Heinz Schöpf

Hundswand


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sagt Manuel, während er auch schon schnellen Schrittes losmarschiert.

      Er hat leicht reden, schließlich ist er als Einziger von uns mit wetterfesten Wanderschuhen ausgestattet.

      „Nicht die Grappas, sondern die Obstler“, flüstert Carl und zwinkert mir zu, während er die Schnallen seiner Sandalen löst. Er zieht sie aus, nimmt sie in die Hände und läuft Manuel barfuß hinterher.

      „Obstler gibt es nur bei uns, nicht in Limone!“, schreie ich ihm nach.

      Ich vermeine ein „Eben darum!“ zu hören, weiß jedoch nichts mit seiner Antwort anzufangen.

      Manuels schweres Schuhwerk, das überhaupt nicht zum Rest seiner übrigen Erscheinung - Polohemd, Bermudas und Strohhut - passt, hätte mich sofort stutzig machen müssen.

       2

      Auf das diesjährige Stammtischwochenende habe ich mich ganz besonders gefreut. Ein äußerst anstrengendes Schuljahr neigt sich dem Ende zu. In acht Tagen beginnen die verdienten Sommerferien. Zuvor jedoch werde ich die zwei schönsten Tage des Jahres genießen: in Limone, meinem Lieblingsort, in Italien, meinem Lieblingsland, angefüllt mit leichten Gesprächen und schwerem Wein, nur wir drei Freunde, die beiden ohne Ehefrauen, ohne pubertierenden Anhang (ich bin ledig und kinderlos, Gott sei Dank), befreiendes Gelächter über dies und das, einfach ein bisschen die Zeit tot schlagen mit Polenta und Kaninchen, meinem Lieblingstier, vorzugsweise medium, in leichter Rotweinsoße, im Schatten der Zitronenbäume unserer Stamm-Trattoria, anschließend ein, zwei, vielleicht auch sechs oder sieben Grappas auf der Terrasse von Ernestos Bar und als krönender Abschluss die Zeremonie des Entkleidens und Nacktbadens im kühlen Gardasee, um einigermaßen wieder zur Besinnung zu kommen und halbtot zum Hotel Santa Maria zu wanken, wo wir uns mit schweren Zungen und leichten Herzen, sorglos wie die 14-jährigen Jungs meiner 4b auf Klassenfahrt, bei Sonnenaufgang in die Betten unserer gemütlichen Einzelzimmer fallen lassen, gerade einmal drei Stunden von hier entfernt.

      Zwei Jahre ist`s nun her, dass wir dort gewesen sind.

      Aber ich erinnere mich noch genau an jedes Detail, jeden Duft, jeden Gedanken, jedes Kaninchen.

      Heute Abend ist es endlich wieder so weit.

       3

      Der Taxifahrer, beim Einstieg eben noch überschwänglich freundlich, bestraft mich für die zweiminütige Fahrt mit Schweigen sowie einer kleinen Reise durch Sackgassen und Baustellen, bis er mit elfminütiger Verspätung und um zwölf Euro reicher endlich in die Schillerstraße einbiegt.

      Carl und Manuel sitzen längst im Wagen, damit beschäftigt, mit den Unterarmen die beschlagenen Scheiben trocken zu wischen.

      Ich steige hinten ein und lasse mich erschöpft auf die Rückbank fallen, völlig durchnässt, weil mich der Taxifahrer nach Erhalt des Fahrgelds, begleitet von einer zaghaften Beschwerde meinerseits, ziemlich grob ins Freie befördert hat, grußlos, mit der fadenscheinigen Ausrede, er dürfe weder da noch dort anhalten, sondern ausschließlich hier. Und dieses Hier heißt ungefähr zweihundert Meter Entfernung zu Carls Wagen, heißt demnach zweihundert Meter Fußmarsch durch orkanartige Gewitterböen, sodass sich meine Flipflops wie zwei Stangen Zuckerwatte nahezu in Nichts auflösen, heißt: Ich hätte gleich mit meinen Freunden mitlaufen können, barfuß, gratis.

      Carl dreht mit der rechten Hand den Zündschlüssel und schmiert mit dem Rücken der linken über die Seitenscheibe. Manuel niest.

      „Noch ein zweites Mal Die Wand angesehen, was?“, fragt Carl.

      „Und, wie ich sehe, endlich ohne Genierer die Kleider vollgeweint,

      weil Carl und ich nicht mehr zugegen waren?“, fragt Manuel.

      „Der Hund hat sehr gut gespielt“, sage ich, gleichsam als Entschuldigung für mein Zuspätkommen, bemüht, meine Atmung unter Kontrolle zu bringen, die Schwermut aus dem Film zu nehmen und Manuel daran zu erinnern, Carl daran zu erinnern, Manuels Hundsvieh abzuholen.

