Peter Beuthner

Das Familiengeheimnis


Скачать книгу

da könnte ich auch“, sagte Frau Eppelmann.

      „Ich auch!“, rief Jiao.

      Und auch die anderen Kinder hatten da noch nichts vor, so daß man sich auf Samstag in fünf Wochen zum Nachmittagstee verständigte und jeder den Termin in seinen PACCS ein­buchte.

      „Na, da habt ihr aber Glück, daß ihr noch kurz vor Weihnachten einen gemeinsamen Termin gefunden habt“, sagte Chan.

      „Ja, stimmt“, ergänzte Jiao, „dann kommen die Feiertage und danach fliegen wir ja schon bald nach Nanjing – dann sind wir erst mal vier Wochen weg.“

       „Da würde ich zu gerne mal mitkommen“, sagte Alexander etwas wehmütig. „Ich habe schon so viel über China gelesen, daß ich es kaum abwarten kann, es mal mit eigenen Augen zu sehen. Das stelle ich mir wahnsinnig interessant vor.“

      „Die Gelegenheit wirst du sicher noch bekommen“, versuchte Ellen ihren Sohn zu trösten. Dann verabschiedete man sich.

      „Denkt an unsere Party nächsten Freitag!“ rief Jiao noch zurück zu den Eppelmann-Jungs.

      „Ach, und wir haben übrigens übernächste Woche wieder Stammtisch, Qiang, denk dran!“

      „Ja sicher, Klaus, ich freue mich schon drauf!“

      Geschäfte, Geschäfte

      Am nächsten Morgen hatte es Qiang wieder eilig, in die Firma zu kommen. Für acht Uhr hatte er eine Vorstandssitzung anberaumt. Pünktlich standen seine Kollegen in seinem Zim­mer. Nach kurzer Begrüßung ging man ohne weitere Umschweife in medias res: „Wie weit ist der Vertragsentwurf?“ fragte Qiang.

      „Es geht voran“, antwortete Sandrine Marchal. „Die meisten Punkte sind eigentlich geklärt. Woran es jetzt hauptsächlich noch hapert, das ist die Frage des Unternehmenswertes. Den schätzt Güssen natürlich viel höher ein als wir, unsere due dilligence will er nicht akzep­tieren.“

      „Wir müssen die Sache jetzt möglichst schnell unter Dach und Fach bringen“, sagte Qiang fest entschlossen. „Notfalls kommen wir ihm halt noch etwas entgegen. Es ist schließlich sein Lebenswerk, das er nun ‚begraben‘ muß. Das fällt ihm natürlich schwer. Es sind ja vor allem emotionale Werte für ihn, denn er hängt immer noch mit seinem Herzblut daran. Und konse­quenterweise bewertet man in solcher Gefühlslage auch den materiellen Wert viel höher. Sein Blick ist da schlicht verklärt. Auf der anderen Seite möchte ich aber auch ver­meiden, daß er vor seiner Familie und seinen Freunden sein Gesicht verliert. Er würde sich wesentlich leichter tun, wenn er sagen könnte, er habe sein Geschäft altershalber aufge­geben und noch einen guten Preis dafür erhalten. Okay, ich werde gleich noch ein Gespräch mit ihm vereinbaren und sehen, wo wir uns einigen können. Auf jeden Fall müssen wir jetzt sehr schnell zu einer Einigung kommen, denn ich habe gehört, daß die Aus­schreibung für die nächste Mars-Mission bald herauskommt, und da müssen wir unbedingt anbieten. Ich bin sehr zuversichtlich, daß wir gewinnen werden, denn mit unserer neuen Roboter-Generation werden wir unschlagbar sein. Aber noch haben wir den Auftrag nicht, selbst eine Kalkulation können wir noch nicht machen, solange das Konzept nicht entwickelt ist. Und dazu brauchen wir endlich die Gespräche mit den Anthropo-Leuten. Die können wir allerdings erst führen, wenn der Vertrag unterschrieben ist. Alles hängt jetzt vom Vertragsabschluß ab. Also, wir haben keine Zeit mehr zu verschenken. Wir brauchen den Vertrag, das hat absoluten Vor­rang vor allem anderen!“

      Sie sprachen noch einmal alle Punkte ihrer Aktionsliste der Reihe nach durch, setzten Prio­ritäten und Termine zum Teil neu und bestätigten die anderen, suchten nach Möglich­keiten für vorgezogene Aktionen, diskutierten Alternativen. Im Anschluß an die Besprechung ging jeder an seine Arbeit. Qiang ließ sich durch Robby mit Herrn Güssen verbinden und verab­redete einen neuen Termin, um die Sache endgültig unter Dach und Fach zu bringen.

      Nach dem Stand der Dinge dürfte diese hoffentlich abschließende Besprechung mit Güssen eigentlich nicht sehr lange dauern, dachte sich Qiang. Somit ergäbe sich eine gute Gelegen­heit, seine Frau mitzunehmen, um sich mit ihr anschließend noch einen schönen Tag in Leipzig zu machen.

