Horst Udo Barsuhn

Conn: Happy Years


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Geschwindigkeit, der Lichtkegel eines Fahrzeuges. In diesem Moment frischt der Wind erneut auf. Die Korkeiche biegt sich herunter, und kurz oberhalb der Windschutzscheibe des Fahrzeuges, schwingt plötzlich ein Gesicht, mit weißem Bart und roter Kleidung, mit hängenden Armen herab. Ich weiß nicht warum der Fahrer ein so panisches Bremsmanöver einleitet, auf jeden Fall kommt er aus der Spur und das Auto landet, mit seinen Insassen, im Straßengraben. Kurze Zeit später ein weiteres Auto und auch dieses wird vom herabtauchenden Weihnachtsmann erledigt. Irgendwann einmal kommen dann Abschleppwagen und die Polizei. Der Alkoholtest wird nun, nachträglich vorgenommen und die Wagenpapiere vorsorglich einbehalten. Wirklich, eine sehr interessante Nacht. Nachdem nun die ganzen Autoteile aufgeladen sind und die Insassen der Unfallfahrzeuge bei der Polizei mitfahren durften, kehrt wieder Ruhe ein. Die Fahrzeuge sind jeweils Schrott, aber die Fahrzeuglenker und die Mitfahrer, sind mit dem Schrecken davongekommen und weisen keine größeren Blessuren auf.

      Tiger und ich sitzen einträchtig lauschend wieder nebeneinander. Nach wie vor möchte ich, in aller Gemütruhe, einige Mäuse für den Veteranen erbeuten. Da sehen wir aber in der Ferne, auch schon die nächsten Scheinwerfer eines Autos. Ich gebe Tiger einen kleinen Stoss mit meiner Schulter: „Du, der Wind frischt wieder auf und ein Rennfahrer der die Straße in ihrer ganzen Breite braucht, saust heran. Ich denke der Weihnachtsmann empfängt soeben sein nächstes Opfer“.

      Wir sind weit genug vom Ort des Aufpralls entfernt, als der herab gleitende Weihnachtsmann den Fahrer erschreckt und der, nach einem späten, vergeblichen Bremsmanöver im Kurvenbereich, die Gewalt über sein Fahrzeug verliert. Nicht weit von der Aufprallstelle der ersten beiden Autos landet auch das aktuelle wieder in einem Graben. Auch hier haben außer einem Schock die Fahrzeuginsassen keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen davongetragen. Als die Polizei dann aber kopfschüttelnd eintrifft und den nächsten Alkoholtest durchführt, ist zumindest ein weiterer Führerschein auf dem Weg in die „langmonatliche Freistellungsphase“. Das Schrottauto wird einige Zeit danach aufgeladen und wegtransportiert. Die Polizei nimmt die Wageninsassen in einem Mannschaftswagen mit. Dann herrscht wieder Ruhe.

      Tiger und ich sitzen wieder friedlich nebeneinander am Straßenrand, doch diesmal sind wir nicht auf Beutezug nach den Nagetierchen, sondern sehen uns die Sterne am Himmel an. Ab und zu wird die dunkle Idylle durch einen neuen Lichtkegel unterbrochen der sich schnell nähert. Der Plastikweihnachtsmann scheint an seiner neuen Aufgabe besonderen Spaß zu haben, denn soeben wird der Wind wieder stärker und der verkeilte Weihnachtsmann in der Korkeiche beginnt wieder herabzuschwingen. Tiger scheint wie im Fieber, und voller Vorfreude, als ein weiteres Fahrzeug eben um die Ecke biegt.

      Noch mehrere Trunkenheitsfahrer erwischt es in dieser Nacht. Keiner will aber sagen was ihn so erschreckt hat, denn wie würde folgende Aussage klingen die da heißt: „Nachdem ich zu viel getrunken hatte, bin ich den Schleichweg gefahren und plötzlich hat sich der Weihnachtsmann, mit dem Kopf nach unten, auf meine Windschutzscheibe geschwungen“? Neben den normalen Tests auf Alkohol wären dann auch psychologische Untersuchungen auf den Geisteszustand erforderlich und ob man nach diesen jemals wieder seinen Führerschein erhält, ist mehr als fraglich. Besonders erstaunt Tiger und mich, dass immer wenn die Polizei wieder eine Unfallaufnahme durchführt, es windstill ist und der Weihnachtsmann nicht herum schwingt. Vielleicht hat der Weihnachtmann doch ein heimliches Abkommen mit seinem göttlichen Chef getroffen, damit in dieser Nacht möglichst viele Alkoholsünder ihre Unglücksfahrten zwar heil überstehen, aber dann für lange Monate, auch nicht mehr hinters Steuer dürfen, weil ihr Führerschein gesichert wurde? Wenn das so sein sollte, können Tiger und ich, auch im Hinblick auf die ordentlichen Verkehrsteilnehmer nur sagen: „Vielen, vielen Dank, lieber guter Weihnachtsmann“!

