Heinz Schöpf

Hundswand


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ich das mit der Almhütte meinte, Schatz?“

      „Äh, Schatz, das wollte ich dir ja gerade vorschlagen: Wenn ihr drei schon mal dabei seid, euch zu amüsieren, schaut doch bitte vor Limone noch auf einen Abstecher in Almdorf vorbei, um in der Hütte nach dem Rechten zu sehen“, antwortet Carl mit einem sarkastischen Unterton, den ich an ihm nicht kenne.

      Jetzt habe ich Blödmann es endlich kapiert: Manuels Frau will uns auch heuer wieder von Limone fernhalten - wie schon letztes Jahr. Die will sich das Geld für die teure Sanierung dieser Almbruchbude auf unsere Kosten sparen.

      Ich bin gleichermaßen irritiert wie verärgert, dass ich lauter als zuvor in Richtung Manuels Ohr spreche:

      „Lass mich bitte ausreden, Schatz, meine hübsche Almhütte liegt ja in etwa auf eurem Weg. Und nur so ganz nebenbei: Müsst ihr überhaupt nach Limone? Almdorf ist doch genauso schön! Und noch dazu viel näher!“

      Manuel hört und sieht nichts, er summt mit geschlossenen Augen unverdrossen vor sich hin, Carl hebt den Daumen, wohl als Zeichen dafür, dass ich endlich begriffen und mit meiner Antwort den Nagel auf den Kopf getroffen habe, und sagt, jedes Wort nach allen Seiten hin mit einem Nicken untermauernd:

      „Ihr spart Benzin und könntet dort oben gleich ein bisschen nach dem Rechten sehen, was meinst du? Und wenn ihr alles erledigt habt, könnt ihr ja, wenn`s denn sein muss, eventuell immer noch nach Italien aufbrechen.“

      Ich (stinksauer): „Ihr habt doch euren Spaß da wie dort, oder? Und Hundsvieh befände sich noch dazu auf vertrautem Terrain. In Limone langweilt es sich vielleicht zu sehr. Da fehlen ihm die Berge.“

      Carl (feierlich): „Ich bin schon so gespannt auf deine Interpretation des Romans! Mensch, Manuel, zwei Tage und Nächte Zeit zum Lesen – wenn ich die bloß einmal für mich zur Verfügung hätte.“

      Ich (getragen): „Und Paul und Carl sollen dir bitte während deiner Lesepausen bei den Ausbesserungs- und Aufräumarbeiten ordentlich zur Hand gehen!“

      Carl (gönnerhaft): „Meinetwegen kannst du ihnen ja dafür ein Stamperl Obstler servieren. In der Kredenz müsste sich noch eine angebrochene Flasche vom letzten Jahr befinden. Aber vergiss nicht, die Flasche wieder gut zu verschließen! Dann müsste der Schnaps für Juli nächsten Jahres reichen!“

      Ich (sehr ernst, lange nicht so feierlich wie vorhin Carl):

      „Pass auf!“

      Carl, eben im Begriff, gleichzeitig das Fenster und die Augen trockenzuwischen und einen neuen positiven Satz für Manuels Frau zu formulieren, legt eine Vollbremsung hin, um einer Fichtenkrone auszuweichen, die quer in die Fahrbahn herein ragt. Mir ist nicht entgangen, dass Manuel inzwischen die Kopfhörer abgenommen und sich meine Zigarette erneut angezündet hat, nachdem er sie zuvor am Haltegriff des Seitenfensters ausgelöscht hat. Carl spricht nach seinem gewagten Bremsmanöver munter weiter, ohne zu registrieren, dass Manuel uns inzwischen aufmerksam zuhört:

      „Ach, übrigens: weil wir uns ja heute gerade so intensiv mit dem Thema Wand befassen: Ich glaube, die Wand hinter dem Ofen gehört wieder einmal frisch geweißelt, Schatz. Da müsste noch genug Dispersionsfarbe in der Speisekammer sein, in einem der Marmeladengläser von Oma! Nicht dass ihr sie aus Versehen zum Frühstück aufs Brot streicht! Und vergiss bitte nicht, die Hortensien unterm Nordfenster zu gießen und die Engelstrompeten hinterm Haus!“

      Ich sage, nun ziemlich laut:

      „Ich glaube, es beginnt bald zu schneien.“

      Carl vermag meinen Wink nicht richtig zu deuten:

      „Ich geh jetzt übrigens mit Hundsvieh schon mal vor die Tür. Bis dann! Ich liebe dich! Genießt die Zeit! Hast du mich auch lieb?“

      Er blökt drauflos. Mir ist längst nicht mehr zum Lachen zumute, ich schwitze trotz der Kälte und verdrehe meine Augen zum Plafond wie Manuel vorhin.

