Peter Beuthner

Das Familiengeheimnis


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aber es gibt eben auch gewisse Entsprechungen, die den Vergleich durchaus ange­bracht erschei­nen lassen. Wie dem auch sei – die angesprochenen Schwierigkeiten sind inzwischen längst beherrscht. Heutzutage werden die meisten synthetischen Organismen bereits in Massen für die unterschiedlichsten Anwendungen und Einsatzbereiche maschinell produziert.“

      „Können Sie mir Beispiele nennen?“

      „Sicher. Diese transgenen Organismen übernehmen heute schon zahlreiche Aufgaben für uns, die von den uns bekannten natürlichen Organismen nicht geleistet werden können. So finden diese maßgeschneiderten Bakterien – wir bezeich­nen sie auch als Mikromaschinen, übrigens wieder ein Begriff aus der Technik – vielfältige An­wendungen in der Lebens­mittel­technik, der Pharmazeutik, der medizinischen Diagnostik und Therapie, der Informations­ver­arbeitung, der Herstellung von Nanomaterialien, der Energie­er­zeu­gung und vielem anderen mehr. Zwei andere habe ich eingangs schon erwähnt. Denken Sie nur daran, daß bereits die ganze Erdöl­in­dus­trie durch biologische Pro­duktions­verfahren ersetzt wurde. Heute werden umwelt­freund­liche Energieträger von syn­the­tisierten Super­mikro­ben aus Kohlendioxid, Was­ser und Licht produziert, Biosprit aus Fett­säuren, Bioethanol aus Ernterückständen, Holz oder Stroh – und nicht mehr, wie früher, aus Maisstärke oder aus Zuckerrohr. Damit steht der Prozeß nicht mehr in Konkurrenz zur Lebens­­mittelproduktion, was angesichts der welt­weiten Verknappung und Verteuerung von Grundnahrungsmitteln in Verruf gekommen war. Sie lösen also eine Reihe unserer Energie­probleme. Die chemische Industrie hat mittels gentechnisch optimierter Mikroorganismen Verfahren zur effizienteren und umwelt­freund­licheren Massenproduktion von Chemikalien, Medikamenten und komplexen Wirkstoff­träger­systemen, Glukose, Zitronensäure, Amino­säuren, Bioethanol, biologisch abbaubaren Kunst­stoffen und vieles andere mehr aus nach­wachsenden Rohstoffen entwickelt. Von beson­derer Bedeutung sind auch die speziell für den Abbau von toxischen Abfällen sowie für die Sanie­rung chemisch belasteter Böden ent­wickelten Bakterienkulturen, die an vielen Stellen der Welt in großen Mengen ihre wert­volle Arbeit vollbringen. Gerade für eine Massenproduktion in Größenordnungen von mehre­ren Millionen Tonnen pro Jahr kommt es auf solche Faktoren wie ‚umweltfreundlich‘, ‚effektiv‘ und ‚preiswert‘ ganz besonders an. Aufgrund dieser Ver­fah­ren sprechen wir auch schon mal von der ‚Biologisierung der chemischen Industrie’. Weitere An­wen­dungen finden Sie im Bereich der Sensorik, wo biosynthetisch optimierte Bakterien als kosten­günstige und hochempfind­liche Sensoren zum zuverlässigen Aufspüren von Gift- und Schad­stoffen eingesetzt werden. Die bakteriellen Sensoren zeichnen sich insbesondere da­durch aus, daß sie nicht nur die Art des Stoffes, also zum Beispiel Arsen, Benzol, Toluol, polychloriertes Biphenyl oder auch Ölrück­stände im Meerwasser, identifizieren, sondern auch deren Toxizität und Intensität beziehungs­weise Dosis. Ähnlich wie bei der schon erwähn­ten TNT-Detektion wird auch hier das Ergebnis durch Aufleuchten des Bakteriums angezeigt. Und auch hier ist mit zuneh­men­der Konzen­tration des nachzuweisenden Stoffes der Biolumines­zenz-Effekt umso stärker aus­geprägt.

      Abschließend will ich noch einen anderen wichtigen As­pekt erwähnen: Den Einsatz von Mikro­­organismen unter extremen Umweltbedingungen. Dazu muß man wissen, daß es Bak­terien und andere Einzeller gibt – sogenannte Extremophile –, deren Enzyme und Membra­nen opti­mal an bestimmte extreme Umweltbedingungen angepaßt sind, je nachdem, wo sie leben – in Salzseen, Laugen, Säuren, in kochenden vulkanischen Quellen, unter dem Ge­frierpunkt, unter extremem Druck in der Tiefsee, unter radioaktiver Strahlung. Überall gibt es angepaßtes Leben. Und gerade diese Eigenschaften machen sie für biotechnische Anwen­dungen beson­ders interessant, weil sie die Effektivität und die Effizienz chemischer Produk­tionsprozesse deutlich verbes­sern können. Deshalb hat man im Laufe der Jahre überall in solchen unwirt­lichen Lebens­räumen existierende Mikroorganismen eingesam­melt, im Labor hinsichtlich ihrer Eignung für diverse Industrieprozesse analysiert und alle brauch­baren in der einen oder anderen ange­sprochenen Weise weiter gezüchtet. Sie finden heute Anwen­dung in zahllosen Prozessen. Aber es würde viel zu weit führen, darauf hier noch näher einzugehen. Ich denke, ich habe Ihnen ausreichend viele Beispiele aufgezeigt.“

