Heinz Schöpf

Hundswand


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bewusst in den Imperativ: Gott! Sei! Dank! – Ich hab diese Allüre kommentarlos von meinem Onkel übernommen, ihm jedoch die Argumentation nicht abgenommen. Der wollte doch bloß, dass der Schweinsbraten seiner Frau, meiner Tante Johanna, nicht kalt wurde. Dazu musst du wissen, dass in frommen Familien seinerzeit vor und nach jedem Mahl nahezu der gesamte Rosenkranz gebetet wurde. – Was ich nach dem Essen gebetet habe? Einen Verdauungsrosenkranz.“

       „Ausländer? Gibt es natürlich unnatürlich viele! Überall, wo ich hinkomme: nichts wie Ausländer! Neulich in Rom, Petersplatz, und was sehe ich? Erraten! Und sogar der Papst ist ja einer. Und wer läuft mir heuer zu Weihnachten in Bethlehem über den Weg? Richtig! Die Ausländer nehmen meines Erachtens überall auf dem Globus in einem derart hohen Maße zu, dass ich, egal, wo ich mich gerade aufhalte, nie weiß, ob ich nun In- oder Ausländer bin. Für die Jäger dort vorne sind ja schon die Förster da hinten Ausländer. Mittlerweile kennt sich doch keiner mehr aus, wer er jetzt gerade ist: ob gerade noch ein In- oder schon wieder ein Ausländer. Wenn ich etwas zu sagen hätte, müssten sämtliche Ausländer mindestens einmal pro Monat ins Inland reisen und im Gegenzug die Inländer allesamt ins Ausland. Warum? Na, weil sich dann überhaupt keiner mehr auskennt und sich jeder fühlt wie ein Inländer. Nein. Wie ein Ausländer natürlich. Und, Paul, bitte, wo kämen wir denn da hin, wenn sich die Ausländer ständig im Inland oder, wär doch noch schöner, im Ausland aufhielten? Da hätte doch niemand mehr den Durchblick, ob er sich selber nun eigentlich gerade im In- oder Ausland wähnt. Einerlei. – Herr Wirt! Noch einen Liter von diesem ausländischen Roten!“

      Er redet sich und damit auch mich in einen Strudel hinein, dass ich mir im Moment selber nicht mehr sicher bin, ob ich jetzt ein In- oder ein Ausländer bin. Deshalb verstehe ich überhaupt nicht, warum er plötzlich „Vierzig!“ und „Gewonnen! Rien ne va plus!" verkündet.

      Zwei Pfarrer, zwei Wirte, an die achtzig Jäger und Förster, zwei Hunde - alles dreht sich, wir sind nun alle Freunde, zugleich In- und Ausländer, „64, 65, 66 – voilá! Sieg!“, sagt der Pfarrer schon wieder, ich verliere ein Spiel nach dem anderen, egal doch, inmitten dieser Schar lustiger, sympathischer in- und ausländischer Männer, in dieser wundersamen Stube, in der es von Stunde zu Stunde heimeliger geworden ist, in der es sich ohne Sauerstoff so angenehm leben lässt. Und ohne Frauen. Magdalena, nicht böse sein, im Moment ist mir nicht so sehr nach Hrrmm.

      Ohne Hundsvieh an meiner Seite hätte ich das Ende des Abends nicht so tapfer überstanden. Irgendwann hat sich seine Schnauze in meinem Oberarm festgebissen, nicht grob, sondern behutsam und sachte.

      „Hundsvieh, ich weiß, höchste Zeit aufzubrechen. - Hundsvieh? Du hast mir eigentlich noch gar nicht verraten, ob du In- oder Ausländer bist“, lalle ich.

      „Wu!“, sagt es.

      „Chinese?“, frage ich und lache blöd.

      Es knurrt. Die Art von Humor ist unter seiner Würde.

      Ich schäme mich und bin wieder nüchtern genug, um zu registrieren, dass es in meiner Gegenwart zum ersten Mal gebellt hat.

      Ein freundliches, dunkles Bellen.

      Ich werte das als gutes Zeichen.

       10

      Nachdem ich die Zeche bezahlt und mich zuerst vom Pfarrer und dann von jedem Förster und Jäger einzeln mit ausgiebigem Handschütteln, mit Schulterklopfen, einer Umarmung und zwei Wangenküssen verabschiedet habe, gehe ich vor die Türe.

      Der Nebel draußen ist noch dichter geworden. Ich atme die kalte, feuchte Luft in tiefen Zügen ein. Mir wird schwindlig. Ich muss husten. Meine Lunge braucht offenbar Zeit, sich auf die frische Luft umzustellen. Ich drehe mir eine Zigarette.

