Johanna Marie Jakob

Taterndorf


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vormittags habe ich die Mädchen bestellt. Ich muss mir überlegen, womit ich sie beschäftige.“

      „Freu dich nicht zu früh. Ich habe so ein Gefühl, als liefe hier etwas schief. Der Schulze hatte sich mit mir verabredet, gemeinsam nach Hause zu gehen. Eigentlich hatte das von Arnstedt vorgeschlagen, er meinte, wir könnten gleich ein paar Dinge, während der drei Stunden Fußweg, bereden. Nun wollte ich unbedingt bei Pfarrer Schonau vorsprechen, wegen der Spendenaufrufe in den Nordhäuser Kirchen. Ich bat also den Schulzen, an der Alten Mühle auf mich zu warten. Als ich dort ankam, war er bereits weg.“

      „Vielleicht hat er etwas falsch verstanden. Oder er hat sich verspätet.“

      „Er muss vor mir hier gewesen sein. Als ich eben ins Dorf kam, sah ich die Zigeunerkinder weglaufen. Sie rannten vor mir davon, als sei ich der Leibhaftige. Kein einziger Zigeuner war zu sehen, als ich die Straße hinaufging, nicht einmal hinter den Fensterscheiben. Der Schulze hat ihnen irgendetwas erzählt, ich weiß nicht was, aber es war nichts Gutes.“

      Magdalena nickte nachdenklich. „Das könnte sein. Er stand, vielleicht ist es eine Stunde her, mit einigen Zigeunermännern unten in der Straße, sie haben heftig diskutiert.“

      Wilhelm schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. „Siehst du, der Hund ist vor mir von Nordhausen weg. Es fuchst ihn gewaltig, dass nicht nach seiner Pfeife getanzt wird. Rennt nach Hause und erzählt den Zigeunern irgendwelche Gräuelmärchen. Es würde mich nicht wundern, wenn sie morgen früh nicht kommen, deine Mädchen.“

      „Wenn sie Hunger haben, werden sie schon vor der Tür stehen, warte es nur ab.“ Ihr Blick blieb an dem unvollendeten Brief an ihre Eltern hängen. Sie schob ihn Wilhelm zu. „Könntest du ihn für mich beenden, ohne dass Maman etwas bemerkt?“

      Er grinste. „Das wird schwierig, deine Mutter liest zwischen den Zeilen Dinge, über die wir beim Schreiben nicht einmal nachgedacht haben. Ich will es versuchen. Doch vorher muss ich essen, sonst fällt mir der Federhalter aus der Hand.“

      Sie sprang auf und rief: „Das mach ich mit links! Im wahrhaftigen Sinne des Wortes.“ Sie hob ihre linke Hand. „Die Empfehlung des Tages: Suppe aus dem Inneren einer zarten Geiß à la Käthchen! Dazu blau-weiße Milch von der Schwarz-Weißen.“

      Am späten Abend erledigte Wilhelm den Abwasch. Vorher hatten sie sich geliebt, er in der Hoffnung, seine schlimmen Vorahnungen für kurze Zeit zu vergessen, sie dagegen voll glücklicher Genugtuung. Doch selbst Magdalena hatte kein Interesse daran gezeigt, das Haus an diesem Tag noch einmal zu verlassen, obwohl sie Stunden zuvor fest entschlossen gewesen war, den Bauer zur Rede zu stellen, der die Molke geliefert hatte. Als sie das Geschirr einräumte, stellte sie fest, dass drei Löffel fehlten. Sie suchten in der Stube, sogar auf dem Fußboden, doch sie fanden sie nicht. Es gab nur einen Schluss: Sie waren gestohlen worden.

      Der Morgen dämmerte erst, da stand Magdalena bereits auf, benutzte das Nachtgeschirr und wischte die angelaufenen Fensterscheiben trocken.

      „Kannst du auch nicht mehr schlafen?“, fragte Wilhelm überflüssigerweise und kroch stöhnend aus dem Bett.

      „Ich muss mir etwas für die Mädchen einfallen lassen. Ich könnte ihnen zeigen, wie man Sachen stopft.“ Sie schlüpfte zitternd in ihre Unterwäsche. Es war empfindlich kalt im Schlafzimmer.

      „Sie haben keine Sachen, was sollten sie stopfen?“, fragte ihr Mann pragmatisch und hangelte nach seinen Pantoffeln.

      „Ha, das weißt du noch nicht. Käthchen hat ihnen Hemden genäht, also den Mädchen jedenfalls, die gar nichts auf dem Leibe hatten. Aus unserem Linnen. Kannst du mir helfen, ich kann mit einer Hand keine Schleifen zubinden.“

      „Du hast dein gutes Linnen geopfert? Wie viel davon?“ Er trat hinter sie und schlang seine Arme um ihren Leib.

