Johanna Marie Jakob

Taterndorf


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Brennholz und fachte das Feuer im Herd an. Dann schleppte sie Wasser aus dem Angerbrunnen heran, setzte den größten Topf auf die Herdplatte und legte die weiße Linnenwäsche hinein. Bevor Käthchen ihre Küche in Beschlag nahm, musste sie ihre Wäsche schaffen. Ein viertel Stück Kernseife dazu, sie hatte sie letzte Woche vom Krämer geholt. Während das Wasser sich erwärmte, setzte sie sich an den Stubentisch, wo der Brief an ihre Eltern lag. Sie wussten bisher nur, dass sie angekommen waren, das hatte sie gleich in den ersten Tagen kurz auf einer Postkarte berichtet. Doch die Mutter würde sich sorgen, ob es ihrer Tochter wirklich gut ging.

      Ach Maman, dachte Magdalena und lächelte wehmütig, wenn du wüsstest, dass ich Wasser schleppe und sogar die Wäsche selbst erledige. Das durfte sie der Mutter nicht schreiben, sie würde sich nur unnütz aufregen. Ihr Blick flog über die zierlichen schwarzen Buchstaben, die bereits eine Seite bedeckten. Dann griff sie zur Feder, um den Brief zu beenden.

      „… Es sind wohl an die achtzig Zigeuner, die wir zu betreuen haben, das Herz schmerzt einem, sie so zu sehen. Ich bin froh, dass ihnen endlich geholfen wird, vor allem noch vor dem Winter. Sie sind allesamt katholisch getauft, doch ihrer Kirche scheint ihr Schicksal vollkommen egal zu sein. Jedenfalls erhalten sie von der hiesigen Gemeinde keinerlei Unterstützung. Heute wollen wir zum ersten Mal für die Kinder kochen, ich habe eine fleißige Küchenmamsell gefunden. Noch fehlt es an allem, wir wären euch sehr dankbar, wenn ihr Spenden auftreiben könntet. Warme Kinderkleidung, Schuhe und Decken sind natürlich besonders vonnöten, aber auch Geld können wir gut gebrauchen. Mein lieber Wilhelm ist gerade …“

      Aus der Küche drang ein alarmierendes Geräusch, sie ließ die Feder fallen und rannte hinaus. Der Deckel tanzte auf dem Topf, das schäumende Wasser kochte über und große Wasserperlen ruckelten zischend über die Herdplatte. „Himmeldonnerwetter!“, fluchte Magdalena und biss sich gleich darauf auf die Zunge. Wo waren die Topflappen? Sie griff nach einem Handtuch und zerrte den Deckel vom Topf. Weißer, feuchter Dampf füllte im Nu den kleinen Raum und der Seifengeruch nahm ihr den Atem. Sie tastete nach dem Wäschekorb, trat einen Schritt nach vorn und stolperte über die Fußbank, die Käthchen hatte stehen lassen. Der Schmerz fuhr durch ihr Schienbein bis hinauf in den Magen, instinktiv suchte sie Halt, um nicht zu fallen. Sie griff nach dem eisernen Umlauf, der den Herd umgab, fasste jedoch daneben und erwischte die heiße Platte. Unsanft fiel sie in den leeren Wäschekorb, wo sie nach Luft schnappend liegenblieb. Das Brennen in ihrer rechten Handfläche trieb ihr die Tränen in die Augen. Besorgt lauschte sie in ihren Körper hinein, doch sonst schien alles in Ordnung. Sie strich mit der linken Hand über ihren Bauch. „Tut mir leid, mein Kleines, ich muss vorsichtiger sein.“ Langsam rappelte sie sich auf. Der Wassereimer war leer. Sie brauchte dringend etwas zum Kühlen. Das Gras auf dem Hof war nass, das würde zunächst reichen.

      Als Käthchen zurückkam, hockte Magdalena hinter dem Haus und strich mit der Hand durch das feuchte Gras. „Lenchen, ist alles in Ordnung mit dir?“, rief die kleine Frau, die das Durcheinander in der Küche bereits gesehen hatte.

