Peter Beuthner

Das Familiengeheimnis


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Ende der Qual

       So hatten wir uns das nicht gedacht

       Nachwort

       Impressum neobooks

      Vorwort

      Das 21. Jahrhundert beschert uns u.a. viele technologische Innovationen und in der Folge davon auch gesellschaftliche Veränderungen. Wir stehen erst am Anfang dieses Jahrhunderts, aber viele Neuerungen befinden sich bereits in der Umsetzung vom Laborstadium in die Praxis unseres Alltages. Insbesondere die Fortschritte in der Informations- und Kommunikationstechnologie ermöglichen allen Menschen unmittelbaren Zugriff auf das Wissen der Welt und verändern die Gesellschaft im sozialen Miteinander: „Soziale Netzwerke“ und „Smombies“ zeigen bereits jetzt ein deutlich verändertes Sozialverhalten. Auch Verkehrssysteme werden immer „intelligenter“ und leistungsfähiger: Autonome Verkehrsmittel fahren ohne Bedienung, und elektronische Verkehrsleitsysteme garantieren optimalen Verkehrsfluß ohne Staus. Fortschritte in der Robotik und Künstlichen Intelligenz verändern zunehmend unsere Arbeitswelt: In zahlreichen Unternehmen haben die Arbeitsroboter schon heute viele Menschen ersetzt; andere Stichworte sind „Industrie 4.0“; „Internet der Dinge“. Aber auch unser soziales und privates Umfeld wird sich damit verändern: Man denke nur an Serviceroboter jeglicher Art, die immer weiter vervollkommnet werden. Roboter werden zunehmend mehr unser Bruttosozialprodukt generieren und uns Menschen dadurch neue Freiräume für kreative Tätigkeiten verschaffen. Und die vielen Neuerungen in der Nano-, Bio- und Gentechnologie ermöglichen ganz neue Verfahren in diversen Anwendungsbereichen, insbesondere auch in der Medizin zur Früherkennung und Behandlung von Erkrankungen, in verstärktem Maße sogar zu deren Vermeidung. Aber die Möglichkeiten gehen noch viel weiter: Sie erlauben auch die Reproduktion und gentechnische Veränderung von Menschen im Sinne individuell gewünschter Optimierung – Stichwort: Designerbaby.

      In dieser Welt spielt der vorliegende Roman, in dessen Mittelpunkt die in Deutschland lebende chinesische Familie Wang steht, die hier sehr erfolgreich ihren beruflichen Geschäften nachgeht: Herr Wang betreibt mit großem Erfolg eine Robotik-Firma, und seine Frau ist Dozentin für Neuroinformatik an der Universität Ulm. Die Wangs sind auch gesellschaftlich sehr geachtet und haben einen großen Freundes­kreis in Ulm. Zusammen mit ihren drei Kindern führen sie ein glückliches, harmonisches Familienleben und orientieren sich dabei an chinesischen Traditionen, insbesondere am Konfuzianismus. Und für die Zukunft haben sie noch hochstrebende Pläne. Alles scheint bestens.

      Doch: Unverhofft kommt oft, heißt es sprichwörtlich. Manche Ereignisse treffen einen völlig überraschend und unerwartet. Niemals hätte man auch nur einen Ge­danken darauf verwendet, daß einem so etwas passieren könnte. Besonders, wenn es eine schlimme Nachricht ist, fühlt man sich zunächst wie vom Schlag getroffen, ist unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, und hadert mit seinem Schicksal. Aber selbst ein Ereignis, dessen Eintreffen man zumindest mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit hätte für möglich halten müssen, weil man wußte, daß die potentielle Möglichkeit dafür gegeben war, kann einen völlig unerwartet und unvorbereitet treffen und sogar aus der Bahn werfen.

      So ergeht es auch den Wangs. Eines Tages, wie aus heiterem Himmel, passiert das, was sie zwar nie ganz hatten ausschließen können, aber eben doch nicht wirklich für möglich gehalten und deshalb gut verdrängt hatten. Ein böser Schicksalsschlag, wie sie es empfinden. Es kam völlig über­raschend. Ein dummer Zufall, ein kleines Mißgeschick, eine Unvor­sichtigkeit vielleicht nur wird ihnen zum Verhängnis.

      Aber berichten wir doch der Reihe nach . . .

      Ein Arbeitstag geht zu Ende

       Es war ein anstrengender Tag für Wang Qiang. Schon früh um 6.00 Uhr war er zu Hause los­­ge­fah­ren, um rechtzeitig zum Beginn der Verhandlungen in Leipzig zu sein. Dieser Termin war für ihn sehr wichtig, es ging immerhin um die Übernahme des in wirtschaftliche Schwie­rig­kei­ten geratenen Systemhauses AnthropoTech, seines größten Konkurrenten auf dem Sek­tor der Roboter-Entwicklung in Deutschland. Den ganzen Tag über hatte er mit dem Ge­schäfts­führer und den Gläubiger­banken verhandelt. Es waren sehr schwierige Verhand­lungen, und nicht alle Punkte konnten abschließend geklärt werden, aber er war trotzdem sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Man hatte schließlich weitgehende Einigung erzielt, und für die noch offe­nen Punkte zeichneten sich Wege zur Verständigung ab.

