R. S. Volant

Das Kind der Königin


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      „Lasst ihn los!“, schrie Henry sofort, „geht von ihm runter!“

      Die Wachen zögerten noch einen Moment, doch als Falco nickte, ließen sie Amanoue endlich los und erhoben sich. Falco steckte seinen Dolch wieder zurück, hob Amanoue auf und trug ihn hinein, direkt zum Bett und legte ihn darauf. Sebastian, der nur noch hemmungslos schluchzte, stürzte ihm nach, deckte Amanoue zu und zog ihn in seine Arme. Der alte Mann streichelte ihn in seiner Bestürzung so heftig, dass Amanoues Kopf wie bei einer Puppe hin und her wackelte.

      Henry ging zu seinem Reisethron und ließ sich darauf fallen. Kopfschüttelnd hielt er sich die Stirn. Falco trat zu ihm, schluckte trocken und sah fassungslos auf ihn nieder. „Was war denn das?“

      Henry blickte auf. „Das hat er vor kurzem auch gemacht, natürlich nicht so schlimm und er hat uns nicht dabei bedroht, aber er ist neulich auch mitten in der Nacht aufgestanden und ist ruhelos im Zimmer herumgewandert. Er hat weder Sebastian noch mich dabei wahrgenommen und hat die ganze Zeit über asconisch gesprochen, so als würde er sich mit irgendjemandem unterhalten. Das war richtig unheimlich, fast wie gerade eben. Gregorius, was sagt Ihr dazu?“

      Der Heiler sah zu ihm hin und nickte nachdenklich. „Ich denke, dass Amanoue tatsächlich geschlafwandelt hat, Eure Majestät. Mehr nicht. Sebastian hat mir von dem Vorfall berichtet und wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht viel über dieses Phänomen. Ich selbst, habe so etwas noch nie gesehen, sondern nur darüber gelesen. Es kommt meistens nur bei Kindern vor und sehr selten bei Erwachsenen! Es scheint sich mit zunehmendem Alter zu verlieren, aber was man dagegen tun kann, naja, da scheiden sich die Geister und manche Methoden halte ich für nicht gerade angebracht! Einige Gelehrte behaupten, man solle die Schlafwandler wecken, indem man sie in eine Schüssel mit kaltem Wasser steigen lässt, die man vors Bett stellt und andere sind wieder strikt dagegen, sie zu wecken, weil sie meinen, der Schlafwandler könne dadurch einen schweren Schock erleiden, tja, das könnte vielleicht gerade passiert sein. Amanoue hat sich gewehrt, als würde es um sein Leben gehen!“ Gregorius blickte bedauernd zum Bett und Henry schnaufte entnervt durch.

      „Setzt euch, beide! Kai, Wein!“, befahl er.

      Falco und Gregorius setzten sich beklommen und alle drei leerten schweigend ihre Becher, doch plötzlich runzelte der Hauptmann seine Stirn und lehnte sich etwas vor. „Eure Majestät“, sagte er etwas betreten, „so etwas Ähnliches, habe ich auch schon mal bei ihm erlebt“, er räusperte sich verlegen, „als ich, mit ihm, alleine im alten Lager war.“ Er ruckte unsicher seinen Stuhl zurecht, doch Henry sah ihn weiterhin gelassen an. „Ja, also damals“, fuhr Falco fort, „war er plötzlich verschwunden, mitten in der Nacht. Ich habe es nicht mal mitbekommen, erst als er wiederkam und habe mich natürlich fürchterlich darüber aufgeregt und da sagte er, dass er sich nicht erinnern könnte und dass er lediglich spazieren gewesen wäre. Aber er machte einen völlig verwirrten Eindruck und hat wirres Zeug geredet, dabei sah er aus, als hätte er einen halben Acker umgegraben, und“, Falco holte tief Luft, „das war nicht das erste Mal gewesen. Er muss vorher schon einmal, nachts das Zelt verlassen haben, während ich schlief. Er war danach ebenfalls in einem schlimmen Zustand und ich habe ihn vor dem Zelt liegend, vorgefunden. Er stammelte immer wieder etwas davon, dass jemand ihn gerufen hätte…“

      Henry sah ihn fassungslos entsetzt an. „So habt Ihr also auf ihn achtgegeben?“, fragte er vorwurfsvoll und trank zornig einen Schluck.

      „Eure Majestät, ich wusste es doch nicht“, verteidigte sich Falco beschämt, doch Henry winkte ab.

      „Erzählt weiter“, forderte er ihn barsch auf.

      „Jawohl, Eure Majestät, also, ich fand ihn vor dem Zelt liegend. Er weinte und hustete ganz fürchterlich und als er sich endlich beruhigt hatte, da erzählte er mir eine ganz und gar unglaubliche Geschichte!“ Falco räusperte sich zwangsläufig bei der Erinnerung daran unwohl, „er sagte, dass er die Schlacht gesehen hätte und Ravios Tod! Und behauptete sogar noch, dass er mit dem gesprochen hätte“, raunte er beklommen, zuerst Henry und dann Gregorius ansehend. „Und, er klang völlig überzeugt!“

      Henry lehnte sich ungläubig zurück und schüttelte sich fröstelnd. „Kai! Wieso ist es so kalt hier drin? Füll die Glutbecken!“, trug er dem jüngeren Diener mit einer fahrigen Handbewegung auf und Kai sah ihn betreten an.

