Peter Beuthner

Das Familiengeheimnis


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schon viele Roboter gesehen, aber dieser hier macht einen wirklich perfekten Eindruck.“

      Qiang bedankte sich höflich für dieses Kompliment, ging aber ansonsten nicht weiter darauf ein, sondern schloß statt dessen gleich einen weiteren Dank dafür, daß Herr Li seiner Einla­dung ge­folgt ist, an. Selbstverständlich freute er sich über das Kompliment aus so berufenem Munde – Professor Li war immerhin ein anerkannter Wissenschaftler von Weltrang –, aber es war ganz und gar nicht seine Art, seinen Stolz darüber nach außen zu zeigen. Er übte sich lie­ber in Bescheidenheit und Understatement.

      Er führte seinen Gast ins Wohnzimmer und bat ihn, Platz zu nehmen, während Robby schon eifrig damit beschäftigt war, ein paar Getränke und Snacks zu servieren, wobei Herr Li ihn mit zunehmender Bewunderung beobachtete.

      „Wirklich außerordentlich gelungen“, lobte er Qiang noch einmal. „Ich habe ja schon viel von Ihnen und Ihren Wunderwerken gehört, aber bisher habe ich sie noch nie so in Aktion sehen können. Umso mehr freut es mich, daß wir uns nun mal endlich kennenlernen.“

      „Die Freude ist ganz meinerseits“, gab Qiang das Lob sogleich zurück. „Ich bin sehr glück­lich, daß Sie neben all Ihren Verpflichtungen sich die Zeit für diese Zusammenkunft genom­men haben. Sie haben ja sicher neben Ihrem Vortrag noch eine ganze Reihe anderer Ter­mine wahrzunehmen.“

      „Ja, ja, das habe ich. Wenn man schon mal eine so weite Reise antritt, dann versucht man natürlich möglichst viele Dinge zu erledigen und das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden. Das kennen Sie sicher selbst sehr gut.“

      „Selbstverständlich, ja.“

      „Um nochmal auf Ihren Roboter zurückzukommen, wenn Sie erlauben …“

      „Ja, sehr gerne! Was darf ich Ihnen zeigen?“

      Auf Wunsch von Herrn Li führte Qiang seinem Gast verschiedene Kunst­stückchen seiner Roboter vor, um deren Leistungsfähigkeit zu demonstrieren, wofür sich Herr Li sehr begeistert zeigte:

      „Es ist wirklich frappierend, wie ähnlich er doch schon uns Menschen ist. Wenn man es nicht besser wüßte, könnte man glatt glauben, man hätte es tatsächlich mit einem Menschen zu tun. Diese natürlichen, sehr ausgewogenen Bewegungen, seine Sprachkompetenz, sein ganz offensichtliches Verständnis der angesprochenen Thematik, das ihn zu einer geistreichen Unterhaltung befähigt – das alles erscheint mir in der Tat phänomenal. Haben Sie eigentlich mit Ihrem Roboter schon mal den Turing-Test durchgeführt?“

      Der Brite Alan Turing, einer der einflußreichsten Theoretiker der frühen Computerentwicklung und Informatik, hatte bereits 1950 als einer der ersten die Problematik der künstlichen Intelligenz aufgegriffen und in seinem Werk Computing machinery and intelligence den nach ihm benannten Turing-Test als Kriterium dafür, ob eine Maschine mit dem Menschen vergleichbar intelligent/denkfähig ist, beschrieben.

      Bei diesem Test stellt ein Mensch einem anderen Menschen und einer KI über ein Terminal beliebige Fragen, ohne seine Gegenüber sehen zu können. Wenn der Fragesteller danach nicht entscheiden kann, ob die Antworten von einer Maschine oder einem Menschen gekommen sind, so ist laut Turing die Maschine intelligent. Somit könnten auch Maschinen denken, sofern sie die menschliche Kommunikation gut genug imitieren.

      „Ja, selbstverständlich, diesen Test haben wir sogar schon mehrfach mit verschiedenen Personen durchgeführt. Und bisher waren alle davon überzeugt, es mit einem Menschen und nicht mit einem Roboter zu tun zu haben.“

      „Phänomenal! Ich wiederhole mich, aber man kann es gar nicht oft genug betonen. Diese Perfektion habe ich bisher bei keinem anderen Roboter erlebt.“

      „Ich danke Ihnen für das Lob! Ich weiß es sehr zu schätzen. Und ohne unbescheiden sein zu wollen, kann ich, glaube ich, sagen, daß wir mit unseren Robotern tatsächlich einen Vorsprung vor unseren Wettbewerbern haben. Wir kämpfen gewissermaßen an vorderster Front und bemühen uns täglich, diesen Vorsprung auch zu halten.“

      „Das glaube ich Ihnen unbesehen. Die Konkurrenz schläft ja auch nicht. Aber Sie haben sich mit Ihrem Arbeitsgebiet genau das richtige Marktsegment ausgewählt: Die Nachfrage nach Robotern ist riesig, ein boomender Markt! Wir leben ja gewissermaßen in einer Roboter-Gesellschaft. Jeder kann es sich leisten, sie zu haben. Und jeder will sie auch haben. Denn sie nehmen uns sehr viel Arbeit ab und schaffen uns dafür neue Freiräume, die wir viel sinnvoller nutzen können. Das ist doch ein Geschenk für die Menschheit!“

      Professor Li kam fast schon ins Schwärmen vor lauter Freude über diese Errungenschaft. Und das schmeichelte Qiang sehr, ohne daß er sich das anmerken ließ.