      Hundsvieh hat neben mir Platz genommen, spürt meine Schwäche und stützt mich mit seinem Körper ab. Ich setze mich auf die Stufe und lege den Arm um seine Schultern. Seine Zunge hechelt im Rhythmus meines Herzschlags. Ich tätschle seinen Bauch. Es blickt geradeaus. Lässt die Liebkosung mit sich geschehen. Äußerlich ruhig, wirkt es dennoch nervös.

      „Hundsvieh, magst du Kaninchen?“

      Keine Reaktion.

      „Im Speckmantel. In einer leichten Tomaten-Knoblauch-Soße. Na?“

      Kein Kopfnicken. Kein Schwanzwedeln. Kein Kommentar. Nichts.

      „Demnach keine gute Idee, wenn wir zwei uns jetzt einfach klammheimlich Richtung Italien aus dem Staub machen?“

      Spürbares Raunen. Gesenkter Blick. Zögerliches Schnuppern.

      „Ein geheiztes Taxi rufen? Uns zum Bahnhof chauffieren lassen? In den Zug nach Verona einsteigen, mit gepolsterten Sitzen?“

      Leises, freundliches Knurren. Schnauze zum Himmel.

      „Und von dort per Bus weiter nach Limone. Oder, noch besser: per Autostopp, dann sind wir schneller am Ziel. Und morgen: Kein Nebel. Kein Pfarrer. Nur Wärme. Schwalbengesang. Zitronenduft. Einen Espresso für mich und italienische Knackwürste für dich.“

      Ein rosa Maul, das sich weit öffnet. Ein leichter Schaum, der auf der Zunge zergeht. Eine Zunge, die mehrmals die Oberlippe entlang streift. Ohren, die ein V zum Himmel zeigen. Sabbern. Magenknurren. Sein Schwanz wischt den Boden sauber.

      „Bevor ich`s vergesse.“

      Fragender Blick.

      „Die Hundedamen in Limone. Die sollen besonders hübsch sein. Und gut erzogen.“

      Verhaltenes Seufzen. Stramme Körperhaltung. Dezenter Rutenschlag.

      „Die wollen erobert werden. Das verlangt Fingerspitzengefühl.“

      Wieder dieser fragende Blick.

      „Pfotenspitzengefühl? Sagt man das so in deiner Sprache? Verzeih.“

      Heftige Rutenschläge. Pfoten überkreuzt. Schnauze darauf gelegt. Schwarze Pupillen, auf mich fixiert.

      „Da heißt es für einen gesitteten Hundemann nicht einfach Hrrmm, wenn du verstehst, was ich meine.“

      „Wu.“

       11

      Die Tür springt auf, der Pfarrer erscheint, nüchtern, rosig, gut gelaunt.

      „Gott sei Dank.“

      „Sie wollen jetzt aber nicht schon wieder mit mir speisen?“

      „Wie? Ha. Nein. Diesmal gilt meinem lieben Gott der Dank im herkömmlichen Sinn. Ich bin erleichtert, dich hier noch anzutreffen. Ich brauche noch ein bisschen Bewegung. Und zu zweit marschiert es sich leichter. Darf ich dich ein Stück zur Almhütte hinauf begleiten? Dich und den Köter da. Natürlich nur, wenn`s recht ist. Als kleine Wegzehrung hätte ich zwei Flaschen Vino tinto aus Brindisi mit dabei. Jahrgang 1992. Lässt jeden Messwein jung aussehen. Ha.“

      Er bewegt seinen Daumen, als wolle er Autostoppen. Jetzt erst sehe ich, dass er einen Rucksack geschultert hat.

      Hundsviehs Knurren ist trotz des Lärms, den die Jäger und Förster in der Stube veranstalten, nicht zu überhören. Es ist das erste Mal, dass ich ein wenig Angst vor ihm habe. Es fletscht die Zähne, ein Eckzahn sieht aus, als könne er mit einer einzigen Berührung meinen Kehlkopf in zwei Hälften schneiden. Besser, ich verhalte mich ruhig und vermeide auffällige Schluckbewegungen.

      „Hundsvieh. Schhhh. Beruhige dich. He. Hundsvieh. Was ist los?“

      „Vielleicht ist der Köter ja evangelisch? Ha.“

      Der einsilbige Lachlaut des Pfarrers scheint Hundsviehs Wut noch zu verstärken. Es knurrt böse. Duckt sich wie eine Katze. Bereit zum Sprung auf den Pfarrer.

      „Sieht nun ziemlich unorthodox aus, der Köter. Keine buddhistischen Gene,