Heinz Schöpf

Hundswand


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      Carl ist von der Autobahn abgefahren. Nun lenkt er den Wagen über die Landstraße, taucht ihn, wie mir scheint, absichtlich in jedes Schlagloch, um Manuel wachzurütteln, das schmutzige Wasser spritzt gegen die Scheiben, die Wischer verschmieren es zusammen mit den zahllosen Leichen von Mücken und Schmeißfliegen zu gelb-grauen Schlieren, der Auspuff gurgelt wie ein verstopfter Darm, Manuel gähnt unverfroren in seinen Ellbogen, anstatt Carl ins Lenkrad zu greifen und ehrlich zu sagen: „Andere Seite! Dort drüben geht’s lang! Und, Selma, dass du`s nur weißt, lass uns jetzt einfach mal zwei Tage und zwei Nächte in Ruhe! Bring deine Hütte gefälligst selber auf Vordermann, nein, Verzeihung, Frau Gender, auf Vorderfrau, fleißig und stark, wie du bist, was du ja bei jeder Gelegenheit betonst.“

      Hundsviehs rechte Pfote liegt zufrieden auf meiner rechten Schulter, die linke auf meinem linken Oberschenkel, sodass der Fahrer hinter uns wohl nur an das eine denken wird: Du meine Güte, da vorne geht hinten die Post ab.

      Der Unterboden schleift und reibt über Schutt und Geröll, so vollgepackt ist der Kofferraum mit unseren Rucksäcken, mit Wolldecken, Putzmitteln, Geschirr und Paletten mit Hundewurst, Konservendosen sowie Plastiktaschen verschiedenster Inhalte: gefüllte Paprika in Tomatensoße, gefüllte Tomaten in Paprikasoße, acht Schätze süß-sauer, Kalbsgulasch Jägerart, Hundekuchen Großmutterart, Naturschnitzel Zigeunerart, Mohr im Hemd, diverse Leckerlis für den Hund, zwanzig Liter Grauvernatsch im Tetrapak für die Jäger und Förster (von Selma zuvor in eine noble Karaffe umgefüllt), die zu früher Morgenstunde mit ihrem Restalkohol vom Vorabend an der Hütte vorbei kommen, um nach ein paar Begrüßungsgläschen beschwingt zu ihren Hochständen aufzubrechen – insgesamt also weit über 100 Kilogramm Proviant an Bord, ausreichend für eine dreiwöchige Europatournee des Städtischen Sinfonieorchesters. Plus 80 Kilogramm Übergepäck. Hundsvieh.

      Das Bepacken des Kofferraums hat 40 Minuten in Anspruch genommen, was genau der Wegstrecke von hier bis nach Brixen entspricht. Wir könnten also längst in Italien sein.

      Drei vorgebackene Wiener Schnitzel vom Almschwein und ein Kilo gekochte Petersilienkartoffeln, die uns Selma für den morgigen Abend portioniert hat (heute sollen wir laut ihrer Anweisung beim Almwirt in Almdorf zu Abend essen), befinden sich eingeschweißt in einer Frischhaltefolie in der Auftauphase auf der Rückbank links von Hundsvieh, dessen Nase merkwürdigerweise mir zugewandt ist, das auftauende Schwein konsequent ignorierend. Irgendetwas ist da faul. Entweder hat das Schwein sein Ablaufdatum überdauert, oder Hundsviehs feine Nase wittert etwas anderes, weit Wichtigeres, eine Aura, zu der wir Menschen keinen Zugang finden. Kein Hund der Welt beschäftigt sich mit einem Menschen rechts von ihm, wenn links drei Wiener Schnitzel vom rosa Almschwein im Begriff sind, ihr zartes Aroma zu entfalten. Oder ist Hundsvieh schlichtweg Vegetarier?

      Jetzt legt es seine Schnauze auf meinen Oberschenkel und beginnt, in meinen Schoß zu weinen, nicht etwa zu winseln wie normale Hunde, nein, es weint und wimmert wie ein Mann, der sich für seine Schwäche schämt, ganz leise, damit es nur ja niemand merkt. Ich streiche ihm sanft über den Hinterkopf, schiebe seinen Ohrlappen zur Seite und raune ihm ebenso leise in seinen empfindlichen Gehörgang:

      „Reiß dich zusammen, alter Junge. Sei ein Mann.“

      Meine Oberschenkel sind derart vollgesabbert, dass ich Hundsvieh an den Schlappohren hochziehe und seinen Kopf ziemlich grob mit beiden Händen zuerst in die Höhe und dann ein Stück von mir weg stemme. Viel zu unfreundlich sage ich: „Halt endlich die Fresse. Ich wär ja auch lieber nach Limone gefahren und weine dir deshalb nicht das Fell voll.“

      Nun endlich winselt es, wie es sich für einen richtigen Hund gehört.

      Der Rückspiegel starrt mich mit Manuels Augen finster an.

      Ob er für Hundsvieh und dessen labile Gemütslagen auch verschiedenfarbige und -gemusterte Taschentücher eingepackt hat?

