Heinz Schöpf

Hundswand


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mit einer kleinen Predigt auf Arabisch willkommen heißen.

      „Ischhod! Ischhwadschohead, dadeheea echwowaschiim awaad haad.“

      Er kaut, lacht, blickt zu Manuel, Manuel lacht mit, wir lachen nicht.

      Dann schluckt er die Kartoffelreste hinunter und sagt, nun verständlich:

      „Grüß Gott! Ich habe schon gehört, dass der Herr euch vor Schlimmerem bewahrt hat!“

      Manuel lacht erneut.

      „Allwissend, wie unser Herr nun mal ist, hat er in seiner grenzenlosen Güte dafür gesorgt, dass mir heute Abend drei unversehrte Partner zur Verfügung stehen. Kurz und gut: Ich freue mich auf einen zünftigen Vierer-Watter!“

      Manuel lacht nicht mehr. Er tupft sich mit seinem grün-karierten Taschentuch die Stirn trocken.

      Ich trete einen Schritt näher an den Tisch, um ihm die Hand zu geben, steige auf etwas Weiches, das Weiche jault auf, ich bücke mich und entdecke unterm Tisch Hundsvieh. Carl, der sich zeitgleich hinunter gebeugt hat, flüstert mir ins Ohr:

      „Die Schau mit der Kartoffel hat er letztes Jahr doch auch schon abgezogen. Hör zu, Paul, ich brauch heut Abend kein Dauerdéjà-vu. Statt mir kann diesmal der Almwirt oder meinetwegen auch das Hundsvieh hier mit ihm Karten spielen, ich geh nach dem Abendessen lieber voraus zur Hütte und warte dort auf euch.“

      (Carl wurde letzten Juli vom Herrn Pfarrer beim mitternächtlichen Zweierschnapser in Grund und Boden besiegt, während Manuel und ich die Hütte auf Vordermann brachten.)

      Ich höre ihm nur mit einem Ohr zu, weil ich mich um Hundsvieh kümmern möchte, das wie ein Bärenfell vor mir liegt und mich mit derart traurigen Augen ansieht, dass ich lachen muss. Ich streiche ihm über den Kopf, es zeigt keinerlei Reaktion, ich kitzle es am Bauch, es legt sich zur Seite, hebt eine Pfote, unterdrückt ein Lachen, leckt mir die Finger ab, ich packe seinen Kopf mit beiden Händen, kraule es von der Stirn bis hinter die Ohren, massiere mit den Daumen seine Wangen, führe seine Schnauze an meine Nase und schaue ihm direkt in die Augen.

      „He, Hundsvieh, was ist los? Beleidigt? Verzeih mir! Ich wollte dir nicht weh tun.“

      Hundsvieh schließt die Augen, dreht seinen Kopf von mir weg, leckt seine Pfote und winselt dabei leise vor sich hin.

      Einige Zeit später sollte ich erfahren, was es mir an jenem denkwürdigen Abend mitteilen wollte:

      „Du scheinst aber auch gar nichts zu kapieren. Jetzt hast du mir schon zum zweiten Mal weh getan. Aber pass mal auf: Wegen so einer Kleinigkeit soll ich beleidigt sein? Angesichts dessen, was auf uns, was auf dich und mich zukommt, war das ein kleines Häufchen.“

      Über mir vernehme ich Tellergeklapper und Stimmengewirr, höre den Wirt „Guten Appetit!“ sagen und den Pfarrer „Gott sei Dank!“, nehme Manuels Gestammel wahr: „Äh, nicht böse sein, Herr Pfarrer, wenn ich heute Abend nicht beim Watten dabei sein kann, aber in der Hütte gibt es diesmal ziemlich viel zu erledigen“, grinse über Carls Fluch, der sich nach „Au-verdammt-ist-das-heiß“ anhört, grinse nicht mehr, als er ein „Und ich muss Manuel leider chauffieren, aber ich denke, Paul hat sicher genügend Zeit für Sie“ nachlegt, trete ihm ans Schienbein und registriere zufrieden ein „Au-verdammt-tut-das-weh“. Hundsvieh stupst mich mit der Pfote an. Heißt das nun „Gut gemacht! Weiter so!“ oder „Hör auf! Halt dich doch nicht mit solchen Kleinigkeiten auf!“?

      Andrerseits, mir soll´s recht sein, wenn die beiden gleich nach dem Essen Richtung Hütte verschwinden, so spare ich mir sowohl das viele Geld für die vielen Obstler als auch die Schinderei mit Auspacken, Schleppen und Einsortieren des Zeugs aus dem Kofferraum. Und außerdem: einmal den Abend allein mit dem Pfarrer zu verbringen – wer weiß, ob das nicht Spannung verspricht.

