Heinz Schöpf

Hundswand


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springe auf, werfe mich auf Hundsvieh, beiße ihm ins Genick, es jault auf, ich erwische ein Ohr, packe es, zwicke es, drücke seinen Kopf zu Boden, etwas schlägt nach mir, wahrscheinlich seine Pfote, ich ducke mich, schließe die Augen, schlage zurück, treffe etwas Weiches, der Pfarrer stöhnt auf, ich schreie, bekomme als Antwort nur Gelächter und Gejohle der Jäger und Förster, sie kriegen nichts mit von der plötzlichen Stille hier draußen, dieser Totenstille. Ich öffne die Augen, sehe Hundsviehs Körper neben dem des Pfarrers liegen, eine Hunde- neben einer Menschenleiche, einander abgewandt, die Gesichter jeweils in die gegengesetzte Richtung zeigend, die Augen geschlossen, atemlos, es würgt mich, das habe ich nicht gewollt, so habe ich mir dieses Wochenende nicht vorgestellt, ich wollte doch bloß ein bisschen Spaß haben, ein wenig faulenzen, gut essen, mit meinen beiden Freunden, in Limone, am Gardasee, ich blicke auf die leblosen Körper, mein Rausch kehrt zurück, Gott sei Dank, ich lache kurz, sehe den lächelnden Mund des liebenswürdigen Pfarrers vor mir, wie er die drei Wörter ausspricht, ärgere mich über mich, dass ich in der Lage bin zu lachen, in dieser schrecklichen Situation, der Rausch hilft mir, hemmungslos drauflos zu weinen.

      Das Lachen kommt nicht wieder. Gott sei Dank.

      Zwischen den zwei leblosen Körpern ist genau noch ein Platz frei, und zwar für mich, den Überlebenden, den Urheber, den Mörder, ich lege mich zwischen sie, breite die Arme aus, lege je einen um ihre Schultern, weine abwechselnd in diesen und in jenen Nacken.

       12

      Alles passiert in Zeitlupe. Ich sitze im Liegestuhl, am Ufer des Gardasees. Ein freundliches, dunkelhaariges Mädchen begrüßt mich auf Italienisch. Sie schenkt mir aus einer Flasche Chianti ein Glas ein. Ein Tropfen fällt auf meinen Bauch und sammelt sich in meinem Nabel. Mein Gesicht spiegelt sich in ihren weißen Zähnen. Ein Lächeln wie von Schneewittchen. Acht schlanke Finger, die meinen Nacken berühren. Zwei Daumen, die meinen Kehlkopf entlang streichen. Die Sonne massiert meinen Bauch. Die Stimme von Zucchero reibt an meinen Ohrläppchen. Ich schiele auf schwarz lackierte, kurze Fingernägel. Wie mir das gefällt. Weiche Fingerkuppen gleiten von meinen Wangen zur Oberlippe. Ein Zeigefinger zieht an meiner Oberlippe, ein Daumen an der Unterlippe, wie an einem Gummiband. Mehrere Finger reiben entlang meiner Zähne und bahnen sich einen Weg zu meiner Zunge, die sofort nach dem erstbesten Finger schnappt und sich daran festsaugt. Er schmeckt angenehm nach Fisch und Zitrone. Meine Badehose ist mit einem Mal viel zu klein. Eine fremde Hand gleitet hinunter, um den Stoff zurechtzurücken. Eine Zunge leckt den Tropfen Chianti aus meinem Nabel. Und genau in dem Moment, als sich das Gesicht des Mädchens über meines beugt, ihre Haare auf meiner Schulter zu liegen kommen und eine Gänsehaut in den Lenden bewirken, überlagert sich ihr Gesicht mit jenem des Pfarrers, ich nehme ein Räuspern und Schnaufen wahr, das sich nach Hrrmm anhört. Ich schrecke auf, muss niesen, ich blinzle, schließe die Augen aber sofort wieder, weil mich ein grelles Licht in den Nasenlöchern kitzelt. Meine Nasenspitze wird von etwas Weichem, Feuchtem, Rundem berührt, das sich anfühlt und duftet wie der Hut eines jungen Steinpilzes, ich greife nach ihm, will ihn pflücken, und ab nun geschieht alles im Zeitraffer, der Pilz beißt mir in die Hand, gleichzeitig werde ich unsanft von zwei Gewichten niedergedrückt, die sich mit Wucht an meine Schulterblätter gelegt haben, ich muss ein weiteres Mal niesen, weil mich schon wieder etwas in den Nasenlöchern kitzelt, mein geschultes, aber lädiertes Gehirn denkt sofort negativ, redet mir eine beginnende Sommergrippe ein, meine schmerzende Hand fährt zur Nase, kommt mit langen, dünnen Fäden in Berührung, meine Finger schnappen nach ihnen, sie fühlen sich an wie Harfensaiten, die Saiten jaulen auf, als meine Finger daran zupfen, und noch bevor mein Gehirn die neuen Bilder in meinem Kopf ordnen kann, beißt mir ein warmes Etwas in die Nasenspitze, diesmal sanfter und liebevoller, meine Atmung beruhigt sich, das Gesicht des Mädchens blickt mich an, bereit für den ersten Kuss, von weit her erschallen Schalmeienklänge, auf einmal wird meiner Zunge Gewalt angetan, jemand will sie mir aus dem Mund reißen, meine Nasenflügel werden zugedrückt, meine Lider von den Augäpfeln gezogen, die Netzhäute mit grellem Licht beschienen, das Weiche, Feuchte, Runde entpuppt sich als rosa Schlauchboot, legt sich um meine Lippen, pumpt mich mit abgestandener Luft voll, mein Brustkorb wird durchgeknetet wie Brotteig, zu viel Luft! möchte ich schreien, dreht mir lieber eine Zigarette!, ich schlage um mich, lande einen Treffer, erhalte ein gepresstes, wie in eine Mundharmonika hineingesprochenes Gott sei Dank zur Antwort, ein weiteres Hrrmm, irgendwo ganz in meiner Nähe, und sofort darauf, dicht an meinem Ohr, ein Wu.