      So tauschten sie noch eine Weile gegenseitiges Lob und Anerkennung aus, sprachen über das aktuelle Vortragsprogramm, dessentwegen Professor Li nach Ulm gekommen war, über das Damen­begleitprogramm, dem sich Frau Li und Chan angeschlossen hatten, über Ulm – die Stadt, den SciencePark, das Leben in der Stadt – und über ein paar Allgemeinplätze, Small­­talk eben. Auch auf Wunsch von Herrn Li führte Qiang ihn durch den Wohn­­bereich des Hauses und in den Garten, den dieser sogleich sehr bewunderte: „Sie woh­nen wirklich wun­der­schön hier.“

      Nachdem sie wieder im Wohnzimmer Platz genommen hatten, war nun endlich die Zeit ge­kommen, sich der intendierten Thematik zuzuwenden: Qiang wollte gerne etwas über die Arbeit von Professor Li wissen.

      „So, und Sie haben den Lehrstuhl für Synthetische Biologie in Beijing inne, Herr Professor Li?“ begann er die Unterhaltung. Es war eine rhetorische Frage, denn er wußte das natürlich schon von seiner Frau, die ja seinem Wunsche entsprechend dieses Gespräch vermittelt hatte. Des­halb fuhr er ohne Pause auch gleich fort: „Das ist sicher ein sehr interessantes Arbeitsgebiet.“

      „Das ist es ohne Zweifel, ja“, bestätigte Professor Li. „Und ein weitgespanntes Gebiet!“

      „Ich habe schon viel davon gehört, leider aber noch nicht die Zeit gefunden, mich mal etwas näher mit dieser Thematik zu beschäftigen. Was muß ich mir denn darunter vorstellen, wenn Sie von einem weiten Gebiet sprechen?“ wollte Qiang wissen.

      „Nun, wie der Name schon sagt, geht es um synthetisch generierte biologische Organismen. Das Ziel unserer Arbeit ist die Schaffung von Organismen mit neuartigen Eigenschaften, wie sie in der Natur so nicht vorkommen, das heißt, was die Evolution bisher nicht hervor­ge­bracht hat, für die Menschen aber nützlich und hilfreich sein könnte, das erschaffen wir nun selber. Wir ergänzen damit die Menge natürlich vorkommender um neue, selbstkreierte Orga­­­­nis­­men. Man könnte auch sagen, wir bereichern die Natur.“

      „Klingt interessant und vielversprechend.“

      „Ist es auch. Unser Arbeitsgebiet – das ist mit ‚weitgespannt’ gemeint – erstreckt sich über alle Organisationsebenen der belebten Natur: Von der molekularen über die zelluläre bis hin zur Ebene höher entwickelter Organismen. Oder anders ausgedrückt: Es beginnt mit dem Design und der Synthese neuartiger Gene und Proteine. Damit erweitern wir die Menge der natürlichen Grundbausteine des Lebens sowie deren Wechsel­wirkungen untereinander. Mittels gezielter Genmanipulationen, indem wir beispiels­weise neue Gene in einen Zellkern injizieren, verändern wir das Erbgut natürlicher Zellen. Wir erschaffen aber auch ganz neue lebende Zellen durch vollständige Synthese aus einzelnen Komponenten. Und schließlich befassen wir uns nicht nur mit Molekülen und Zellen, sondern auch mit höher entwickelten Organismen – es geht letztlich um die Kreation von höheren Lebewesen mit erweitertem gene­­tischen Code.“

      „Life from scratch, bemerkte Qiang.

      „In gewisser Weise, ja“, bestätigte Professor Li. „Kann man so sagen. Mit der genetischen Ver­­än­derung natürlicher Organismen schaffen wir ganz neues Leben. Das Leben wird viel­fältiger.“

      „Der Mensch als Schöpfer?! Haben Sie keine Bedenken, so ein Thema im christlich gepräg­ten Europa vorzutragen?“

      „Der Schöpfungsmythos ist eine theologische oder religiöse Erklärung zur Entstehung der Welt, des Universums oder des Ursprungs des Menschen. Für die Erschaffung der Welt aus einem präexistenten