Peter Beuthner

Das Familiengeheimnis


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übers WorldNet. Und wenn wir tatsächlich mal einen Work­shop machen – und das machen wir insbesondere auch zur Pflege der zwischen­mensch­lichen Beziehungen, weil die Leute einfach besser miteinander kooperieren und sich wirklich als Team verstehen, wenn sie sich persönlich einigermaßen gut kennen – dann können die Leute von Leipzig auch mal schnell für ein paar Stunden oder auch Tage her­kommen, so weit ist das ja nicht.“

       „Ja, ja, du hast recht“, pflichtete Klaus bei, „du hast uns gegenüber den großen Vorteil, daß deine Produktion weitgehend automatisch ablaufen kann, weil du en masse produzierst. Unsere Systeme hingegen sind eher Einzel­fertigungen. Wir sind schon froh, wenn wir mal einen Auftrag über fünf oder gar zehn Systeme bekommen – dafür lohnt sich das Anlernen deiner Roboter nicht einmal.“

      „Oh, sag das nicht!“ unterbrach ihn Qiang entschieden. „Unsere Roboter zeichnen sich gera­de durch sehr hohe kognitive Fähigkeiten aus, sie ‚kapieren' unheimlich schnell. Ich garan­tiere dir, daß du mit unserem Roboter schon bei deinem zweiten System einen Profit machst, wenn du ihn beim ersten System anlernst. Das zweite macht er garantiert schon völlig selb­ständig.“

      „Klingt märchenhaft. Aber woher soll denn der Profit kommen? Ich brauche die Leute doch trotzdem weiter­hin, weil die nächste Systemvariante schon wieder ganz anders aussehen kann. Und die kann mir dein Roboter nicht entwickeln – dafür brauchen wir immer noch die Kreativität unserer Ingenieure.“

      „Aber schau doch mal. Während . . .“, und er sprach das „während“ sehr betont und gedehnt, „die Roboter die Kleinserie bauen, können doch deine Ingenieure bereits über dem nächsten Modell ‚brüten‘, verstehst du?“

      „Ja, ja, das klingt ganz plausibel, zumindest theoretisch – und wenn es denn wirklich so funk­tio­nierte, wie du sagst. Aber in der Praxis haben wir auch gar nicht immer gleich die An­schluß­­aufträge, um schon gleich wieder ein neues Modell zu entwickeln.“

      „Und trotzdem kannst du zumindest in der Produktion die Monteure einsparen, weil die Robo­­ter diese Aufgabe sehr viel kostengünstiger übernehmen können und letztlich sogar präziser arbeiten.“

      Sie waren so vertieft in ihr Gespräch, daß sie gar nicht gehört hatten, wie sie von den Frauen zum Essen gerufen worden waren. Erst als diese näher an den Tisch herantraten, wurden die Männer aufmerksam und unterbrachen ihr Gespräch. „Darauf kommen wir aber nochmal zu­rück“, sagte Klaus, „das will ich schon noch etwas genauer wissen.“

       Die Tafel – zwei Tische, die man zusammengestellt hatte – war inzwischen gedeckt, und die Kinder kamen gerade vom Händewaschen zurück. „Tante Ellen!“ rief Jiao, doch bevor sie aussprechen konnte, was sie sagen wollte, stolperte sie über ihre eigenen Füße und fiel zu Boden. „Autsch!“, rief sie und rieb die Hände über die Knie.

      Alexander, der ältere der beiden Eppelmann-Kinder, sprang ihr sofort besorgt zu Hilfe und hob sie behutsam auf. Ihr linkes Knie begann leicht zu bluten.

      „Soon Mist!“ rief sie ärgerlich.

       „Komm mal mit ins Bad, Jiao“, sagte Ellen, „wir waschen es ab, und dann machen wir ein Pflaster drauf.“

      Kurze Zeit später saßen alle am Tisch und genossen das vorzügliche Essen. Es gab Fenchel­salat Orangerie, kleine Pasteten mit Fischklößchen, Hühnerconsommé mit Gemüse, Kalbsrippenstück aus dem Backofen mit Zucchinigratin und Kartoffelschnee, und zum Dessert gab es Birnen in Ingwerwein für die Erwachsenen beziehungsweise Mousse au Chocolat für die Kinder, worauf sich diese schon ganz beson­ders freuten.

       „Was wolltest du mir denn eigentlich vorhin so eilig sagen?“ fragte Ellen Jiao.

      „Ach, ich wollte dich eigentlich nur was fragen“, antwortete diese.

