Heinz Schöpf

Hundswand


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noch nie geäußert. Meine Verstimmung hat sich in Verwunderung verwandelt.

      Ich überlege, dem Wirt nachzurennen und ihm die 900 aus meiner Brieftasche zu bezahlen, damit Manuel endlich den Mund hält. Und Carl wäre damit auch geholfen, denn der Kotflügel muss sicherlich ersetzt werden.

      Manuel folgt dem Wirt bis zum Eingang, ohne meine Ratlosigkeit und Carls Kopfschütteln in seinem Rücken zu spüren, ohne sich um mich und Carl zu kümmern. Sein Strohhut leuchtet im Schein der Laterne. Der Nebel trägt ein Bild zu mir her, das aussieht, als befinde sich dort vorne der Heilige Josef wieder einmal auf Herbergssuche.

      Hundsvieh bleibt auf halbem Weg unentschlossen stehen. Ein kurzer Pfiff von Manuel. Es läuft los, auffallend zögerlich, nicht wie ein Hund, der seinem Herrn gerne gehorcht, eher wie einer, der nicht bei ihm ankommen will.

      „Ich glaube, Manuel macht sich über den Wirt lustig“, sagt Carl.

      „Schwein!“, murmle ich.

      „Wer? Ich? Das Hundsvieh? Oder Manuel?“, fragt mich Carl.

      Ich muss lachen.

      „He, Manuel meint das nicht so“, sagt Carl.

      „Darum geht es nicht.“

      „Manuel kann auch nichts dafür, dass wir erneut hier gelandet sind.“

      „Mit Schwein habe ich doch nicht ihn gemeint. Ich habe nur halblaut mein Bedauern ausgedrückt, dass es Wiener Schnitzel zum Essen gibt. Statt coniglio alla cacciatora. Und was auf dem Speisezettel für morgen steht, brauche ich einem Feinspitz wie dir wohl nicht näher zu erläutern.“

      „Du musst das positiv sehen: Dafür hat das Kaninchen in Limone heute Schwein gehabt.“

      „Tja, wie es scheint, muss es sich bis nächstes Jahr gedulden.“

      „Bis dahin setzt es noch ein paar Muskeln an.“

      „Und es ist gut abgelegen.“

      „Na also.“

      „Daran, dass an dem für uns reservierten Tisch in Limone jetzt, in diesem Augenblick, gerade andere Leute Kaninchen Jägerart bestellen, während wir zwei uns über das Almschweinwiener Gedanken machen, wollen wir nicht denken.“

      „Richtig.“

      Wir lächeln beide.

      „Trotzdem: Deine Erklärung betreffend das Schwein nehme ich dir nicht ab. Sei vorsichtig, Paul.“

      Wer hat schon einen Freund wie Carl, der einen wieder aufrichtet, wenn man bedrückt ist, und genau versteht, wie man etwas meint.

      „Und was ist mit dem eingedrückten Kotflügel?“, frage ich ihn.

      „Ach, um den mach dir keine Sorgen. Er hat uns zwar vor ärgeren Verletzungen geschützt, aber leid muss er dir trotzdem nicht tun.“

      „Und wie wird deine Frau reagieren?“

      „Der macht das sicher nichts aus. Im Gegenteil: Die wird sich freuen, dass uns nichts passiert ist.“

      „Weiß sie überhaupt, dass wir schon wieder hier gelandet sind?“

      „Nein. Ich habe mein Handy auf unseren Fahrten doch nie dabei.“

      „Sie meint also, du wärst in Limone, und in Wirklichkeit …“

      „…bin ich schon wieder hier in Almdorf. Genau. Aber was tut das schon zur Sache?“

      „Kommt sie da nicht auf abwegige Gedanken?“

      „Ich habe nichts zu verbergen, das weißt du so gut wie ich. Außerdem bin ja nicht ich für unseren neuerlichen Umweg verantwortlich, sondern Manuels Frau.“

      „Ist mir schon klar, aber nimmt deine Frau dir das ab?“

      „Wir kennen uns jetzt seit…warte mal…seit über elf Jahren.“

      „Du vertraust ihr so wie sie dir?“

      „Darüber denke ich eigentlich nicht nach.“

      Solltest du aber, liegt mir auf der Zunge, stattdessen frage ich:

      „Aber wie kommuniziert ihr, wenn, sagen wir … ein Notfall eintritt?“

      „Erinnerst du dich noch, wie unproblematisch das Leben ohne Handy funktioniert hat?“

      „Du wirst älter.“

      „Du etwa nicht? Wie meinst du das?“

      „Auf mich wartet zu Hause niemand, dem ich Auskunft über meinen aktuellen Standort geben muss. Wenn ich wo krepiere, interessiert das niemanden sonderlich.“

      „Du Armer. Oder soll ich Glückspilz sagen?“

      „Gute Frage.“

      „Schlechte Antwort. - Also, wie hast du das mit dem Älterwerden gemeint?“

      „Herzinfarkt. Unfall. Schlaganfall. Zum Beispiel.“

      „Dann umso besser ohne Handy: So treffen die Schreckensmeldungen eben wie anno dazumal ein, nämlich mit Verspätung, und das Glück kann sich noch ein bisschen Zeit lassen. – Los, komm, lass uns essen gehen. Das Schwein wartet!“

      „Das erzähl ich ihm.“

      „Wem: Dem Schwein oder Manuel?“

      „Macht das etwa einen …“

      Carl lässt mich nicht zu Ende reden, schlägt mir lachend auf die Schulter und schiebt mich ziemlich grob ins Gasthaus.

       Ach, Magdalena. Es gibt Momente, da möchte ich dich lieber nicht sehen. Jetzt ist so ein Moment.

       8

      Als Carl und ich die Gaststube betreten, werden wir erneut in Nebel getaucht. Carl fächert mit seiner Hand vor seiner Nase herum, während ich die Luft anhalte.

      Meine Augen tränen, mein Atem geht flach. Ich ziehe meinen Tabakbeutel und die Papiere aus der Hosentasche, drehe mir eine Zigarette und zünde sie an. Den Inhalt des ersten Zugs blase ich Carl direkt ins Gesicht, weil er mich so vorwurfsvoll anblickt.

      „Wenn du selber rauchst, spürst du den Rauch der anderen nicht so sehr“, rechtfertige ich mich.

      „Aha. Woher der Spruch? Aus einer dieser Gesundheitsfibeln?“

      „Nein. Von mir. – Aber viele Raucher denken sicher ebenso.“

      „Vielleicht wird bei uns deshalb so viel geraucht.“

      „Möglich.“

      „Dreh mir auch eine.“

      „Scherz.“

      „Ernst.“

      Mehr aus Neugier als zum Vergnügen drehe ich ihm die Zigarette.

      „Feuer.“

      Er, der militante Nichtraucher, nimmt einen tiefen Zug, schaut nicht anders drein als sonst, hustet nicht, wankt nicht, inspiziert seelenruhig das Lokal.

      Die Jäger und Förster sitzen auf sechs Tische verteilt und sind mit Rauchen, Gesprächen und Wiener Schnitzeln beschäftigt. Niemand scheint sich für uns zu interessieren.

      Ganz hinten, am Ende der Nebelwand, sitzt Manuel. Er hat neben Gottfried Schleinzer Platz genommen, dem Almdorfer Pfarrer, einem friedfertigen, gottesfürchtigen Feinspitz Ende fünfzig. Dieser spießt gerade mit der Gabel eine Petersilienkartoffel auf und führt sie zum Mund. Manuel hat uns entdeckt und winkt uns herbei. Der Pfarrer schaut in unsere Richtung, lächelt