Peter Beuthner

Das Familiengeheimnis


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Auf­gaben vom Menschen in die Natur ausgesetzt wurden, um ihrer Bestimmung gerecht zu werden, zum Beispiel Umwandlung von Treibhausgasen in Baustoffe durch Bakterien, diese Organismen interagieren mit ihrer Umwelt und sind zwangsläufig der Evolution ausgesetzt wie alle Lebewesen in der Natur. Wer glaubt denn, diese Entwicklung noch überblicken und steuern zu können?“

      „Also, ich bin ja wirklich kein ängstlicher Mensch und für technische Fortschritte immer zu haben. Deshalb war ich auch ganz begeistert zu hören, was sich durch die Synthetische Bio­logie alles für neue, wunderbare Perspektiven eröffnen. Aber mit deinen – sicher sehr be­rech­tigten – Einwendungen stimmst du mich jetzt doch etwas nachdenklich. . . Allerdings . . . einen Frankenstein werden wir in unserem Leben sicher nicht mehr erleben . . . und unsere Kinder und Enkel auch nicht, denn die Evolution ist ein sehr, sehr langsamer Prozeß.“

      „Die natürliche Evolution, ja! Aber hier haben wir es mit einem vom Menschen forcierten evo­lutionären Prozeß zu tun. Angefangen haben sie einst mit einfachen Molekülen, Mikroben und Bakterien. Aber wir wissen nicht wirklich, auf welcher Entwicklungsebene sie heute be­reits ex­peri­mentieren.“

      „Komisch eigentlich, daß in der Öffentlichkeit so wenig darüber bekannt ist.“

      „Ich hoffe, du kannst trotzdem ruhig schlafen. Ich muß jedenfalls jetzt ins Bett, ich bin hunde­müde.“

      „Hmmm . . . Ja, und danke auch für den Aufreger so kurz vorm Schlafengehen!“

      Beide mußten lachen, dann gingen sie zu Bett.

      Stammtisch

      Es war eine illustre Herrenrunde, die da in der traditionsreichen Brauereiwirtschaft in Söflin­gen, einem Stadtteil im Westen Ulms, zusammensaß. Sie trafen sich jeden Monat einmal dort und klönten dann einen Abend lang bei Bier und einer kräftigen Brotzeit über Gott und die Welt. Qiang war, schon kurz nachdem er sich in Ulm niedergelassen hatte, von Klaus Eppelmann in diese Gesellschaft eingeführt worden.

      Neben Qiang zur Linken saß Jochen Grüner, ein Mitfünfziger, der seinem Namen alle Ehre mach­te, denn er setz­te sich vehement für die Belange der Grünen-Partei in der Kommunal- und Landespolitik ein. Er war von schlanker, fast hagerer Gestalt, ernährte sich weitgehend von biologisch hoch­wertigen Nahrungs­produkten und hielt sich körperlich fit durch jede Men­ge sport­liche Betäti­gun­gen. Er hatte eine spitze Nase, spitzes Kinn, etwas streng gucken­de Augen und volles brau­nes Haar.

      Links daneben saß Gunter Guter, Professor für Geriatrie an der Universität Ulm, der wegen seiner recht ordentlichen Leibesfülle und seines runden, meist roten und immer etwas auf­ge­dun­sen­en Gesichtes schon rein äußerlich einen starken Kontrast zu Jochen Grüner bildete. Er war ein sehr gemütlich aussehender, älterer Herr von ungefähr sechzig Jahren, der sich offen­bar durch Nichts aus der Ruhe bringen ließ.

      Daneben saß Manfred Medent, eine sehr gepflegte Erscheinung, immer modern und bestens gekleidet. Er war Zahnarzt und erfreute sich dank seiner anerkannten Fähigkeiten bei der Zahn­­­behandlung eines großen Patienten­zustroms.

      Neben ihm saß Ralf Gerngroß, der zweite Kommunalpolitiker in dieser Runde, Mitglied des Stadtrates und Baudezernent von Ulm. Er war ein kräftiger, aber etwas untersetzter Mann von knapp über vierzig Jahren mit leicht exaltiertem Benehmen, mit dem er vermutlich seine evidenten Minderwertigkeitskomplexe zu überspielen versuchte. Er trug stets Schuhe mit sehr hohen Absätzen, und sein schon recht schütteres Haar versuchte er offenbar durch einen mäch­tigen Schnauzbart zu kompensieren.

      Zu seiner Linken saß der weit über die Ulmer Region hinaus bekannte Architekt Karl Haus­mann, der mit seinem großen Architekturbüro schon viele Aufträge für die Stadt ausgeführt hat. Es waren zumeist Objekte, die schon wegen ihrer exponierten Lage, vor allem aber auch wegen ihrer schon fast genial anmutenden Gestaltung beeindruckende Akzente in der Stadt setzten. Karl Hausmann war fünfundvierzig, mittelgroß, wohl­proportioniert, hatte kurze blonde Haare und einen Blick, der irgendwie immer in die Ferne gerichtet schien und ihm einen merk­würdig gedankenvollen, fast verträumten oder gar wehmütigen Gesichtsausdruck verlieh. Er schien sich unentwegt mit seiner Umgebung gestalterisch auseinanderzusetzen, immer kri­tisch prüfend, häufig mißbilligend und immer nach einer besseren Lösung suchend.