      21: Sankt Martin und der Pfarrer:

      Es ist der 11.11. und somit der Tag des St. Martin von Tours. Der wurde im Jahr 316, in Sabaria, im heutigen Ungarn, geboren. Sein Vater war hoher Offizier beim römischen Heer. Martin wurde ebenfalls römischer Reitersoldat und soll eines Tages, vor den Toren von Amiens, seinen Mantel, mit dem Schwert zerteilt haben, um das Teilstück einem frierenden Bettler zu überlassen. Später ist Martin dann aus dem Heer ausgeschieden und zum Christentum übergetreten. Martin lebte als Eremit, am Rande der Stadt Poitier, bevor er unter einem Vorwand nach Tours gelockt wurde. Als er dort ankam wurde er zum Bischof gewählt. Der Sage nach soll er noch versucht haben die Wahl zu verhindern, indem er sich versteckt hatte, doch sollen Gänse, mit lautem Geschrei, sein Versteck verraten haben. Aus diesem Grunde gibt es auch traditionell Gänsebraten am 11.11. eines jeden Jahres. Eigentlich sollte man sich für die Hilfe der Gänse bedanken, doch wie dies so oft bei der Menschheit der Fall ist, äußert sich diese Dankbarkeit sehr seltsam: Durch das jährliche Schlachten der wachsamen Helfer.

      Martin gründete das Kloster in Tours, sowie weitere Klöster im Land: Er blieb 27 Jahre lang Bischof. Im Jahr 397 ist dann Bischof Martin verstorben. Weil Martin so viel für die Bevölkerung gemacht hatte, wurde er vom Merowingerkönig Chlodwig I. zum Schutzheiligen des Frankenreiches ernannt. Eine Prämisse seines Handelns war: Teilt das was Euer ist und gebt denen die wenig, oder nichts haben.

      Wir Katzen begrüßen ausdrücklich diesen Ansatz und so war ich am 11.11. bestrebt dem Schachspieler Igor, der wirklich nur das notwendigste zum Essen hat, etwas für seinen Magen zu organisieren. Igor kommt aus Russland, ist ein ausgemergeltes, schmales Männchen von etwa 1,50 Meter Größe. Mit ausgelatschten Halbschuhen, einem alten, unmodernen Anzug und einem abgewetzten Mantel ist er oft in der Schachecke, im Stadtpark und duelliert sich schachtechnisch mit den besten Spielern im Umkreis. Als Einsatz wird etwas Geld angeboten und Igor gewinnt praktisch immer, weil er so viele Schachzüge, im Voraus, vorhersieht und ausführt. Das gewonnene Geld schickt er dann nach Russland, wo der Rest seiner Familie lebt.

      Was liegt eigentlich näher als die Grundvoraussetzungen: Hilfe für meinen Freund Igor und den Tag von Sankt Martin zusammenzuführen? Und wer müsste wohl mehr Verständnis für die geschichtlichen Ereignisse, die Nächstenliebe und das Teilen haben, als unser ortsansässiger, protestantischer Pfarrer? Deshalb bin ich zur Mittagszeit in Richtung des Pfarrhauses, am Rand des Marktplatzes geschlichen und durch das Fenster in die Küche des Pfarrhauses gelangt. Die Ehefrau des Pfarrers ist wohl in einem anderen Raum und so kann ich mich kurz umschauen: Eine moderne Küche mit vielen Fächern um die Gewürze zu lagern. Schränke für Töpfe, Pfannen, Besteck und Teller und ein eingebautes, gut gefülltes Weinregal. Die chromblitzenden Herde haben insgesamt 6 Flächen, auf denen Essen erhitzt werden kann. Ein großer Backofen, in dem sogar ein Truthahn Platz hätte, wurde ebenfalls nicht vergessen. Auf einer Herdplatte brutzeln in der Pfanne zwei Gänsekeulen vor sich hin. Auf einem Beistelltisch ist ein weiterer Teller, auf dem sind nochmals zwei Gänsekeulen, die noch etwas dampfen, aber schon fertig gebraten sind. Ich springe auf diesen Tisch und nehme für den armen, hungrigen Igor, eine saftige, kross angebratene und gekochte Gänsekeule aus dem Teller, zwischen meine Zähne. In diesem Moment kommen der Pfarrer und seine Ehefrau ins Zimmer, blicken mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund zu mir und schauen mir zu, wie ich mit der Gänsekeule seelenruhig den Raum, wieder durchs Fenster verlasse. Da ich das Fleisch in meinem Mund trage, kann ich mich miauend nicht bedanken, doch das mache ich mit einem aufrecht stehenden und schwingenden Schwanz, denn ich will mich neben meinem Dankeschön, auch noch rasch in Richtung des Stadtparks machen, damit der arme Igor an diesem Tag noch eine warme Mahlzeit einnehmen kann.

      Warum in den Pfarrer und seine Frau dann so plötzlich Bewegung gekommen ist und sie mir ein Hackebeilchen und einen Teller nachgeworfen haben, kann ich Euch nicht sagen. Aber ein Gedanke schwirrt mir doch durch den Kopf: Dieser Pfarrer ist wirklich ein seltsamer Heiliger. Sanftmut predigen und dann Teller und sogar ein Beil nach mir schmeißen. Erstaunt haben mich diese Wurfhandlungen dennoch, denn heißt es nicht immer: „Geben ist seliger denn nehmen“? Auch das Gezeter, die Drohungen und die wütenden Schimpfkanonaden, kann ich nicht nachvollziehen, denn lehrt uns nicht der Herr die Sanftmut und das begütigende Wort? Ist es nicht so, dass ein jeder die Last des anderen tragen soll?

      Jetzt nehme ich sogar dem Pfarrer diesen Weg ab, einem wirklich Hungrigen Speise vorbeizubringen und was ernte ich mal wieder als Dank? Wie sagt es so schön ein polnisches Sprichwort: „Die Dankbarkeit ist in den Himmel aufgestiegen und hat die Leiter mitgenommen“! Als ich mich nochmals