      Jetzt, auf der Rückfahrt nach Hause, hatte er es sich in seinem Auto halb sitzend, halb lie­gend bequem gemacht. Er schaute ein bißchen in die Gegend, und erst allmählich regis­trierte er, daß es ein wunderschöner Herbsttag gewesen sein mußte. Die Sonne sandte noch ein paar warme Strahlen und tauchte die Landschaft in ein farbenfrohes Gemälde mit ange­nehm wei­chen Konturen. Das Fahrzeug schwebte gleichmäßig und fast lautlos durch dieses Gemälde und führte ihn dank Selbstfahrautomatik autonom und sicher auf seinem Weg nach Hause. Er mußte sich nicht auf den Verkehr konzentrieren, und so konnte er die Fahrtzeit nutzen, sich zu entspannen, die vorbeiziehenden Landschaftsbilder zu genießen oder die Augen zu schließen und seinen Gedanken freien Lauf zu lassen. Er spürte die langsam nach­lassende Anspannung, die sich im Laufe des Tages zunehmend, aber von ihm selbst auf Grund seiner vollen Konzentration auf die Verhandlungen unbe­merkt, aufgebaut hatte. Er freu­te sich auf sein Zuhause, auf seine Familie, auf seine medi­tativen Entspannungsübungen. Kurz vor Ulm, sein Autopilot zeigte noch 25 Kilometer bis zu seiner Wohnung, rief er zu Hause an, um seine Ankunft anzukündigen und ein paar Anwei­sun­gen an Robby zu geben.

      „Ja“, sagte Robby, „ich habe schon gesehen, daß du kurz vor Ulm bist und gleich hier ein­tref­fen wirst, Qiang. Ich werde alles vorbereiten, bis gleich.“

      Unwillkürlich kam ihm der Gedanke an die Worte von Herrn Güssen, dem Ge­schäfts­führer von AnthropoTech, der ihn neulich bei einem chinesischen Ausstellerstand auf der Leipziger Herbstmesse gesehen haben will. Wie kommt der Mensch bloß darauf, fragte er sich. Ich war doch gar nicht auf der Messe dieses Jahr. Habe ich vielleicht einen Doppelgänger? Nein, nein, der Güssen muß sich getäuscht haben. Aber komisch ist das schon. Dann dachte er wieder an den Ablauf der Gespräche, die unterschiedlichen Positio­nen und Argumente, an die erzielten Vereinbarungen, an die noch offenen Punkte. Würde seine Stra­tegie tatsächlich aufgehen, dann wäre das allein schon durch die Nutzung der sich aus dem Firmenzusammenschluß ergebenden Synergien ein kolossaler Gewinn für die Fort­ent­wick­lung seines Unternehmens. Er könnte jetzt endlich . . . aber da erkannte er auch schon die Autobahnabfahrt Ulm-West. Automatisch reduzierte das Fahrzeug die Geschwin­dig­keit und bog in die Abbiegespur ein. Nun dauerte es höchstens noch fünf Minuten bis nach Hause.

      Sein Haus war sehr schön gelegen, in einem nördlichen Außenbezirk der Stadt Ulm. Hier war im Laufe der letzten Jahrzehnte mit fortschreitendem Ausbau der sogenannten Wissen­schafts­stadt, auch Science Park oder Brain Town genannt, einer Ansammlung von Univer­si­tät und Hochschule sowie diversen Forschungsinstituten und anderen forschungs­­nahen Ein­rich­tun­gen und Industriebetrieben, eine sehr große Trabantenstadt für die dort Beschäftigten entstanden. Und hier hatte Wang Qiang, der Inhaber und Geschäfts­führer der im Areal der Wissenschafts­stadt gelegenen Roboter-Firma BrainTech, vor etwa fünf Jahren ein 800 Qua­dratmeter großes Baugrundstück von der Stadt angebo­ten bekommen und sofort zuge­grif­fen. Denn hier stimmte nach seiner Vorstellung so ziemlich alles. Die ganze Infrastruktur war beinahe beispiellos: Kurze innerörtliche Verbindungswege, Anbin­dung an Autobahnen und Schnellzüge sowie an einen Flughafen, städtische Ämter, Zubringer- und Entsorgungs­dienste, sportliche Einrich­tun­gen, Schulen und Kindergärten sowie ausreichend Einkaufs­möglichkeiten und nette Lokale. Trotzdem konnte man das Gefühl haben, in einem Park zu leben, denn breite Grüngürtel und kleine, künstlich angelegte Seen und Bachläufe lockerten die Bebauung auf. Eine phantastische Wohnlage. Und auch die ganze Atmos­phäre, die von dieser Anlage und ihren Bewohnern ausstrahlte,