      Sie kuschelte sich an ihn. „So an die fünfzehn Stück, glaube ich. Ein paar sind übrig. Maman muss es ja nicht erfahren.“

      „Ich liebe dich, weißt du das? Ohne dich wäre ich hier verraten und verkauft.“ Er küsste sie, bevor sie antworten konnte, und schob sie zurück ins Bett.

      „Wilhelm Blankenburg, wir haben so viel zu erledigen. Was fällt dir ein?“, kicherte sie und versuchte, ihm zu entwischen. „Außerdem ist das ungerecht, ich bin verletzt!“

      „Ungerecht? Das Leben ist nicht gerecht“, sagte Wilhelm und verschloss ihr den Mund mit einem Kuss.

      Als sie endlich beim Frühstück saßen, schob sich die Sonne bereits über die Dächer der gegenüberliegenden Häuser.

      „Gleich neun!“, stöhnte Magdalena. „Ich muss meinen Wollkorb holen, ich habe mir überlegt, dass ich ihnen das Stricken beibringen werde. Eine Frau muss stricken können, wollene Tücher und Strümpfe braucht eine Familie immer, vor allem im Winter. Vielleicht sollten wir die Frauen der Gemeinden aufrufen, Wollreste und Nadeln zu spenden.“

      Wilhelm schwieg, er ahnte nichts Gutes. Tatsächlich rückte der kleine Zeiger des Regulators in der Stube der Neun bedrohlich näher. Draußen auf der Dorfstraße hörte er lediglich das Fuhrwerk eines Bauern, der verspätet zum Markt nach Bleicherode fuhr. Als das Geräusch verklang, wurde es still auf der Straße. Magdalena stand am Fenster. Zum wiederholten Male wischte sie das Kondenswasser von den Scheiben. Der Regulator schlug neun Mal.

      „Sie kommen nicht“, sagte Wilhelm in die nachfolgende Stille hinein.

      „Dann hole ich sie.“ Ihre Stimme klang gefährlich ruhig.

      Wilhelm stand auf und griff nach seiner Jacke. „Ich begleite dich.“

      „Nein.“ Diesen bestimmten Ton kannte er noch nicht. „Ich gehe allein. Ich habe gestern Vertrauen aufgebaut. Der Schulze hat gewiss nur dich verleumdet. Mit mir werden sie kommen.“

      Er musste ihr recht geben. Vorsichtig half er ihr in die Jacke. „Viel Glück.“

      Sie ging zuerst nach nebenan zum Haus des Schneiders. Im Stillen hoffte sie auf Christians Hilfe, obwohl sie wusste, dass er in seiner Familie noch nicht in der Position war, etwas anzuordnen. Sie trat in den Hausflur und lauschte. Im Zimmer der Zigeuner war es ruhig. „Hallo?“ Aus ihrer Kehle kam nur ein Krächzen. Sie räusperte sich. „Frau Weiß?“

      Es rumorte hinter der Tür, Stimmen stritten sich leise. Sie machte einen Schritt nach vorn und klopfte. Nach einer Weile steckte Christians Mutter den Kopf zur Tür heraus, ohne sie weiter als nötig zu öffnen. „Ja?“

      „Ich möchte die Mädchen zum Unterricht abholen. Sie hatten versprochen, heute früh zu kommen.“

      „Sie werden nicht kommen.“ Frau Weiß war im Begriff, die Tür zuzuschlagen.

      Geistesgegenwärtig trat Magdalena einen Schritt vor und schob ihren Fuß zwischen Tür und Rahmen. „Warum denn nicht? Sie haben sich gestern doch bei mir wohlgefühlt. Wir haben zusammen gegessen, Käthchen hatte gekocht. Das tut sie heute wieder.“

      „Wir verkaufen unsere Kinder nicht für ein Mittagessen“, fauchte die dunkelhäutige Frau und zog an der Tür.

      Magdalena schloss für einen kurzen Moment die Augen und schluckte den aufkommenden Zorn hinunter. „Frau Weiß, bitte, ich will Ihren Kindern doch nichts Böses. Darf ich hereinkommen? Ich will Ihnen erklären, was ich vorhabe.“

      Sie hörte erregtes Tuscheln, konnte aber nur Frauenstimmen heraushören. „Bitte, Frau Weiß!“

      Der Druck auf ihren Fuß ließ nach. Sie schob sich durch die Tür, hinter der die Zigeunerin argwöhnisch lauerte. Fünf oder sechs nackte Mädchen saßen zusammengedrängt in der Ecke unter dem Fenster und hielten die Köpfe gesenkt. Weder die Männer noch die Jungen waren anwesend. Die alte Frau lag an der Wand und schlief, zwei weitere Frauen sahen ihr vom Fußboden aus feindselig entgegen. Eine von ihnen trug den schlafenden Säugling auf dem Arm.

      „Warum dieses plötzliche Misstrauen?“, fragte Magdalena ohne Umschweife. „Was hat Ihnen der Dorfschulze erzählt?“

      Sie sah sofort, dass sie ins Schwarze