      „Ja, das war ein sehr interessanter Schnelldurchgang durch die Synthetische Biologie und ihre Potentiale, Herr Professor Li. Ich danke Ihnen sehr für diese Ausführungen.“

      „Aber, ich bitte Sie. Das mache ich doch gern. Und es war ja nur ein sehr bescheidener, klei­ner Einblick in das sehr umfassende Arbeitsgebiet.“

      „Wenn Sie erlauben, dann würde ich doch gern noch einen anderen Punkt ansprechen.“

      „Selbstverständlich! Bitte, gern.“

      „Birgt diese Technologie nicht doch auch erhebliche Risiken in sich? Ich meine, wenn Sie die Mikro­­organismen in beliebig programmierbare Biomaschinen für allerlei Einsatzzwecke und An­wen­dungen verwandeln, dann könnte doch damit auch eine ganze Menge Unfug ange­stellt wer­den. Die Gefahr eines Mißbrauchs dieser Technologie scheint mir nicht uner­heb­lich.“

      „Damit sprechen Sie die Kehrseite der Medaille an, ja, womit wir wieder beim Thema ‚Fort­schritt oder Fortschrittsverhinderung’ wären. Bisher haben wir nur über die positiven Möglich­keiten und Anwendungen der Synthetischen Biologie gesprochen. Aber wie so oft im Leben, kann jede neue Errungenschaft auch mißbräuchlich genutzt werden, leider. . . . Nur, noch­mal: Sollten wir deshalb auf jeden technologischen Fortschritt verzichten? . . . Nein, das kann mei­nes Erachtens nicht die richtige Antwort sein. Die richtige Antwort muß vielmehr lauten: Wir tun alles, und zwar frühzeitig, begleitend zu den Forschungsarbeiten, um uns der Risiken und Gefahrenpotentiale sehr bewußt zu werden und geeignete Strategien, Schutz- und Ab­wehr­­maßnahmen zu entwickeln, mit denen Mißbrauch und Fehlentwicklungen möglichst von vornherein ausgeschlossen werden können.“

      „Was aber leider nicht immer so gelingt?“

      „Zugegeben. Wo Menschen sind, werden Fehler gemacht.“

      „Wie damals? Die tödliche Infektionsepidemie mit Designerbakterien in den zwanziger Jah­ren, glaube ich?! Die Tausende unschuldiger Menschen dahingerafft hat?!“

      „Das war ein sehr bedauerlicher Zwischenfall, ja, aber ein Einzelfall. Ein durch­geknallter Wis­sen­schaftler, der die amerikanische Regierung um ein paar Millionen Dollar erpressen wollte. Wenigstens hat auch der mit seinem Leben bezahlt.“

      „Einzelfall? Soweit ich mich erinnere, haben doch auch mal Terroristen Designerbakterien als biologische Waffe gegen die USA und Israel eingesetzt. War das nicht auch in den zwanziger Jahren? Oder sogar schon früher?“

      „Das ist richtig. Da war mal ein Übergriff mit vielen Toten. Aber wann das genau war, er­innere ich jetzt auch nicht mehr. Allerdings war auch das nur ein Einzelfall, so bedauerlich frei­lich jeder einzelne Fall ist.“

      „Sie sprechen immer nur von Einzelfällen?“

      „Man darf nicht alles in einen Topf werfen. Jeder Fall ist anders, hat andere Motivation, Aus­führung und Auswirkung. Dementsprechend sind jeweils andere Präventions-, Schutz- und Ab­wehr­­maßnahmen zu ergreifen. Die Lehren aus den angesprochenen Fällen sind sehr schnell gezogen worden und haben immerhin dazu geführt, daß keine Nachahmeraktionen stattfanden.“

      „Was den Betroffenen der ersten Fälle aber auch nicht mehr geholfen hat.“

      „Das ist in der Tat sehr bedauerlich, ja.“

      „Ich denke, es muß sich ja nicht unbedingt immer um einen bewußten Mißbrauch, eine ab­sicht­lich herbeigeführte Bedrohung handeln. Es passieren ja auch immer wieder Unglücks­fälle. Auch dadurch könnten große Gefahren für die Umwelt, für die Bevölkerung und deren Ge­sund­heit ausgehen. Und wie stellen Sie überhaupt sicher, daß uns die Designer­mikroben nicht irgendwann über den Kopf wachsen, daß wir sie schlicht und einfach nicht beherr­schen?“

      „Selbstverständlich differenzieren wir hier – genau wie Sie im technischen Bereich – zwischen Safety und Security, also zwischen unbeabsichtigten Unfällen und fehlerhaftem Han­­deln einer­seits sowie absichtlichem Mißbrauch andererseits. So wird schon