Heinz Schöpf

Hundswand


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und versuche, das Thema zu wechseln.

      „Wohin sind eigentlich die Jäger und Förster verschwunden?“

      „Zu ihren Frauen und Kindern. - Die Armen.“

      „Die Jäger und Förster und arm?“

      „Nein. Die Frauen und Kinder.“

      Dann hätte es eigentlich den Armen heißen müssen, denke ich und ärgere mich sofort über mich, den Herrn Lehrer, dessen geschultes Ohr sogar hier oben, in dieser Stille, den richtigen Fall hören will.

      „Die haben heute ihr Jahresfest gefeiert. Zu Ehren von Sankt Hubertus, ihrem Schutzpatron.“

      „Also forstet heute kein Förster mehr auf? Und kein Jäger jagt heute in der Gegend herum, um diesem Heiligen Hubertus ein hübsches Opfer zu schießen?“

      Der Wein vergreift sich an meinen Gedanken. Ich beginne dummes Zeug zu reden. Der Pfarrer scheint mich trotzdem zu verstehen.

      „Nein. An diesem hohen Festtag lassen sie Wald und Wild in Ruhe.“

      „Außerdem sind sie sicher zu besoffen dafür. - Zum Wohl. Auf die Frauen. Und die Kinder.“

      „Nein. Auf die Jäger und Förster.“

      „Bitte?“

      „Auf dass sie endlich Vernunft annehmen. Die Frauen und Kinder sind mit Vernunft gesegnet. Die Jäger und Förster müssen erst einmal lernen, dass es sie überhaupt gibt, die Vernunft, dann, wie sie damit umgehen sollen und, was weitaus am schwierigsten ist, wie sie im täglichen Umgang miteinander anzuwenden ist. Gegenüber den Schwächeren, und das sind nun mal die Frauen und Kinder, des Weiteren gegenüber den Tieren. Gegenüber den Fremden. Überhaupt gegenüber allen Andersdenkenden. Einfach mehr Respekt gegenüber der Schöpfung zeigen. - Vernunft und Weitsicht. Dazu braucht es keins dieser Ferngläser, das sie ständig in ihren Pranken halten oder um ihre dicken Hälse gehängt haben wie duale Phallussymbole – einen Teil zum Pinkeln, den anderen zum Hrrmm.“

      „Vernunft gegenüber Tieren - Das sagt ausgerechnet einer, der keine Hunde mag?“

      „Wie kommst du denn darauf? - Ach, du meinst, weil dieser Köter und ich …?“

      „… nicht gerade die besten Freunde sind. Richtig.“

      „Das bedarf natürlich einer Erklärung. Äh, ich habe dieses liebenswerte Geschöpf auf Anhieb gemocht, aber ich darf es äh nicht näher an mich heran lassen, nicht ins Herz schließen, wie es so schön heißt, sonst würde mir das nach eurer Abreise das Herz brechen. Das fängt bereits bei der Sprache an – das Wort Köter dient mir von vorneherein dazu, den Hund gefühlsmäßig äh von mir fernzuhalten.“

      Gute Ausrede, denke ich, muss ich meinen Schulkindern weiterempfehlen, wenn sie wieder einmal im Begriff sind, einen Klassenkameraden äh zu schikanieren.

      „Warum?“, frage ich.

      „Ich habe einfach schon zu viele schmerzliche Trennungen hinter mich bringen müssen. Wie seinerzeit, als …“

      Ich will nichts Genaueres wissen. Wen interessiert denn das Leben der anderen, seien wir doch ehrlich. Wer hat denn mich je danach gefragt, wie ich mich gefühlt habe, als ich mich der Reihe nach von meinen Liebsten trennen musste? Von meinem ersten Teddybären, von Laura aus der vierten Volksschulklasse? Wer hat je gemeinsam mit mir über den Verlust meiner Langzeitfreundin Sabine, meiner krebskranken Großmutter oder meines ständig verstimmten Stutzflügels geklagt?

      Ich falle ihm mit der Frage ins Wort, ob er Hundsvieh gesehen habe. Aus meinem Mund wird er mit Sicherheit kein Welche Trennungen?, auch kein Warum waren sie schmerzlich? und ähnliches Zeug hören. Seine Lebensbeichte soll er meinetwegen beim Wirt ablegen, der rechnet seinen Zuhörservice ja ordentlich in die Preise der Speisekarte mit ein.

