Peter Beuthner

Das Familiengeheimnis


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nachgewiesen!“

      „Ich weiß schon, Schwesterchen! Aber versuch‘ mal, einem Kreationisten das zu erklären. Das kannst du glatt vergessen! Denn mit den Kreationisten kann man nicht diskutieren. Die verfolgen einen missionarischen Auftrag. Und wer sich, wie die, seiner Gläubigkeit so sicher ist, der braucht keine Argumente.“

      „Das ist zweifellos richtig, großer Bruder. Mich erstaunt nur, daß so viele Menschen trotz unse­rer wissenschaftlichen Erkenntnisse diesem Irrglauben verfallen sind. Vor allem viele Amerikaner negieren die Ansicht, der Mensch könne sich aus einer niedrigeren Form des Lebens entwickelt haben. Ich hab‘ mal gelesen, daß in den USA rund 68 Prozent der Repu­blikaner und rund 40 Prozent der unabhängigen Wähler und der Demokraten nicht an die Evolutionstheorie glauben!“

      „Ja, die Kreationisten haben vor allem in den USA sehr an Einfluß gewonnen“, bestätigte Qiang. „Sie forderten sogar die Verankerung der Schöpfungsgeschichte im Schulunterricht – und zwar im Fach Biologie! Denn Religionsunterricht in den Schulen ist dort verboten. Reli­giöse Lehren an staatlichen Schulen wurden von US-Gerichten mehrfach untersagt, weil Staat und Religion in den USA streng voneinander getrennt sind. Daher konn­ten sie sich mit dieser For­derung nicht durchsetzen, was sie aber nicht davon abhielt, weitere Versuche ‚über Um­wege‘ zu unternehmen. So wurde der Kreationismus von seinen Anhän­gern vor allem aus juristischen Gründen in ‚Intelligent Design‘ umbenannt. Sie versuchten, ihrem Glau­ben einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben. Man sprach nicht mehr von Gott, son­dern von einem höheren Wesen oder einer höheren Intelligenz hinter den Dingen. Die Welt und das Leben auf der Erde sei das Werk eines intelligenten Planers. Das tatsäch­liche Alter der Erde wurde nicht mehr bestritten. Aber das Leben auf dieser Welt sei viel zu komplex, als daß es durch Zufall entstanden sein könnte. Evolution könne nur kleine Verän­de­run­gen bewirken, größere müß­ten gesteuert sein – eben durch einen intelligenten Designer. Diese Theorie der Schöpfung versuchten ultra-konservative US-Politiker dann zumindest als gleich­berechtigt zur Evolu­ti­ons­theorie in den Unterricht einzubringen. Und siehe da: Der US-Präsi­dent George W. Bush ließ im Sommer 2005 dazu verlauten: ‚Wenn Sie mich fragen, ob die Menschen mit den ver­schiedenen Ideen konfrontiert werden müssen, lautet die Antwort: Ja‘.“

      „Intelligent Design – da haben die sich ja was Feines ausgedacht, nachdem sie ihre Idee vom Kreationismus nicht mehr aufrechterhalten konnten!“ räsonierte Jiao. „Also mir will das immer noch nicht in den Kopf, was manche Menschen so alles glauben.“

      „Nicht nur manche, so viele Menschen sogar!“ meldete sich Jie zu Wort. „Du hast doch selber gerade ein paar Prozentzahlen für die USA genannt. Und Gläubige gibt es doch auf der ganzen Welt!“

      „So ist es, ja“, sagte Qiang. „Das heißt zwar nicht, daß die deswegen recht haben. Aber so­lange keine Theorie eindeutig belegt werden kann, ist es eben immer noch eine Frage des Glau­bens, der persönlichen Ansicht, welcher Meinung man eher zuneigt – eben weil keine Seite den Beweis für ihre These erbringen kann.“

      „Aber Darwin hat doch eine ganze Reihe von Belegen für die Richtigkeit seiner weithin aner­kannten Evolutionsthese gegeben“, wandte Long ein.

      „Schon richtig“, bestätigte Qiang. „Aber dennoch gibt es auch viele Zweifler, die sich dieser These nicht anschließen können. Und diese Zweifel werden insbesondere immer an solchen Dingen festgemacht, wo die Evolutionstheorie so bedeutende Entwicklungsschritte wie zum Beispiel das Entstehen menschlicher Intelligenz mit dem Zufallsprinzip zu erklären versucht. Viele Tiere haben sich ja auch fortgesetzt angepaßt und überlebt, obwohl sie nicht über die­se Intelligenz verfügen. Wieso also entstand sie trotzdem und gerade bei den menschlichen Vorfahren? Steckt dahinter eine zielgerichtete Entwicklung, oder war das alles nur Zufall? Solange es auf solche Fragen keine überzeugenden Antworten gibt, wird jeder bei seinem Glauben bleiben, wie auch immer er dazu gekommen ist.“

      „Verständlich“, pflichtete Jiao bei.