      Hundsvieh.

      „Hundsvieh?“

      „Teufel! Er lebt!“

      Die vertraute, erschöpfte Stimme des Pfarrers.

       13

      Der Nebel hat einem klaren Sommertag Platz gemacht.

      Wir sitzen auf einer Bank, ein paar Meter vom Gasthaus entfernt, der Pfarrer und ich, wir schauen Hundsvieh zu, wie es den demolierten Brunnen beschnuppert, der im Scheinwerfer der Morgensonne leuchtet. Hundsvieh geht ein paar Schritte zurück, mustert ihn mit Kennerblick, wie ein Galerist, der im Begriff ist, ein interessantes Objekt für die Kunstmesse auszuwählen.

      Carls Stoßstange hat ganze Arbeit geleistet.

      Hundsvieh hebt sein Bein, lässt sein Wasser gegen den Brunnenschaft rinnen, streckt sich durch, krallt sich mit den Vorderpfoten am Schaft fest, rollt die Zunge aus und säuft das Brunnenwasser aus dem deformierten Rohr.

      „Komm her, Hundsbanause!“, rufe ich. Hundsvieh wedelt mit dem Schwanz und läuft zu mir. Den Pfarrer ignoriert es. Ich bücke mich nach einem Holzstück und werfe es in die Luft.

      „Wenn du es fängst und mir bringst, fahren wir nach Limone. Wenn nicht, wandern wir gemeinsam mit dem Pfarrer zur Almhütte“, wette ich mit ihm.

      „Wu.“

      Hundsvieh bleibt ruhig neben mir sitzen.

      „ In Ordnung, ich habe verstanden“, sage ich, während ich sein warmes Fell streichle. „Andrerseits – so richtig verstehe ich dich jetzt doch nicht. Erinnerst du dich denn nicht mehr, wie sehr du dich auf die italienischen Hundedamen gefreut hast?“

      Hundsvieh springt einfach davon und verschwindet im Wald.

      „Was der Köter wohl hat?“

      Die fragende Stimme des Pfarrers. Er blickt Hundsvieh nach, während er eine Flasche des Vino tinto entkorkt, er schnuppert am Korken, legt ihn neben sich auf die Bank, setzt die Flasche an den Mund, tätigt einen kräftigen Schluck, wischt den Flaschenhals mit dem Handrücken sauber und reicht sie mir.

      „Eine einheimische Häsin? Eine ausländische Hundedame? Keine Ahnung“, sage ich.

      Wir sitzen da, lange Zeit schweigend, die Wärme genießend, einander abwechselnd die Flasche reichend.

      „Übrigens. Danke.“

      „Guter Tropfen, nicht wahr?“

      „Ja. - Aber das habe ich nicht gemeint.“

      „Ach, für den Zungenkuss?“

      „Wenn man das bei euch so nennt, quasi als Synonym für eine lebensrettende Mund-zu-Mund-Beatmung …“

      „Weißt du … ich bin immer froh, wenn … nun … wie soll ich sagen … wenn etwas in dieser Art passiert … Wie sonst käme ein Mann in meiner Position zu irgend einer Art Körperkontakt ... Ha.“

      „Ich habe es ernst gemeint.“

      „Ich auch.“

      Er dreht die leere Flasche um, entlässt die restlichen Tropfen ins Moos, stöpselt sie zu, verstaut sie im Rucksack, zieht die zweite Flasche heraus, entkorkt sie, schnuppert am Korken, scheint wiederum zufrieden, setzt zum ersten Schluck an. Die gleiche Prozedur.

      „Ich bin übrigens nicht wenn du weißt was ich meine.“

      „Ich weiß