      „Hör zu, Hundsvieh, du hast zwar den mit Abstand gemütlichsten Platz in dieser Stube, und am liebsten würde ich ja hier bei dir unterm Tisch sitzen bleiben, aber ich hab Hunger und muss mich auch ein wenig mit meinen Freunden und dem Pfarrer unterhalten, einverstanden? Also, bis später! – Hat Manuel dir überhaupt etwas zum Fressen und Saufen besorgt?“

      Hundsvieh knurrt leise. „Was ist? Habe ich mich etwa im Ton vergriffen, oder bist du böse auf dein Herrchen, weil es auf dich vergessen hat?“

      Sein Brummeln klingt irgendwie nach Dasistnichtmeinherrchen.

       9

      Der Almwirt ist mürrisch und wortkarg geblieben, er hat uns zwar während des Essens ein Glas Rotwein nach dem anderen nachgeschenkt, aber ohne zu fragen, ob uns das recht sei, und sich jedes Mal sofort zurückgezogen, ohne sich länger als nötig bei uns aufzuhalten.

      Manuel hat mich gebeten, sich um Hundsvieh zu kümmern (der Wirt verlangt einen Fünfer pro gefüllten Fressnapf, und es verzehrt vier Portionen), da es in der Hütte nur im Weg sei, und ist sofort nach dem Essen gemeinsam mit Carl aufgebrochen, ohne zu bezahlen, mit den üblichen Worten „Also dann! Bis später!“. Er wird mir die Zeche schuldig bleiben (mit dem Argument, dass ich dafür ja gratis in der Hütte nächtigen dürfe, sollte ich ihn daran erinnern, was ich nicht zu tun beabsichtige, was er bestens weiß), Carl wird einfach darauf vergessen. Ich werde es wie immer hinnehmen, werde wie immer keinem der beiden böse sein, werde die Rechnung ohne zu murren für uns vier begleichen.

      Der Pfarrer hat Manuels Platz eingenommen und sitzt nun mir gegenüber, der Kartenstapel liegt auf dem Tisch, zum Mischen bereit, Hundsvieh hat seinen Platz unterm Tisch zeitgleich mit Manuels Rückzug verlassen, hat ihm ohne Wehmut hinterher geschaut, ich habe auf den leeren Stuhl von Carl gedeutet und „Sitz!“ zu ihm gesagt, worauf es auf Anhieb hinauf gesprungen ist und eine Pfote auf das Tischtuch gelegt hat und die andere in die Luft geschwenkt, als wolle es Blutwurst mit Kraut bestellen oder den Wirt zum Zahlen herbei winken.

      Was die banalen Dinge des Lebens betrifft, gibt sich der Pfarrer im Verlauf unseres langen Gesprächs während des Schnapsens unprätentiös und pragmatisch (Ich bin nicht mehr in der Lage, den gesamten Wortlaut wiederzugeben.):

       „Sag ehrlich, Paul, wie lang ist es bei dir her, seit du das letzte Mal hrrmm hast? – Ich für meine Person lebe seit nunmehr sage und schreibe fünfzehntausendsiebenhundertdreiundzwanzig Tagen in Keuschheit, sprich: über dreiundvierzig Jahre Entsagung. – Erraten. Ja, ich führe tatsächlich eine Strichliste, und zwar an der Nordwand meines Arbeitszimmers, ein Sträfling mit gespitztem Bleistift in der Arrestzelle seines Glaubens. So Gott will, ist in zirka zwei Wochen die Südwand mit dem ersten Strich an der Reihe. – Jetzt weißt du wenigstens, wie man die Floskel „Auf den Strich gehen“ noch interpretieren kann. Ha.“

       „Jenseits? Ich bitte dich, Paul, nach dem Tod ist alles aus. Glaub mir. Aber unsereins tut sich einfach viel leichter, wenn er hier im Diesseits an ein höheres Wesen glauben kann. - Warum? Es nimmt dir die Angst.“

       „Der Sinn des Lebens? Gute Frage. Reduziert sich mit dem Alter auf zwei Dinge: ein gutes Essen und einen guten Tropfen. Als junger Kooperator habe ich es mir seinerzeit angewöhnt, pro schlechte Neuigkeit im „Almdorfer Boten“ einen Happen oder ein Gläschen zu mir zu nehmen. Im Gegenzug habe ich mir bei guten Meldungen Verzicht auferlegt. Dummer- oder soll ich sagen glücklicherweise? gewannen die negativen Schlagzeilen an Übergewicht – so wie ich. Ha. In guten Jahren mit vielen negativen Schlagzeilen nahm ich zehn bis zwanzig Kilo zu. Apropos zwanzig: Zwanzig in Laub! Und Sieg! - Einen Fasttag hat es nur ein einziges Mal in meinem Leben gegeben: Als der Almdorfer Bote eines Tages den Versuch unternahm, ausschließlich positive Meldungen abzudrucken. Das hatte eine Kündigungswelle zahlreicher altehrwürdiger Abonnenten zur Folge. Projekt positive Meldung sofort eingestellt. Projekt Fasten gescheitert.“

      „Eine Frage, Herr Pfarrer: Sie haben heute, als Ihr Wiener Schnitzel serviert wurde,

       Gott sei Dank gesagt. Warum?“

       „Das hat mich mein Onkel Josef