      Er machte es sich in seinem Büro bequem und ging noch einmal gedanklich seine Verhand­lungs­strategie, seine Argumente und vor allem seine Grenze für Zugeständ­nisse durch. Er spiel­te die ganze Situation durch, wie sie nach seiner Einschätzung höchst­wahr­schein­lich ab­lau­fen würde, denn er kannte Güssen inzwischen gut genug, um richtig anti­zipie­ren zu kön­nen. Und nicht umsonst hatte er Sun Tzu Ping Fa Die Kunst des Krieges – gelesen, das heißt, die Kriegsmethode des erfolgreichen Feldherrn Sun Tzu, der vor etwa 2500 Jahren ge­lebt und seine Gedanken über die zum Kriegserfolg führenden Strategien in einer Abhandlung beschrieben hatte – oder besser: haben soll, denn so sicher ist man sich heute nicht mehr, ob die Texte tatsächlich von ihm stammen. Wie auch immer – diese Schrift gehört mit ihren zeitlosen Wahrheiten auch heute immer noch zur Pflichtlektüre eines jeden Militärtaktikers. In Analogie zur Kunst der Kriegführung gelten die in der Abhandlung be­schrie­­­benen Erkenntnisse aber auch für Geschäftsleute. Danach ist zum Beispiel die best­mögliche Kenntnis des Geg­ners und seiner Absichten eine ganz wesentliche Voraus­setzung für den eigenen Erfolg – heute eigentlich eine Binsenweisheit, dennoch wird sie nicht immer berücksichtigt. So können auch Manager im Wirtschaftsleben von den Anregungen noch pro­fitieren.

      Nachdem Qiang sein Gedankenspiel beendet hatte, machte er sich auf den Heimweg. Er wollte heute gemeinsam mit seiner Frau, die ebenfalls schon so frühzeitig zu Hause war, zu Mittag essen und danach noch einige Arbeiten am häuslichen Schreibtisch erledigen.

      Während Robby noch in der Küche werkelte, sahen die Wangs ihre Geschäftspost am Com­­pu­ter durch. Es dauerte jedoch nicht lange, da stand Qiang auf und ging zu seiner Frau rüber. „Was hältst du davon, Liebling, wenn wir uns demnächst mal einen schönen Tag in Leipzig machen?“

      Sie blickte ob des überraschenden Angebotes etwas erstaunt auf, lächelte ihn dann aber freund­lich an und sagte: „Das ist eine sehr schöne Idee, mein Schatz. An welchen Tag hast du dabei gedacht?“

      „Mittwoch oder Donnerstag übernächster Woche. Was würde dir passen?“

      „Hm, laß mal sehen.“ Sie bemühte ihren Dispo und meinte dann: „Ich schaue erst mal nach dem Donnerstag, dann brauchten wir unseren Familienabend nicht ausfallen zu lassen. . . . Ah, da haben wir es. Donnerstag, ja, das ließe sich einrichten. Ich habe da zwar schon zwei Termine, aber die könnte ich auch verschieben. Das dürfte kein Problem sein.“

      Chan war beruflich sehr stark engagiert. Ihr Arbeitsgebiet war die Neuroinformatik, ein inter­dis­zi­plinäres wissenschaftliches Forschungsgebiet an der Schnittstelle zwischen Informatik, also der Wissenschaft von der systematischen Verarbeitung von Informationen mit Hilfe von Digitalrechnern, und den Neu­ro­wissenschaften mit ihren verschiedenen biologischen, physi­ka­lischen und medizinischen Wis­sen­schaftsbereichen zur Untersuchung des Aufbaus und der Funktionsweise von Nerven­syste­men. Das Aufgabengebiet beschäftigt sich also mit der In­for­mationsverarbeitung in bio­lo­gi­schen neuronalen Systemen und deren mögliche Funk­tions­übertragung auf tech­nische Sys­te­me. Oder anders ausgedrückt: Es geht zunächst um das Verständnis der Organi­sa­tions- und Funktionsprinzipien der perzeptuellen und kogniti­ven Prozesse, also der im Gehirn ab­lau­fenden Wahrnehmungs-, Informationsverarbeitungs- und Lernprozesse, und schließlich deren Model­lierung sowie Implementierung auf Compu­tern in Form künstlicher neuronaler Netze – eine sehr ambitionierte Aufgabe, denn das Gehirn ist das komplexeste aller uns be­kannten Systeme.

      Es handelt sich dabei um ein komplexes Netzwerk, das aus rund 100 Milliarden Neuro­nen be­steht, die untereinander über Synapsen verschaltet sind und miteinander wechselwirken kön­nen, wobei jedes Neuron zwischen 1.000 und 10.000 Verbin­dungen zu anderen Zellen unter­hält. Zusätz­lich gibt es im Hirn noch etwa 500 bis 1.000 Milliarden Gliazellen, welche die Ner­ven­zellen und ihre Umgebung im Gehirn stützen, nähren und erhalten. Dank kom­plexer dyna­mi­scher Kom­mu­nikationsprozesse