      „Und? Ist es jetzt nicht mehr so wichtig?“

      „Doch schon, aber ich weiß nicht, ob es jetzt hier so richtig paßt.“

      „Ja, worum geht es denn?“

      „Ach weißt du, wir haben uns vorhin so ‘n bißchen über die Zeit, in der wir leben, unterhalten. Und dann sind wir an der Frage hängengeblieben, wie diese Zeit, also die Globalisierungs­zeit, eigentlich angefangen hat. Wir hatten ja vorher zwei Weltkriege und dann die Zeit des sogenannten Kalten Krieges. Und danach fing ja praktisch die Globalisierungszeit an. Aber wie kam es zu dieser Entwicklung? Wodurch wurde das ausgelöst? Oder anders gefragt: Warum hat es sich gerade so und nicht anders entwickelt? Und da waren wir uns eben nicht einig.“

      „So, so!“ sagte Ellen.

      „Ja. Long meint, die neuen Technologien, und zwar insbesondere die Informations- und Kom­mu­­ni­kations­technologien, und die sich daraus ergebenden Möglichkeiten seien aus­schlag­gebend für die ganze weitere Entwicklung gewesen. Jie ist dagegen der Meinung, daß die wirtschafts­politische Entwicklung maßgeblich war. Durch die vielen Firmenfusionen und ‚feindlichen Über­nahmen‘, und was es da sonst noch alles gab, sind die Konzerne immer größer und mäch­tiger geworden, und sie expandierten dabei auch über Ländergrenzen hin­weg, also sie agierten globaler. Und damit stieg auch ständig ihr Einfluß auf die Politiker und deren Ent­schei­dungen. Alexander und ich sind der Meinung, daß die Auflösung der poli­tischen Blöcke Ost-West eigentlich erst dazu führte, daß die Firmen jetzt auch in Länder expandieren konn­ten, in die sie vorher keinen Zugang hatten, und das hat eine richtige Expansionswelle ausge­löst. Ja, und Gerd meint“, – Gerd war der jüngere Sohn der Eppel­manns – „daß die zuneh­men­de Ausbreitung des Terrorismus’ eigentlich die ganze Entwick­lung getrieben hat.“

      Sie schaute fragend in die Runde und fuhr dann fort: „Ich finde das alles wahnsinnig span­nend, und irgendwie habe ich das Gefühl, daß letztlich alle diese Faktoren ihren Einfluß auf die Entwicklung hatten, aber ich möchte es gern wissen“, die Betonung überdeutlich auf das „wissen“ legend. „Ich würde gern die Zusammenhänge verstehen.“

       „Ich weiß, daß du sehr daran interessiert bist“, antwortete Ellen, „nicht umsonst bist du meine beste Schülerin!“

      Ellen hatte Geschichte und Politikwissenschaften studiert und war jetzt Lehrerin an dem im Zentrum von BrainTown gelegenen Einstein-College. Sie liebte ihren Beruf und verstand es aus­gezeichnet, ihre Schüler für die historischen wie auch für die aktuellen politischen Vor­gänge und Zusammenhänge zu interessieren.

      „Und dein Gefühl, daß nicht nur einzelne, sondern die Summe all dieser und vielleicht noch einiger weiterer Faktoren maßgeblich für diese geschichtliche Entwicklung waren, ist sicher richtig. Aber das Thema ist naturgemäß sehr komplex und nicht einfach zu verstehen; auch nicht einfach zu erzählen. Trotzdem, und gerade weil ihr daran so interessiert seid, bin ich natür­lich gerne bereit, diesen Themenkomplex mal etwas ausführlicher mit euch zu be­sprechen. Allerdings würde das heute abend viel zu weit führen, deswegen schlage ich vor, wir setzen uns mal an einem der nächsten Samstage für ein paar Stunden zusammen.“

      „Au ja“, schoß es förmlich aus Jiao heraus, „von mir aus gleich am nächsten Samstag!“

      „Nächsten Samstag haben wir schon etwas vor, vielleicht in der übernächsten Woche? Ich schaue gleich mal in meinen Kalender. Vielleicht wäre es ja auch nicht schlecht, wenn Klaus dabei wäre – er kann gerade zu den wirtschaftlichen Fragen natürlich viel mehr sagen als ich. Was meinst du, Klaus?“

      „Äh, . . . ja, natürlich gerne – wenn wir einen Termin finden, der paßt?!“

      „Gut, dann denkt bitte daran, daß wir nach dem Essen mal einen passenden Termin heraus­suchen“, sagte Ellen.

      „Ich finde es ja wirklich phänomenal, daß unsere Kinder so wißbegierig sind und sich schon in dem Alter mit so schwierigen Gesellschaftsthemen auseinandersetzen“, sagte Chan und schaute dabei ein Kind nach dem anderen anerkennend an.

      „Ja, das ist es in der Tat“, bestätigte Ellen, „aber bei den Eltern auch kein Wunder!“ Dabei lach­te sie laut auf.

      „Eigenlob