      Manuel kratzt mit seinem vom Tschick geschwärzten Daumennagel einen Totenkopf in das Sitzpolster und schnäuzt in sein weinrotes Stofftaschentuch.

      Das weinrote Tuch hat er bisher nur einmal verwendet. Beim Begräbnis seiner Mutter.

      Schon wieder Almdorf. Wieder nicht Limone. Wieder nur Nebel. Nässe. Kälte. Enge. Und Arbeit.

      „Carl, müsstest du jetzt nicht eigentlich dort drüben fahren?“, frage ich scheinheilig.

      Carl, eben im Begriff, den Wagen in die Spur Richtung Autobahn Brenner, Richtung Limone zu lenken, tritt aufs Bremspedal, ohne in den Rückspiegel zu blicken und das Gehupe hinter uns zu registrieren, erwidert nüchtern, als ob wir nie anders miteinander geredet hätten:

      „Scheiße, natürlich falsche Richtung, diesmal geht`s ja wieder nach Dings. – Und, Scheiße, ja, das Dings.“

      Seit ich Carl kenne, verwendet er Dings immer dann, wenn es ihm die Sprache verschlägt: aus Verlegenheit oder vor Wut. Scheiße ist ihm noch kein einziges Mal über die Lippen gekommen und nun gleich zweimal hintereinander. Das verheißt nichts Gutes. Manuel reibt sich mit seinem braun-gelb karierten Stofftaschentuch über die Augenlider.

      Die Stimmung im Inneren des Autos hat sich schlagartig der kühlen Außentemperatur angepasst.

      Wäre ich nur annähernd Herr über meine Gefühle, würde ich jetzt zwei Dinge tun: aus dem fahrenden Auto springen und die vierzig Kilometer barfuß nach Hause laufen.

      Mein Instinkt lässt mich völlig im Stich.

       4

       Magdalena. Deine schwarzen Zöpfe. Diese schmalen, weißen Hände, mit den angeknabberten, schwarz lackierten Nägeln, wie die von Hannah in der 4a, so unvollkommen unregelmäßig und gerade deshalb so reizend, deine Zunge, wie sie zwischen deinen lustigen Sommersprossenwangengrübchen zuerst über die Unter- und dann über die Oberlippe gleitet, immer gegen den Uhrzeigersinn, das hab ich genau beobachtet, und zwar immer dann, wenn du deinen Mann anlächelst, während du deine schwarze Pupille verstohlen zu mir her drehst wie die Linse einer Camera obscura. Und wie du dir jedes Mal ein Zopfende in den Mund steckst, wenn du nervös bist. Wie mir das gefällt. Wie ich es schon dreimal darauf angelegt habe, dass du nervös wirst, nur um dir dabei zuzusehen, wie du an einem Zopf lutschst, und dreimal hast du es tatsächlich getan, zweimal am linken, einmal am rechten. Ich habe genau mitgezählt. Und wie ich mir dann jedes Mal vorgestellt habe, dein Zopf … ach, Magdalena. Du. Hier. Jetzt. Auf dieser Rückbank. Während meine beiden Freunde da vorne mit Schweigen und Scheibenwischen beschäftigt sind. Ich kann es kaum erwarten, dich zu sehen. Morgen Abend müsste nach meiner Berechnung der rechte Zopf an der Reihe sein. Hoffentlich wartest du nicht in Limone auf mich.

       5

      Statt Magdalena mindestens 80 Kilogramm Hundsvieh neben mir, die rechte Vorderpfote auf meinem linken Oberschenkel ruhend, sein Arsch dicht an meinem, mich immer weiter gegen die Schiebetür quetschend, sabbernd, hechelnd, furzend sich räkelnd, hektisch um sich blickend, als befänden wir uns auf der Flucht.

      Carl betätigt abwechselnd Hupe und Lichtsignal und zeigt jedem Fahrzeug, das uns rechts überholt, den Mittelfinger. (Er fährt konsequent mit 100 Stundenkilometern auf der Überholspur – „Ich fahre die Höchstgeschwindigkeit.“) Als Mensch ist Carl der beste Kumpel, als Autofahrer eine Sau. Unentwegt verreißt er das Lenkrad, weil er für jedes obszöne Handzeichen das rechte Seitenfenster hinunter und sofort wieder hinauf kurbelt und sich währenddessen ständig über Manuels Oberkörper beugen muss. Manuel ächzt und hustet. Hundsvieh beginnt sich an mir festzuklammern.

      Die Wischer kämpfen gegen die Wasserströme. Unsere Körper dampfen wie Monets Misthaufen in der Morgensonne, Hundsvieh stinkt nach nassem Hund. Aus seinem Maul steigen Schwaden wie aus einem Weihrauchfass, eine feinherbe Note von Myrrhe und roher Kalbsleber verströmend, es fletscht die Zähne und sieht dabei so gutmütig und fromm aus wie der neue Papst.