Heinz Schöpf

Hundswand


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unterhalb der Hütte eingekühlt haben. Machine Head ist Manuels liebevolle Bezeichnung für das lärmende Diesel-Aggregat hinter der Hütte, mit dem er sich zu allererst beschäftigt, noch bevor er die Hütte aufsperrt. Er befreit das hässliche Ding von seiner Plastikabdeckung, wischt mit einem braun-gepunkteten Tuch darauf herum, sodass ein zufällig vorbeimarschierender Wanderer vielleicht meinen könnte, er rubble einem Schafs- oder Kindskopf die Haare trocken. Zu spät wird der Wanderer erkennen, worum es sich bei diesem liebevollen Zeremoniell handelt, denn Manuel dreht nun an verborgenen Knöpfen, zieht unvermittelt an einem Ring und springt in Deckung. Eine Detonation. Sie hört sich an wie das Live-Intro zu Smoke on the Water von Deep Purple´s Made in Japan. Zumindest ist dies Manuels Erklärung für den zu Tode erschrockenen Wanderer auf dessen Frage, in welchen militärischen Konflikt er da hineingeraten sei.

      Immerhin beliefert das Gerät die gesamte Hütte mit Strom, und der Lärm lässt sich zwei Tage lang aushalten.

      Wahrscheinlich werden meine Freunde jetzt gerade mit dem Frühstück fertig sein, Manuel wird sich mit dem rot-weiß karierten Taschentuch oder ist es das grün-gelb gestreifte die Brösel vom Mund wischen, wird leise in seine Armbeuge rülpsen, die Gitarre vom Haken zwischen dem hölzernen Christus und der Büchse nehmen, sie minutenlang stimmen, anschließend auf der einzigen gemütlichen Sitzgelegenheit Platz nehmen, einem weinroten, abgewetzten Ohrenbackensessel aus den Dreißigerjahren, dem Erbstück aus dem Fundus von Selmas verstorbener Tante, und mit den ersten zwölf Takten von Smoke on the Water beginnen. (Gitarre, Büchse und Christus haben ungefähr die gleiche Größe, sodass Manuel letztes Jahr ein Malheur passiert ist: Er hat den Christus anstelle der Gitarre abgenommen und sage und schreibe zehn Minuten versucht, den Christus an den Holznägeln zu stimmen. Unser Gelächter schien ihn nicht zu stören.) (Wir waren nüchtern, er nicht.) (Hauptsache, er ließ die Büchse in Ruhe.)

      Nach dem zwölften Takt wird das Spiel von vorne beginnen.

      Währenddessen wird Carl das Geschirr spülen, es abtrocknen, es polieren, Carl ist der einzige Mensch, den ich kenne, der jeden einzelnen Teller nach dem Abtrocknen anhaucht und mit einem zweiten Tuch nachpoliert, er wird es in die Fächer und Schubladen der Vitrine Louis-quatorze räumen, das Holz im Ofen nachlegen, ein dreigängiges Mittagessen vor- und zubereiten, den Esstisch decken und dazu Elton`s Candle in The Wind oder YMCA von den Village People pfeifen. Manuel wird einmal kurz in seinem Gitarrespiel innehalten und beiläufig erwähnen: „Der Fußboden gehört auch wieder einmal gekehrt und nass gewischt.“

       19

      Hundsvieh sonnt sich in gebührender Entfernung im Moos, auf dem Bauch liegend, den Kopf auf den Vorderpfoten ruhend, die Augen zu mir gewandt, wachsam, konzentriert, jede meiner Bewegungen registrierend.

      „Handschuh, komm her!“

      Hundsvieh gehorcht aufs Wort, springt zu mir her und setzt sich neben mich, es gehorcht, obwohl ich seinen Namen absichtlich falsch ausgesprochen habe. Hört es nicht gut? Gebieten es ihm seine guten Manieren, über meine schlampige Aussprache nonchalant hinwegzusehen? Oder lässt es sich in jeder Hinsicht überlisten?

      Ich drehe mir eine Zigarette, zünde sie an, mache den ersten kräftigen Zug, blase den Rauch in seine Richtung und überlege, wie ich weiter vorgehen soll. Es fängt die Rauchkringel mit seiner Nasenspitze auf, sammelt sie der Reihe nach ein, schüttelt sich, legt eine Pfote auf meinen Oberschenkel und niest mir ins Gesicht, wie um mich zu fragen: „Warum tust du uns, vor allem dir, so etwas freiwillig an?“

      Ich halte ihm die Zigarette hin. Hundsviehs Augen blicken direkt in meine. „Na los, Kumpel, mach einen Zug. Friedenspfeife, einverstanden?“

      „Wu.“

      Hört sich nicht wie „Gern“ an, eher wie „Arschloch“.