      „Eure Majestät, die Glutbecken sind randvoll“, meinte der kleinlaut.

      Henry stutzte kurz, lehnte sich wieder vor und stützte sein Kinn auf seine Hände. „Und, weiter?“, richtete er sich erneut an seinen Hauptmann.

      „Ich habe beruhigend auf ihn eingeredet und ihm gesagt, dass er wohl nur schlecht geträumt hätte, aber ehrlich? Ganz wohl, war mir nicht dabei“, meinte Falco und trank einen langen Zug. „Eure Majestät, wenn ich davon gewusst hätte, hätte ich sehr viel besser darauf geachtet und selbstverständlich mit allen Mitteln verhindert, dass er nachts das Zelt verlässt! Selbst, wenn ich ihn ins Bett hätte fesseln müssen, dass müsst Ihr mir glauben! Ansonsten, hatte ich eigentlich keine Probleme mit ihm, er war sehr gehorsam und gefügig und wir sind ganz gut miteinander klargekommen“, sagte er leichthin und Henry schnaubte verächtlich auf.

      „Das glaube ich Euch, aufs Wort, Hauptmann Falco!“, brummte er zynisch, „besonders, was das Bett angeht!“

      Falco lief so rot an, wie tiranischer Wein. „Eu, Eure Majestät“, stotterte er, „so meinte ich das nicht! Ich schwöre…“

      „Seid still!“, fuhr Henry ihn an, „kein Wort mehr, bevor ich noch ausraste und meine gute Kinderstube vergesse!“ Er atmete tief durch und lehnte sich wieder zurück. „Was geschehen ist, ist nun mal geschehen! Und ich weiß sehr wohl, dass es nicht allein an Euch lag und Amanoue Eure damalige Lage auch ausgenutzt und Euch verführt hat! Er hat es mir erzählt und mir auch gesagt, dass es einzig und allein, zumindest anfangs, von ihm ausging und er auch nur mit Euch ins Bett ging, weil er sich rächen wollte und dass er einfach nur Angst davor hatte, dass Ihr ihn zurück ins Hurenhaus bringen könntet. Und mir ist durchaus bewusst, dass Amanoue sehr raffiniert mit seinen Reizen umgehen kann! Dabei dachte ich Narr wirklich, dass zumindest Ihr dagegen gefeit gewesen wäret! Ich hätte ihn niemals zurücklassen dürfen, also ist es in gewisser Weise auch meine Schuld, dass er mich mit Euch betrog!“

      „Eure Majestät, bitte“, fiel ihm Falco flehend ins Wort und wollte voller Bedauern noch etwas hinzufügen, doch Henry verbat sich mit einer harschen Geste jedes weitere Wort.

      „Genug!“ Erneut schnaufte er schwer durch, bevor er sich an seinen Heiler wandte. „Und, Meister Gregorius, was soll ich nun tun? Ihn wirklich, am Bett festbinden, bevor er noch jemanden in seinem Wahn verletzt? Immerhin hat er nach Hauptmann Falco gestochen, wenn es auch nur nach dessen ausgestreckter Hand war, aber immerhin! Ich möchte auf keinen Fall riskieren, dass er womöglich doch noch einen von uns absticht!“

      Gregorius sah ihn beschwichtigend an. „Nun, vielleicht nicht gerade festbinden und ich kann nicht glauben, dass Amanoue wirklich zu einer Gefahr für Euch oder gar Sebastian werden könnte. Ich denke vielmehr, dass er sich in dem Moment einfach zu sehr in Bedrängnis fühlte, er hat Falco schlichtweg nicht erkannt…“

      Henry schnaubte auf seine zynische Art. „Aber genau darin, liegt das Problem doch! Er weiß offensichtlich nicht, was oder wer ihm in diesen Momenten entgegentritt! Nein, dieses Risiko ist einfach zu groß! Er hat ganz offensichtlich nicht mal Sebastian erkannt und auch wenn er bei mir den Dolch sinken ließ, ich habe keine Lust, irgendwann doch von ihm aufgespießt zu werden“, brummte er spöttisch.

      Gregorius kaute kurz nachdenklich an der Innenseite seiner Unterlippe. „Das Ganze erinnert mich an einen Fall, aus meiner Lehrzeit. Der Medicus, der damals mein Meister war, hat mir davon berichtet. Er wurde eines Tages zu einem Kind gerufen, das ebenfalls schlafwandelte und nachts des Öfteren sogar das Haus verließ, wobei es einmal beinahe erfroren wäre. Er riet also der Mutter, ein Band am Handgelenk des Kindes und an ihrem eigenen, zu befestigen. Und jedes Mal, wenn das Kind nachts das Bett verlassen wollte, erwachte sie so und legte es vorsichtig wieder zurück. Nach einigen vergeblichen Versuchen, hörte das Kind tatsächlich auf schlaf zu wandeln und schlief fortan wieder durch! Nun, ein