      Besser schweigen, Wein trinken, nach jedem Schluck die Flasche weiter reichen, dem Kreischen der Krähen, dem Gesang der Haubenmeisen lauschen oder den Pfoten der Eichhörnchen, wie sie die Fichtenstämme empor klettern, den letzten Nebelfeldern hinterher winken und der Sonne einen guten Tag wünschen, das angenehme Schwindelgefühl genießen.

       Der Pfarrer mag einfach keine Hunde und damit basta. Der eine mag die Berge, der andere das Meer, der eine mag beides, der andere nichts.

      Der Wein macht es sich in meinem Gehirn gemütlich, hat Spaß daran, mir Wörter einzusagen, die ich gar nicht denken will, spuckt eins ums andere auf meine Zunge, mischt sie dort noch einmal gehörig durch und zwingt mich Sätze wie diesen zu sagen:

      „Jetzt würde ich gerne ficken.“

      „Ich auch.“

      Ich verstehe nicht, was der Pfarrer sagt, da es im selben Augenblick aus heiterem Himmel donnert, aber ich habe sicherlich nichts Wichtiges versäumt, ich lehne mich zurück und lasse die Sonne auf mein Gesicht und meine Weichteile scheinen, die in diesem Moment ihrem Namen nicht mehr gerecht werden.

      Der Pfarrer streckt gähnend die Arme zum Himmel. Bitte keine Schwänke aus deiner Vergangenheit. Bitte keine Predigt. Du bist zwar ein sympathischer Kerl, aber bleib still. Ruh dich aus. Mach von mir aus dort drüben im Moos ein kleines Nickerchen.

      Ich stoße ihm meinen Ellbogen in die Seite. Er versteht die Geste als Spaß. „Ha. Das erinnert mich an ein Erlebnis, das …“

       Ich schubse dich von der Bank, wenn du weiterredest. Mensch, Magdalena, du statt dem da, hier und jetzt, auf meinem Schoß, im Schneidersitz, in meiner linken Hand die Sonnencreme, in meiner rechten dein Schulterknochen, ein knuspriger Truthahnflügel, vor mir ausgebreitet, zum Anbeißen und Abnagen bereit.

      Hintereinander ein Gottseidank, das Knurren meines Magens, ein Wu, eine warme Zunge auf meiner Nasenspitze, ein Ha, zwei Sätze:

      „Lass uns aufbrechen, Paul! Deine Kollegen haben sicherlich schon Sehnsucht nach dir und diesem Köter da!“

       14

      Vom Hochstand aus, im Visier eines alten, erfahrenen Jägers, ergäben wir ein seltsames Gespann: Zuerst erscheint ein anthrazitgraues Fellbündel mit olivfarbenen Flecken, halb Kalb, halb Schaf, eine Fleisch gewordene Weltkarte, die Schnauze und die Ohren das Moos durchpflügend wie eine piemontesische Sau auf der Suche nach Alba-Trüffeln.

      Dann passiert lange Zeit nichts, vielleicht winkt ein Buntspecht vom Ast einer Zirbe, oder ein Reh wetzt seinen Spiegel an einer Fichtenrinde.

      Plötzlich taucht eine gebeugte Gestalt auf, aus dem Brombeerdickicht torkelnd, die Last ihres schweren Rucksacks ausbalancierend, barfuß, wohl wieder einer dieser unverbesserlichen Touristen, die ihre Urlaubskasse für einen Aufenthalt in diesem kargen Landstrich leeren, um bei jedem Wetter ohne passendes Schuhwerk im Wald herumzuirren und sich von den Einheimischen in abenteuerlicher Manier per Hubschrauber retten zu lassen;

      jetzt hätte der Jäger Zeit für eine kleine Rauchpause, denn das dauert, bis ein dickliches Etwas sein Blickfeld kreuzt, außer Atem, mit hochrotem Kopf und ausgebreiteten Armen, den beiden Vorläufern hinterher hastend, wie um ihnen die letzte Ölung zu erteilen.

      Was wir uns heutzutage im Wald so alles bieten lassen müssen, denkt sich der alte Mann vielleicht.

      Ein junger, schießfreudiger Jäger würde das Ganze viel pragmatischer sehen - drei Schuss, drei Treffer - und die Sache ganz einfach den Wilderern in die Schuhe schieben.

      Wie gut, dass der Wald heute, am zweiten Juli, jägerfrei ist.

      Hoffentlich gönnen sich auch die Wilderer einen freien Tag, um den Heiligen Hubertus gebührend zu feiern, daheim, bei Frau und Kind.

       15

      Der