Peter Beuthner

Das Familiengeheimnis


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Wort in Gottes Ohr, Herr Wang.“

      Qiang klopfte ihm ermutigend auf die Schulter: „Sie machen das schon!“

      Dann verabschiedete er sich und ging zurück in sein Büro. Es war inzwischen kurz nach drei Uhr geworden, und er beschloß, nach Hause zu gehen. Er wußte, daß auch Chan heute früher zu Hause sein würde. Mal sehen, vielleicht ließe sich ja gemeinsam noch etwas unter­nehmen?

      Ein Besuch bei Freunden

       Einige Tage später waren die Wangs bei Freunden, den Eppelmanns, zum Abendessen ein­ge­laden. Sie besuchten sich wechselseitig relativ häufig, und es waren immer irgendwie inte­res­sante und amüsante Begegnungen. Auch die Kinder verstanden sich sehr gut mit denen von Eppelmanns, zwei Jungen, nur wenig älter als Long und Jiao.

       Qiang hatte Klaus Eppelmann schon vor vielen Jahren, als er noch in China lebte, anläßlich einer Geschäftsreise nach Deutschland kennengelernt. Er war damals noch in der Roboter­firma seines Großvaters in Nanjing, in der Nähe von Shanghai, als Chef­ingenieur tätig und wollte auf seiner Reise einigen seiner Kunden, aber auch einigen potentiellen Neu-Kunden sein neuestes Roboter-Modell präsentieren. Einer dieser Interessenten war Klaus Eppel­mann, Geschäfts­füh­rer in einem Unternehmen der Verteidigungs­industrie mit Sitz in Ulm, dem es dabei um eine neue Generation von Kampf-Robotern mit einer sehr viel größeren Performance ging, wie sich die Ingenieure auszudrücken pflegten, als sie die Vor­gänger­version aufwies. Und daraus sind dann allmählich gute Geschäfts­verbindungen und mit der Zeit auch gute persönliche Bezie­hungen entstanden.

       Persönliche Beziehungen, sogenannte Guangxi, waren für Chinesen schon seit den Zeiten feu­da­listischer Gesellschaftsordnung von elementarer Bedeutung, denn nur ein möglichst gut funktionierendes und breites Beziehungsgeflecht konnte einen relativ zuverlässigen Schutz der eigenen Interessen gegen die allgegenwärtige bürokratische Korruption gewähr­leisten. Sie umfaßten sowohl formelle als auch rein informelle Verbindungen im privaten wie im beruf­lichen Umfeld, und sie beruhten auf dem Prinzip von Leistung und Gegen­leistung. So bestand einerseits die Verpflichtung, anderen Mitgliedern des Netzwerkes zu helfen, anderer­seits aber auch die Sicherheit, diese Hilfe selbst in Anspruch nehmen zu können. Die Guangxi übernah­men somit eine zentrale Integrationsfunktion und bildeten gewisser­maßen das soziale Netz der chinesischen Gesellschaft. Deshalb wendeten die Chinesen sehr viel Zeit und Mühe für den Aufbau und die Pflege solcher Beziehungen auf, oft mehr als für ihre Arbeit. Wer über Guangxi verfügte, kam schneller, oder überhaupt nur dann, an die ge­wünsch­­ten Informationen, erhielt Genehmigungen für seine Vorhaben, hatte Zugang zu Gütern und Dienstleistungen, hatte gene­rell mehr Erfolg bei der Erreichung seiner Ziele und konnte selbst schwierigste Probleme am Gesetz vorbei regeln lassen. Andererseits ging er aber mit jeder Inanspruchnahme einer Gunsterweisung auch eine Verpflichtung zur Gegen­leistung ein – eine Hand wäscht die ande­re, sagt man dazu in Deutschland –, so daß dieses Beziehungsnetz mit seinen Loyalitäts­verpflichtungen und Dankesschulden zu einer großen per­sön­lichen Belastung werden konnte. Dessenungeachtet hatte sich dieses Sozialver­hal­ten über Jahrtausende tief in den Köpfen der Chinesen verwurzelt, wie auch die Korruption, und beides konnte selbst im kommunistischen China nicht überwunden werden – trotz aller Bestrebungen und Veranlassungen der herr­schen­den Klasse.

       Klaus Eppelmann und seine Kinder erwarteten die Wangs schon im Vorgarten, während seine Frau noch in der Küche mit der Zubereitung des Essens beschäftigt war. Sie wußten aus Erfahrung, daß die Wangs immer sehr pünktlich waren, denn, obwohl diesen die hier­zulande übliche Inanspruchnahme des sogenannten akademischen Viertels hinlänglich be­kannt war, hielten sie es persönlich doch nach wie vor mit der chinesischen Konvention, nach der ein Gast seinen Gastgeber niemals warten lassen durfte, weil dies als Unhöflichkeit empfunden würde. Deshalb erschienen sie zu Verabredungen regelmäßig überaus pünktlich. Die Begrü­ßung war – wie unter alten Freunden üblich – sehr herzlich.