      Allein schon der Gedanke, wie ich ihm möglichst schonend beibringen kann, dass unser Weg ausschließlich nach oben führen wird, lässt Hundsvieh den Kopf zur Seite neigen und die Ohren spitzen.

      „Herrchen wartet auf dich“, sage ich halbherzig.

      Hundsvieh steht auf, dreht sich um und erleichtert sich am nächstbesten Baum. Da ich nicht weiß, wie ich diese Geste deuten soll, starte ich einen zweiten Versuch:

      „Wir unternehmen eine ausgiebige Wanderung bis zum Gipfel hinauf. Nur wir beide. Da treffen wir mit Sicherheit auf mindestens eine durchtrainierte Sportsdame nach deinem und ein passendes Frauchen nach meinem Geschmack. Na?“

      Vorschlag abgelehnt. Hundsvieh geht in die Hocke und scheißt ins Moos.

      Ich muss gleichzeitig lachen und mich über meine Reaktion wundern. Da führe ich auf meinen Stadtspaziergängen mit jeder einzelnen Hinterlassenschaft eines just sich im Geschäft befindlichen Vierbeiners ein schulmeisterliches Gespräch und lege ihr die persönliche Bekanntschaft mit der Schuhsohle wenn nicht Nasenspitze seines Herrchens oder Frauchens ans Herz, und was geschieht in diesem Augenblick? Ich finde den Vorgang originell.

      Ich ziehe mein T-Shirt aus und lasse mich ins Gras fallen. Hundsvieh kommt sofort herbeigelaufen und nimmt neben mir Platz. Ohne zu zögern legt es seine Schnauze auf meinen nackten Bauch, ohne sich darum zu kümmern, ob ich das mag oder ob diese Geste nicht vielleicht eine Spur zu intim ist. Sein Kopf hebt und senkt sich mit jedem meiner Atemzüge. Seine Augen schauen mich direkt an, seinem Maul entströmen leise, gleichmäßige Brummtöne, es hört sich an, als würde mein Magen knurren. Mit dem Handrücken beginne ich damit, abwechselnd seine Wangen zu streicheln. Ich sehe den Wolken zu, die von den Gipfeln wie Rauchzeichen von Indianern zu uns herüber geblasen werden.

      Wieder dieses Donnergrollen, näher diesmal, ohne Regenwolken. Seltsam. Hundsvieh winselt in meinen Nabel. Ich kraule es hinter den Ohren.

      „Hier ist es doch auch sehr gemütlich, findest du nicht?“

      Ein zufriedenes Gähnen als Antwort.

      „Na also.“

      Bevor es sich anders entscheidet, massiere ich seinen Nacken.

      „Spürst du auch, wie plötzlich der Wind eingesetzt hat?“

      Keine Erwiderung. Wohliges, katzenartiges Schnurren.

      „Und weißt du, was das heißt - Wind aus dem Süden?“

      Neuerliches Gähnen. Gedämpftes Schnarchen. Streicheln. Kraulen. Massieren.

      „Das bedeutet Föhn bei uns und …“

      Massieren, kraulen, streicheln, tätscheln.

      „… Regen in Limone. Hast du gehört? Re-gen.“

      Täuscht es mich, oder wiegt sein Körper mit einem Mal um etliche Kilogramm mehr? Das Schnurren - hat es sich nicht in ein kehliges Knurren, beinahe tigerartiges Fauchen verwandelt?

      „Nasses Fell. Klamme Pfoten. Brr. Und weit und breit keine einzige Hundedame auf der Strandpromenade. Die wären doch schön blöd, bei diesem Hunde- entschuldige Sauwetter ihr gemütliches Heim zu verlassen.“

      Unmelodisches Summen. Brummelndes Schnaufen. Zurückhaltendes Husten.

      „Ich sehe was, was du nicht siehst, und das ist …“

      Majestätisches Schweigen. Ich lasse meinen Blick schweifen.

      „… rotbraun.“

      Ich denke mir: Du meine Güte.

      In einiger Entfernung von uns zieht eine Gruppe von Rehen oder Hirschen vorbei, schweigsam, im Gänsemarsch, in beachtlicher Zahl, beinahe wie die Kinder aus meiner Schule, wenn sie mit meinem gestrengen Sportkollegen folgsam das Schulhaus verlassen.

      Mich wundert, dass Hundsvieh nicht einmal den Kopf hebt. Wo bleibt sein Jagdinstinkt? Liegt es vielleicht am Wind, der die aromatischen Wilddüfte gegen Norden, Richtung Tal und somit klammheimlich an den zweihundertfünfzig Millionen Sinneszellen einer Hundsnase vorbei