      Neben ihm saß Volker Ungerecht, der Landgerichtspräsident von Ulm, ein sehr jovialer älterer Herr so um die Sechzig von mittelgroßer, etwas rundlicher Figur mit ernstem Blick, aber sehr freundlichem Wesen. Sie nannten ihn manchmal scherzhaft „Richter Gnadenlos“, obgleich er in seinen Urteilen weder ungerecht noch gnadenlos war. Im Gegenteil, gerade weil er schon einen so ungeliebten Namen trug, bemühte er sich immer ganz besonders, größte Gerechtig­keit walten zu lassen. Er war ein sehr guter Zuhörer, analysierte messer­scharf und schluß­fol­ger­te dann äußerst konsequent, aber immer fair.

      Der Letzte in dieser Runde, zwischen Volker Ungerecht und Klaus Eppelmann sitzend, war Adrian Musenmann, der Theater-Intendant Ulms, ein äußerst geselliger Mensch, der immer wieder, wenn ihm das Gesprächsthema zu einseitig oder zu langweilig wurde, einen Witz ein­fließen ließ und auf diese Weise die Stimmung wieder auflockerte. Er war so ungefähr Fünf­undvierzig, groß, schlank, hatte ein sehr ausdrucksstarkes, schönes Gesicht mit unübersehbar femininen Zügen, dazu fast schulterlange dunkelblonde Locken. Die waren aller­dings nicht echt. Ihm war kein Aufwand zu groß, um sich seine Haare regelmäßig locken und frisieren ­zu lassen.

      Einer fehlte heute in der Runde, Artur Weise, Professor für Philosophie an der Universität Ulm. Er kurierte gerade eine Grippe aus.

      „Heute geht die Runde auf meine Kosten“, sagte Manfred Medent, nachdem alle Platz ge­nom­men hatten. Er war letzte Woche dreiundvierzig geworden, und für seinen Geburts­tag mußte er nun nach alter Gepflogenheit einen ausgeben. Das hatte sich im Laufe der Zeit seit Beste­hen dieser Stammtischrunde einfach so eingespielt, und davor konnte sich keiner drücken.

      „Es ist doch immer wieder schön, wenn einer Geburtstag hat“, freute sich Adrian Musen­mann, um dann nach einer bewußt eingelegten Pause zu ergänzen: „jedenfalls, wenn es ein anderer ist“. Dann lachte er laut auf und schaute sich beifallheischend um. „Wenn man selber Geburts­tag hat, dann hat man auch selbst den ganzen Aufwand und die Kosten. Da macht es schon gleich keinen Spaß mehr!“

      „Also, das verstehe ich jetzt überhaupt nicht“, erwiderte Manfred Medent, „wenn wir schon mal in der Kneipe sitzen, dann ist es doch überhaupt kein Aufwand für uns! Aber du denkst wahr­schein­lich wieder ans Geld, du Geizhals, dabei könntest du dir das bei deinem Ein­kommen locker leisten.“

      „Du scheinst dich ja gut auszukennen, was mein Einkommen anbetrifft. Aber Spaß beiseite, ich freue mich einfach darauf, einen gutverdienenden Zahnarzt heute mal so richtig schädi­gen zu können.“

      „Tu das ruhig, Adrian, solange du noch richtig beißen kannst. Spätestens nach deinem nächs­­ten Besuch in meiner Praxis könnte das schon ganz anders aussehen.“

      Allgemeines Gelächter.

      „Siehst du, Adrian, mit seinem Zahnarzt sollte man es sich möglichst nicht verscherzen. Irgend­wann sitzt du wieder ganz kleinlaut und mickrig in seinem Sessel, und dann hast du in jedem Fall das Nachsehen“, frotzelte Gunter Guter.

      „Ja, ja, ich weiß, es soll ja immer wieder Leute geben, die ihre Position schamlos zum Nach­teil ihrer Mitmenschen ausnutzen“, sinnierte Adrian. „Dafür habe ich leider den falschen Be­ruf gewählt. Ich könnte euch höchstens mit einer schlechten Inszenierung ärgern, wenn ihr Kul­tur­banausen überhaupt ins Theater ginget.“

      Inzwischen war die erste Runde Bier gekommen, und alle erhoben ihr Glas, um auf das Wohl des Geburtstagskindes anzustoßen. „Ex!“ rief Adrian, und kippte sein Glas in einem Schluck hinunter. „Hm . . ., das erste Bier läuft immer ganz besonders gut“, sagte er betont schwärme­risch, während er der Bedienung Zeichen gab, ein neues Bier zu bringen. Und wie er die Bedienung noch so anschaute, fiel ihm spontan ein Witz ein: „Mal aufgepaßt, Leute! Ihr seid doch alle verheiratet