       7

      Wasser und Nebel, wohin man schaut. Aus dem Autoradio tönt Don`t look to the eyes of a stranger von Iron Maiden, Hundsvieh blickt kurz zu den Schweinsschnitzeln, rückt aber noch näher an mich heran, dreht den Kopf zu mir her, schaut mir in die Augen, verrenkt seinen Körper, blinzelt und hechelt, als singe es playback. Seine Zungensäfte tropfen auf meine Schultern und besudeln die Polsterung.

      Das Thermometer sinkt binnen Minuten von 11 auf 2 Grad.

      Nun setzt Schneeregen ein, und wir vier sitzen im Jeep fest, drei in Sommeradjustierung, einer nackt, einer mit warmen Füßen.

      Carl schaltet die Heizung auf Hochtouren, sie kann aber nichts gegen die Ausdünstungen im Wageninnern ausrichten, die Fensterscheiben verweigern die Sicht nach draußen, es riecht nach kaltem Schweiß und schlechtem Atem.

      „Die Frau da im Film, die ist doch innerhalb dieser Wand eingeschlossen. Gefangen. Alles, was sich von ihr aus gesehen hinter der Wand befindet, ist offenbar tot. Ausgelöscht. Rings um sie nur diese paar Tiere. Der Hund. Die Kuh. Die Katze. Die Gedanken der Frau kreisen eigentlich nur ums Durchfüttern dieser Tiere. Oder habe ich den Film gänzlich falsch verstanden? Was meint ihr dazu?“

      Es ist Carls Stimme, die das so monoton vor sich hin sagt, als wolle sie die Nebelwand verscheuchen.

      Manuel und ich meinen gar nichts dazu. Manuel, weil er wegen der Kopfhörer nichts hört, und ich, weil ich mich auf keine Diskussion einlassen möchte, ich will einfach nur raus hier, raus aus diesem stinkenden Gefängnis, raus aus dem Nebel. Verzeih, Carl, aber jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt für eine Filmkritik.

      Carl lenkt den Wagen zielstrebig und routiniert durch die Unbilden dieser unwirtlichen Landschaft, sämtlichen Schlaglöchern nun wie ferngesteuert trotzend, als habe er auf unserer Fahrt vor einem Jahr sämtliche Besonderheiten dieses Wegs detailgetreu auswendig gelernt und bis zum heutigen Tag verinnerlicht.

      Dann überschlagen sich die Ereignisse. Carl vollführt eine Vollbremsung, es kracht, wir werden durchgebeutelt, ich stoße mit der Stirn an den Haltegriff des Seitenfensters, Carl ruft: „Limone! Endstation! Aua! Alles aussteigen!“, ich registriere, wie Manuel in ein braun-gelb kariertes Stofftaschentuch prustet, wie er Carl mit einem strafenden Blick versieht, wie er ein zweites, weiß-blau gestreiftes, aus dem Hosensack zieht und sich damit über die Wangen wischt, und während ich noch überlege, wie seltsam das aussieht, so als wolle er uns einen Zaubertrick vorführen, werde ich ohnmächtig, wache aber gleich wieder auf, weil Hundsvieh seinen Körper an mich presst, zitternd auf mir zu liegen kommt, ich schnappe nach Luft, eine Pfote streicht über meine Stirn, ich bin irritiert, frage mich, ob womöglich auch Hunde zu Homophilie neigen können, sein linkes Auge tränt, das rechte zwinkert mich an, seine Zunge leckt mir über die Stirn, rau, dennoch tröstend, mit der freien Hand öffne ich die Schiebetüre und schubse Hundsvieh ins Freie, jaulend vollführt es eine Körperdrehung, kommt auf allen vier Beinen zu stehen, schüttelt sich, wendet den Kopf zu mir, warum hast du das getan, sagt sein Blick, es springt mit einem Satz zu Hermann, dem Alm-Wirt, der unmittelbar nach dem Aufprall herbei geeilt ist und vor ihm zurückweicht, weil es ihn anknurrt, Manuel pfeift es zurück, worauf es sofort kehrt macht, Hermann begrüßt uns mit einem brummenden „Guten Abend zusammen! Also derart spektakulär hat noch keiner hier eingeparkt“, sobald er jedoch bemerkt, dass wir nahezu unverletzt aus dem Wagen steigen, schwingt ein unfreundlicher Ton mit:

      „Der neue Hausbrunnen hat übrigens 900 gekostet und hätte mich und eigentlich auch meine Urenkel überdauern sollen.“

      Manuel lacht ihm direkt ins Gesicht und sagt:

      „Ich bin schon gespannt, was es heute Gutes zum Abendessen gibt.“

      Das Gesicht des Wirts zeigt keinerlei Regung, aber ich spüre, dass auch er Manuels Reaktion unpassend findet.

      „Wiener Schnitzel vom Schwein, mit Petersilkartoffeln und Salat“, sagt der Wirt ruhig, ebenso ruhig wendet er sich ab. Er würdigt uns keines Blickes mehr. Manuel geht ihm nach, er redet auf ihn ein, erkennt nun offensichtlich selber, dass er einen Fehler gemacht hat, versucht, ihn wiedergutzumachen, mit Lobhudeleien, die der Nebel nicht verschlingt, sondern