      „Wenn da im Laufe der Evolution plötzlich etwas ganz Neues entsteht“, ergänzte Chan, „etwas fundamental und kate­go­rial Neues, was es vorher nicht gegeben hat, dann sprechen die Bio­logen von ‚Emer­genz‘ oder ‚Ful­gu­ration‘. Dazu zählen beispielsweise die Entstehung der Mate­rie, die Entstehung des Lebens und die Entstehung des Bewußtseins. Sie waren auf einmal da, und niemand kann bis heute erklären, wie es dazu kam. Auch die Wissenschaft nicht.“

      „Aber trotzdem“, insistierte Jiao wieder. „Umgekehrt muß man sich doch auch fragen, wo denn der angebliche Designer eigentlich hergekommen sein soll? Aus dem Nichts? Und wenn es denn überhaupt je einen gegeben haben sollte, wo ist er jetzt? Ist der nach voll­brachter Tat einfach verschwunden – nach dem Urknall in Rente gegangen?“

      „Berechtigte Fragen, die dir leider niemand beantworten kann“, konstatierte Chan.

      „Oder anders ausgedrückt: Es gibt viele Erklärungsversuche, aber keiner davon läßt sich be­wei­sen“, entgegnete Qiang. „Wir wissen zum Beispiel, daß das Universum ganz bestimmte Be­din­gungen hinsicht­lich der physikalischen Gesetze und Naturkonstanten erfüllen mußte, da­mit es Leben, wie wir es kennen, nämlich Leben auf Kohlenstoff-Basis, über­haupt hervor­bringen konnte. War es Zufall, daß diese Bedingungen für Leben einst erfüllt waren und immer noch sind? Oder war es geplant und zielgerichtet durch den großen Unbekannten?“

      „Was waren das denn für Bedingungen?“ wollte Long wissen.

      Qiang erläuterte: „Man spricht in der Kosmologie von der ‚Feinabstimmung‘ des Universums und meint damit die unglaublich präzise aufeinander abgestimmten Natur­­konstan­ten und phy­si­ka­lischen Wechselwirkungen als notwendige Voraussetzung dafür, daß die Entstehung von kom­plexen Systemen wie bei­­spielsweise Ga­laxi­en, Son­nen­systemen oder menschlichen Wesen überhaupt erst mög­lich wurde. Bereits winzige Veränderungen an diesen fein aus­tarierten Verhältnissen hätten ausgereicht, das Universum in der Form gar nicht erst entste­hen zu lassen. Alles – vom genauen Energiezustand des Elektrons bis hin zur Ausprägung der schwachen Wechselwirkung – scheint maßgeschneidert, um unsere Existenz zuzulas­sen.“

      „Du meinst, da hat jemand maßgeschneidert? Der Intelligent Designer?“ fragte Long.

      „Das habe ich damit nicht gesagt.“

      „Dann war es also ein Zufall? Ein einmaliger Glücksfall für uns, daß uns die Natur diesen Gefallen getan hat?!“

      „Zufall oder Absicht – ich kann dir diese Frage leider nicht schlüssig beantworten. Niemand kann das! Obwohl sich viele daran versuchen. Vielleicht zitiere ich einfach mal beispielhaft den US-Professor Max Tegmark von der University of California at Berkeley:

      ‚Es gibt zwei mögliche Erklärungen: Entweder wurde das Universum von einem Schöpfer speziell für uns entworfen. Oder es gibt eine große Anzahl von Universen, jedes mit unterschiedlichen Werten der fundamentalen Konstanten, und wir befinden uns, was kaum überrascht, in einem Universum, in dem die Konstanten genau den richtigen Wert haben, um Galaxien, Sterne und Leben zuzulassen.‘

      Er bringt hier also sogar noch das sogenannte Multiversum ins Spiel. Aber darauf möchte ich mich jetzt gar nicht weiter einlassen, denn das ist alles Spekulation. Es ist uns als Bestand­teil dieses Universums unmöglich, und zwar ganz prinzipiell, über diese Systemgrenzen hin­aus­zuschauen. Aber selbst innerhalb unseres Systems sind ja noch so viele Fragen offen.

      Tatsache ist jedenfalls, wie schon gesagt, daß für die Entstehung unseres Systems ganz bestimmte physi­ka­lische Gesetzmäßigkeiten geherrscht haben müssen, andernfalls existier­ten wir nicht.“

      „Und das sind welche?“ fragte Long.

      „Nun, da ist zum einen die Feinabstimmung der fundamentalen Konstanten des Universums, der sogenannten Naturkonstanten, die nach den gegenwärtigen physikalischen Theorien zur Beschreibung des beobachtbaren Universums in ihren Größen genau so dimensioniert sind, daß sich alles in der Weise entwickeln konnte, wie wir es kennen. Dazu gehören zum Bei­spiel die elektrische Elementarladung, die Gravitations­ko­nstan­te,