erinnerungen verblassen, der Schmerz aber bleiben würde.

      Nun, ich kann behaupten, dass sie ebenfalls unrecht hatte. Meine Erinnerungen verblassen nämlich nicht und der Schmerz bleibt nicht nur, er wird täglich größer!

      Es gibt so viele Fragen, die ich dir stellen wollte und so viele Dinge, die ich dir sagen muss. Aber das kann ich nicht mehr. Das ist grausam und ich halte dieses Gefühl kaum aus. Es gab eine Zeit, da bist du mir wenigstens noch in meinen Träumen erschienen. Selbst das geschieht nicht mehr.

      Ich bin einsam, Linus. Auch wenn du mir gesagt hast, dass dies nur ein Wort der Menschen sei. In diesem Moment bin ich einer. Ein Mensch mit rabenschwarzem Blut, in einem verwunschenen Haus.

      Aber ich bin keine dunkle Hexe! Ich wollte das nicht.

      Nachdem sich in den ganzen Wochen davor alles um diesen verdammten Vergessenszauber gedreht hat, war es für mich eine logische Schlussfolgerung, dass ich ihn in diesem Moment bei dir anwende.

      Ich wollte mein Leben retten und dich davor schützen, dass du zu Stein wirst. Ich habe nicht darüber nachgedacht, dass du kein Lythargium hast, das ich dir bringen kann.

      Ich sehe keinen Ausweg. Aber ich suche nach einer Lösung. Ich werde dich von diesem Fluch befreien! Koste es, was es wolle!

      Ich wünsche mir so sehr, dass ich noch einmal mit dir reden könnte!

      Jezabel

      PS: Du hast mir versprochen, dass du immer auf mich aufpassen wirst! Du hast es versprochen!!! Aber du hast mich auch allein gelassen! Und wer passt jetzt auf mich auf? Du hast mich auch belogen!!! Ich hasse dich!,

      tippt sie wütend hinterher.

      Sie schluchzt und löscht den letzten Satz, bevor sie auf die Sendetaste drückt. Trotz des Wissens, das er ihr nicht antworten kann, wartet sie auf den Boten mit den geflügelten Schuhen. Dieser kommt auch prompt durch den Monitor geflogen, hält aber nur lächelnd die Eingangsbestätigung in die Höhe.

      Nach einer Stunde findet sie sich damit ab, dass sie keine Antwort bekommen wird, und lässt den Monitor in der Tischplatte versinken.

      Dann geht sie in ihr Ankleidezimmer und setzt sich wieder in den Sessel. Stundenlang denkt sie krampfhaft über die Gespräche mit ihrer Großmutter nach. Aber egal wie oft sie das tut, sie findet keinen Hinweis, wie man einen Vergessenszauber bei einem Wesen rückgängig machen kann, das keinen Gedankenstein besitzt. Sie hat es auch schon mit Visualisierung versucht. Aber das Bild von Linus, der mit hassverzerrter Fratze fluchend auf sie zukommt, unterbricht jedes Mal ihre Konzentration. Ihre Adern schwellen an und der Druck im Bauch wächst. Noch unterdrückt sie diesen Impuls, aber das kostet Kraft. Viel zu viel Energie, die sie im Moment nicht hat. J.J. weiß nicht, wie lange sie das noch schafft.

      Sie legt ihren Kopf auf die Knie und weint.

      Wie lange soll das noch so gehen? Irgendwann muss sie etwas unternehmen.

      »Aber nicht jetzt. Ich bin so müde«, raunt sie erschöpft, während sie in die Dunkelheit starrt und ihre Gedanken umzulenken versucht.

      Es gelingt ihr nicht. Aber es verbraucht so viel Kraft, dass sie irgendwann vor Erschöpfung einschläft. Das ist ihr Ziel und mittlerweile ein allabendliches Ritual.

      Wie viele Abende sie das inzwischen schon getan hat, weiß sie nicht. Zeit hat für das Mädchen keine Bedeutung mehr. J.J. gleitet von einem Dämmerzustand in den nächsten und mittlerweile ist sie viel zu schwach,