Peter Beuthner

Das Familiengeheimnis


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zu niedrigen Kosten, auf der anderen Seite aber darf man die Kreativität unserer Ingenieure auch nicht zu sehr unterdrücken. Sie entwickeln ja auch immer wieder leistungsfähigere und effizientere Lösungen, die uns neue Vorteile bringen.“

      „Zweifellos! Da sprechen Sie mir aus der Seele, ich bin ja selber Ingenieur. Es ist ein schma­ler Grat, auf dem wir uns da bewegen. Wir brauchen beides.“

      „Richtig!“

      „Da sind wir uns einig. . . . Aber ich hatte Sie wohl unterbrochen. Sie wollten, glaube ich, noch etwas über die Synthetische Biologie im Unterschied zur Gentechnologie erzählen?“

      „Ja, da waren wir stehengeblieben. Also, nochmal: Generell läßt sich sagen, das Ziel unser­er Bemühungen war und ist ein modulares System – übrigens auch ein bekannter Terminus technicus – von exprimierbaren Genen, die in einem Wirtsorganismus – manche sprechen auch ganz technisch von einem Chassis – je nach Bedarf zusammengefügt werden können und dort nicht nur die vorhandenen, natürlichen Stoffwechselwege nutzen, sondern auch neue in der Zelle etablieren.“

      „Das Baukastensystem.“

      „Genau. Das heißt bei uns: Für das Design neuer Organismen generieren wir zunächst ein ganzes Sortiment an standardisierten und damit immer wieder verwendbaren biologischen Grundbausteinen des genetischen Codes mit definierten Funktionen und Eigenschaften, soge­nannten ‚bioparts’ oder auch ‚BioBricks’, die für die verschiedenen neu zu schaffenden Orga­nis­men in gewünschter Weise immer wieder neu kombiniert werden können – also vergleich­bar zu den in der Technik üblichen Software- und Hardware-Komponenten.“

      „Ja, das ist ein guter Vergleich.“

      „Um das zu realisieren, müssen wir zum einen die genetischen Netzwerke der Organismen in ihre Einzelteile, die schon erwähnten bioparts, zerlegen und in unserem Baukasten ver­fügbar halten. Das ist geschehen; es gibt inzwischen ein weltweites Register standardisierter bioparts. Und zum anderen brauchen wir für die Rekombination einen Wirtsorganismus, in den wir die gewünschten Bioparts-Kombinationen einbauen können. Dieser Wirtsorganismus sollte ver­ständ­licherweise ein absolut modularer, auf seine allernotwendigsten Systemkom­po­nenten redu­zierter Minimalorganismus – das möglichst kleinste Lebewesen, das sich eigen­ständig im Labor vermehren kann – mit der kürzest möglichen Generationenzeit sein. Und das war lange Zeit ein ungelöstes Problem. Dazu mußten wir zunächst mal heraus­finden, welche Gene für den Syntheseprozeß im Labor unbedingt notwendig beziehungs­weise nicht notwendig, also verzichtbar, sind. Und das ist nicht so einfach, wie es klingt. Es reicht nämlich nicht – wie wir das anfangs nur machen konnten –, immer nur ein Gen nach dem anderen auszuschalten, um dessen Wirkung zu erkennen, weil es ja eine ganze Reihe von Wechselwirkungen zwischen den zahlreichen Stoff­wechsel­wegen und ihrer Regulation gibt, die man nur identifizieren kann, wenn man komplette Minigenome synthetisiert und testet, ob sie existieren können. Man muß also alle möglichen Kombinationen durchspielen, und das ist ziemlich aufwendig. Deshalb lag es nahe, diese Untersuchungen mittels Com­puter­simulation zu unterstützen.“

      „Wieder ein guter Vergleich zum technischen Bereich.“

      „Gewiß. Das setzte allerdings voraus, daß wir die teils sehr komplexen zellulären Vorgänge in natürlichen Organismen verstehen, und da haben wir noch manch ein Problem. Denn wir kön­nen bisher nicht die Gesamtheit der in einer Zelle ablaufenden Prozesse in einem Com­pu­ter­modell realistisch und detailgetreu abbilden. In jeder biologischen Zelle laufen zeitgleich un­zählige vielfach ineinander verschachtelte, untereinander abhängige und sich gegenseitig re­gu­­lierende chemische Prozesse ab, die uns derzeit immer noch einige Kopfschmerzen be­rei­ten. Aber wir können mehr und mehr spezifische Teilpro­zes­se einer Zelle schon sehr gut im Computer darstellen. Um Ihnen ein Beispiel zu geben, das besonders für Krebspatien­ten von großer Bedeutung ist: Wir können gestörte Signalübertra­gungs­wege in Krebszellen er­ken­nen, sie im Computermodell nachbilden und auf diese Weise die Ursache der Störung so­wie die Möglichkeiten zu deren Behebung herausfinden. Und eines Tages werden wir auch Herr der ganzen Komplexität der Zelle sein.“