      Manuel, der wie immer sofort versteht, was ich meine, sagt:

      „Apropos Hund, Carl, vergiss nicht, Hundsvieh abzuholen, du weißt, ich hab`s meiner Frau versprochen und, an mich gewandt:

      „Paul, drehst du mir eine Zigarette?“

      „Gern“, lüge ich.

      „Das Hundsvieh hätt ich jetzt glatt vergessen“, sagt Carl genau in dem Moment, als Manuels Handy läutet. Manuel schaut auf das Display, lässt betont langsam den Blick zuerst in die Nebellandschaft schweifen, dann zu Carl und schließlich zu mir, zündet sich die von mir gedrehte, von ihm geleckte Zigarette an, die gesenkten Augenbrauen und die fächelnde Handbewegung von Carl ignorierend, drückt die grüne Taste, hält das Handy dicht an sein Ohr, meldet sich mit „Hallo, Schatz“ und hört eine Weile still zu.

      Carl dreht seinen Kopf zu mir her, schüttelt ihn, gibt im Rhythmus des Kopfschüttelns ruckartig Gas, was wohl daran liegt, dass er barfuß ist, und formuliert mit den Lippen:

      „Siehst du. Ich hab`s doch gleich geahnt.“

      Manuel scheint die aufkeimende Unruhe zu spüren, drückt das Handy noch näher an sein Ohr und flüstert hinein:

      „Ja. - Ja. – Ja. Toller Film – Ja. – Ja. War erst kurz nach vier zu Ende. – Ja. - Nein. – Weiß ich. - Mach ich. – Ja. Jaja. – Ja, ja gut. – Ja. – Jaja. – Ja klar. – Ja. – Ja, seh ich ein. – Jaja. Natürlich. – Ja, ich auch. – Ja, du dir auch. - Ja, richt ich den beiden aus. – Ja. Ich dich auch.“

      Carl dreht sich erneut zu mir und sagt halblaut:

      „Übrigens, Paul: Ich darf dich jetzt schon höflich daran erinnern, dass du, als Verlierer der Wette, heute Abend mit der Bezahlung der Obstler an der Reihe bist.“

      Manuel massiert mit beiden Zeigefingern seine Augenlider, das Handy in der rechten Hand festhaltend.

      „Grappas, nicht Obstler“, antworte ich arglos.

      Manuel klappt sein Handy zu und blickt versonnen zum Plafond, setzt sich seine Kopfhörer auf, atmet ein paarmal tief durch, drückt an seinem iPad herum, schließt die Augen, zupft an einer imaginären Gitarre und summt eine dissonante Melodie.

      Carl hebt die Brauen, massiert mit zehn Fingern das Lenkrad, zwinkert mir über den Rückspiegel zu, wirft Manuel einen kurzen Blick zu, stellt fest, dass wir unter uns sind, und beginnt, Manuels Sprechpausen von vorhin mit Sinn und der Stimme von Manuels Frau zu füllen:

      „Und? Wie war der Film? Ergreifend, was? Hat er den beiden auch gefallen?“

      Ich lache in meine Hand, gebe ihm aber augenblicklich mit meinem Zeigefinger an den Lippen zu verstehen, er müsse aufpassen, dass Manuel nichts mitbekomme. Carl nimmt die Hände vom Steuer, lenkt mit den Oberschenkeln weiter, gibt Gas und bedeutet mir mit gefalteten Händen, die er an seine Wange schmiegt, dass Manuel nichts mitbekommen könne, weil er über seiner Luftgitarre eingeschlafen sei. Ich grinse und äffe Selmas Stimme nach:

      „Schatz, du hast das Buch von Marlen Haushofer doch hoffentlich eingepackt? Jetzt hast du ja zwei ganze Tage und Nächte Zeit zum Lesen! Noch dazu im sonnigen Süden, während wir hier schon wieder die Wintersocken auspacken müssen. Ich Berg-Schi, du Wasser-Schi.“

      Carl schlägt mit beiden Händen aufs Lenkrad und setzt noch eins drauf:

      „Und, Schatz, du vergisst wirklich nicht auf Hundsvieh? Ihr müsstet doch eigentlich schon längst hier sein. Hundsvieh furzt in einer Natur. Das zeigt mir, wie es sich auf die Almhütte freut. Es braucht wirklich mal wieder ausgiebig Frischluft und ordentlich Auslauf. Und sag bitte Carl, er soll vorsichtig fahren.“

      Was sollte das jetzt heißen? Warum erwähnte Carl die Almhütte?

      In der