      „Schön, euch wieder­zusehen“, sagte Klaus, indem er Chan an sich drückte und sie auf beide Wangen küßte – und dann, zu Qiang gewandt: „Du mußt mir unbedingt vom Stand deiner Ver­trags­­­verhandlungen erzählen, ich bin schon wahnsinnig neugierig.“

      Die Kinder waren inzwischen schon in den Garten gelaufen und vergnügten sich dort un­über­­­hörbar. „Aber kommt doch erst mal rein“, sagte Klaus, „die Kinder können ruhig noch etwas draußen herumtoben, bis das Essen fertig ist.“

      Klaus Eppelmann war von großer, etwas bullig wirkender Gestalt. Das fiel ganz besonders deutlich auf, wenn er neben Qiang stand, der trotz seiner etwa Einmeterfünfundachtzig mit seiner sehr schlanken, fast schmächtigen Figur recht klein daneben wirkte. Auch im Alter unter­schieden sie sich deutlich. Klaus Eppelmann war fast zwanzig Jahre älter und nahm intuitiv die Rolle des väterlichen Freundes in dieser Beziehung wahr.

       Sie gingen ins Wohnzimmer, wo sie kurz darauf Ellen Eppelmann begrüßte, eine etwas rund­liche Frau um die Mitte Vierzig mit einem sehr freundlichen, warmherzigen Gesichts­aus­druck. Sie war – wie man so sagt – die gute Seele des Hauses, die ausgleichende, mit viel Geduld aus­gestattete Kraft, der es auch in manchmal etwas hitziger ausgetragenen Ausein­ander­­setzungen zwischen den Jungs oder zwischen Vater und den Söhnen immer wieder gelang, den häuslichen Frieden herzustellen.

      Die Jungs waren sechzehn und vierzehn Jahre alt, in einem Alter also, in dem sie sich nicht gern bevormunden ließen, weder vom Bruder noch von den Eltern. Sie reagierten leicht gereizt und trotzig, wenn sie auch nur das Gefühl hatten, jemand wollte ihnen irgendwelche Vor­schriften machen. Aber Ellen verstand es immer wieder, die Wogen zu glätten – mit diplo­ma­tischem Geschick und viel Fingerspitzengefühl.

       „Wie geht es euch?“, fragte sie und umarmte beide nacheinander. Ohne lange auf eine Ant­wort zu warten, fuhr sie fort, Chan zugewandt: „Ich glaube, wir haben eine Menge zu erzäh­len. Ich muß aber eben noch schnell in die Küche, kommst du mit?“

       Eppelmanns hatten natürlich auch einen Hausroboter. Den hatte Qiang ihnen mal anläßlich eines Geburts­tages von Ellen geschenkt, aber Ellen ließ es sich nicht nehmen, das Essen selber zuzubereiten. Sie kochte leidenschaftlich gern, und sie war dabei stets am Experi­mentieren und Probieren, und so komponierte sie immer wieder interessante und sehr gut schmeckende, aber auch optisch sehr ansprechende Variationen. Sie empfand diese Tätig­keit als äußerst kreativ, denn dabei konnte sie täglich alle ihre Sinne von neuem ins Spiel bringen. Essensmonotonie und Fast Food waren Fremdworte, die in Eppelmanns Sprach­schatz gar nicht vorkamen – im Gegenteil, Essen bei Eppelmanns war immer ein Erlebnis. Und so war natürlich klar, daß Frau Eppelmann da keinen Roboter heranlassen wollte. Selbst das Ser­vieren des Essens ließ Ellen sich nicht nehmen. Es war für sie ein Stück Tradition, die sie sehr liebte und pflegen wollte, ein Teil der Kultur. Aber da war auch ein unbestimmtes, schwer defi­nier­bares Gefühl, das sie davon abhielt, den Roboter das Essen machen zu lassen. So setzte sie diesen vorwiegend für Reinigungs- und sonstige Haus­dienste, aber natürlich auch draußen bei der im Schwäbischen üblichen Kehrwoche ein. Den Tisch durfte er nur decken und spä­ter wieder abräumen.

       Inzwischen hatte Klaus Qiang zu sich herangezogen und ging mit ihm ins Wohnzimmer zur Sofaecke. „Erzähl doch mal, wie deine Geschäfte laufen. Klappt es jetzt eigentlich mit der Übernahme von Anthropo­Tech, oder gibt es da immer noch Probleme?“

      Ein Strahlen ging über Qiangs Gesicht, er konnte seine Freude nicht verbergen, und noch bevor er anfangen konnte, zu erzählen, ergänzte Klaus gleich noch: „Ah, ich sehe schon – es hat end­lich geklappt! Erzähl doch mal!“

      „Ja“, fing Qiang an, „es hat geklappt, wir sind uns grundsätzlich einig geworden. Natürlich sind noch verschiedene Details zu klären. Aber die kriegen wir schon in den Griff.“

      „Wirst du den Standort dort aufrechterhalten?“

      „Wir haben es noch nicht endgültig entschieden, aber ich tendiere eher dazu, den Standort Leipzig zu schließen und die für uns wichtigen Know-how-Träger nach Ulm zu holen – jeden­falls,