      „Klingt zuversichtlich.“

      „Ja, ich weiß, was ich sage. Bald werden wir die komplexen zellulären Vorgänge in natür­lichen Organismen ganz verstehen und in einer Wissensbasis speichern, um sie anschlie­ßend allen Forschern zur Ver­fügung stellen zu können. Inzwischen haben wir einige univer­sell einsetz­bare Minimalgenome reali­siert, die mit rund 200 Genen als Minimum für Leben auskommen und nun als Wirtsorga­nis­­mus für völlig neue Organismen genutzt werden, deren Erbgut wir unseren Wünschen ent­sprechend computer­gestützt konzipieren und chemisch synthetisieren.“

      „Hört sich irgendwie phantastisch an“, sagte Qiang bewundernd.

      „Ist es auch. Es übersteigt sicher die Vorstellungskraft Außenstehender, daß wir existente natür­liche Organismen durch Integration von künstlich generierten biochemischen Systemen modi­fizieren und auf diese Weise die Eigenschaften der ursprünglichen Organismen im ge­wün­­schten Sinne verändern. Und es wird deren Vorstellungskraft noch mehr übersteigen, daß wir schrittweise, from scratch – analog zu den biologischen Vorbildern – neue chemi­sche Sys­te­me so aufbauen, daß sie bestimmte, gewünschte Eigenschaften von Lebewesen aufweisen.“

      „Und das funktioniert schon?“

      „Über das Forschungsstadium sind wir inzwischen in vielen Dingen längst hinaus. Seit ge­rau­mer Zeit ist das state of the art. Sie müssen wissen, daß die Entwicklung erster bio­chemi­scher Schaltkreise aus DNA-Sequenzen und zugehörigen Proteinen – sie lassen sich in ihrer Funktion etwa vergleichen mit den aus der Digitaltechnik bekannten logischen Opera­tionen AND, OR, NOT und anderen – bereits Anfang des Jahrtausends begann. Damals ge­lang den Forschern die Herstellung eines biologischen Oszillators durch Genmanipulation von Kolibak­terien – mit anderen Worten: Die Herstellung eines genetischen Schaltkreises, be­stehend aus drei verschiedenen BioBricks, der das Bakterium periodisch aufleuchten läßt.“

      „Aufleuchten?“

      „Ja, indem ein BioBrick ein Fluoreszenz-Protein produziert, das durch Wechsel­wirkung mit den anderen BioBricks ein oszillierendes Aufleuchten bewirkt.“

      „Gibt es dafür schon technologische Anwendungen?“

      „Selbstverständlich, schon lange! Beispielsweise beim Aufspüren von Land­minen. Und es zeigt sogar die Konzentration des Sprengstoffs TNT im Boden an, indem es in entsprechend unter­schiedlichen Farben aufleuchtet.“

      „Phänomenal, wirklich phänomenal!“ staunte Qiang. . . . „Allerdings – ohne Ihre Ausführun­gen auch nur im geringsten anzweifeln zu wollen – habe ich gewisse Schwierigkeiten, mir solche genetischen Schaltkreise vorzustellen, muß ich gestehen. Denn obwohl Sie hier des öfteren den Vergleich Ihrer biologischen mit unseren technischen Schaltkreisen bemühen, gehe ich doch davon aus, daß diese ganz grundsätzliche Unterschiede aufweisen. Immerhin haben Sie es mit Lebewesen zu tun, wir in der Technik hingegen mit Materie. Lebewesen vermeh­ren sich und interagieren mit der Umwelt. Damit sind auch die in das Genom im­plantierten Fremd­gene der Evolution ausgesetzt, nehme ich an, und können sich verändern. Und unabhängig davon können sie sich in der neuen Umgebung möglicherweise auch ganz anders verhalten als gedacht und beabsichtigt. Das alles kann bei uns in der Technik nicht passieren. Ist also so ein Vergleich überhaupt gerechtfertigt?“

      „Ihr Einwand ist berechtigt. Und wir hatten neben dem von Ihnen angesprochenen Problem auch noch ganz andere zu bewältigen. In der Tat mußten wir in der Anfangszeit feststellen, daß die manipulierten Zellen schon nach kurzer Zeit auf Grund der Zellteilung und damit ver­bun­dener Veränderungen nicht mehr das gewünschte Verhalten zeigten. Außerdem sind die im­plantierten genetischen Schaltkreise, wie Sie sehr richtig bemerkten, gewissermaßen Fremd­­körper in den Wirtsorganismen, die deren Vitalität und Komplexität – und damit auch deren Eigenschaften in teilweise ungewollter Weise – beeinflussen. Und schließlich unter­scheidet sich auch die Signalübertragung in technischen von der in biologischen Systemen. Während in ersteren