      „Ich habe mir die Hand verbrannt.“

      Käthchen kam auf den Hof, eine Schüssel mit Innereien knallte neben Magdalena ins Gras. „Wie ist das passiert? Zeig mal her!“

      Doch Magdalena hatte nur Augen für das blutige Geschlinge und Gekröse neben sich, das den strengen Geruch nach toter Ziege verbreitete. Während Käthchen die Blasen auf der Handfläche musterte, übergab sie sich würgend direkt neben der Schüssel.

      „Lenchen, du legst dich jetzt hin. Ich kümmere mich um alles andere.“ Käthchen zog sie nach drinnen, half ihr aus dem Überkleid und brachte sie ins Bett.

      „Aber das Essen für die Kinder?“, wagte sie einen schwachen Einwand.

      „Denkst du, das kann ich nicht allein? Hab schon öfter ein paar Kellen mehr gekocht. Ich bring dir eine Schüssel kaltes Wasser, da kannst du die Hand hineinhalten.“

      „Ich habe Christian nach Milch geschickt. Die sollen die Kinder trinken. Wir müssen sie jedoch verdünnen, sonst reicht sie nicht.“

      „Mach ich alles. Der Christian kann mir helfen. Ist schließlich für seine Sippe.“

      „Er ist ein ordentlicher Junge.“

      „Ach weißt du, wenn du die schwarzen Vögel einzeln nimmst, sind sie alle in Ordnung.“ Käthchen zwinkerte ihr zu und verschwand. Bald darauf hörte Magdalena Klappern aus der Küche und sie schloss beruhigt die Augen.

      Dann fiel ihr der Brief ein. Wie sollte sie den mit der verletzten Hand beenden? Maman würde sofort merken, dass etwas nicht stimmte, wenn ihre Schrift plötzlich krakelte. Vielleicht könnte Wilhelm den Brief offiziell zu Ende schreiben?

      „Verehrte Schwiegermutter, verehrter Schwiegerpapa, ich sende Euch meine herzlichen Grüße aus dem fernen Neuen Dorf. Viel Gutes kann ich leider nicht berichten. Es gibt kein Geld vom Landrat für unsere Mission, die protestantische Kirche sieht sich ebenfalls nicht in der Lage, uns zu helfen. Magdalena stellt sich im Haushalt ungeschickt an, erst heute hat sie sich die Hand verbrannt, bei dem Versuch Wäsche zu kochen. Wenn Ihr uns besuchen kommt, bringt bitte Lebensmittel mit, damit wir für Euch kochen können …“

      Magdalena schreckte hoch. Ein bitterer Nachgeschmack drückte ihr das Herz ab, selbst dann noch, als sie begriff, dass sie nur geträumt hatte. Draußen hörte sie Geschirr klappern. Sie richtete sich auf, sofort begann ihre Hand wieder zu schmerzen. Zum ersten Mal konnte sie die Verletzung genauer betrachten. Sie zählte drei große und vier kleine Blasen, die prall mit gelber Flüssigkeit gefüllt waren. Sie würde sie aufstechen müssen, damit der Druck nachließ. Sie stand auf und griff nach ihrem Kleid. An ihrem Schienbein prangte ein dunkler Bluterguss, doch der war nebensächlich.

      Als sie aus der Kammer trat, sah sie Christian in ihrer Stube Teller und Löffel zurechtlegen. Er hob den Kopf. „Das Essen ist gleich fertig. Käthchen sagt, auf einem Stuhl müssen zwei Kinder sitzen und sie sollen sich einen Teller teilen und in zwei Gruppen kommen, erst die Kleinen, dann die Größeren.“

      „Das hört sich vernünftig an. Danke, dass du uns Käthchen empfohlen hast, sie ist wirklich eine Perle.“

      Christian strahlte. Dann wurde sein Blick besorgt. „Was ist mit der Hand?“

      „Ach, das wird schon wieder. Ich habe mich an der Herdplatte verbrannt.“ Sie half ihm, die Teller zu verteilen. In der Mitte des Tisches lag noch immer ihr Brief. Dort, wo die Feder hingefallen war, hatte sich ein daumennagelgroßer Klecks breitgemacht. Dem musste Wilhelm nachher mit dem Rasiermesser zu Leibe rücken. Sie schraubte das Tintenfass zu und räumte das Schreibzeug beiseite.

      „Das sieht sehr schön aus“, sagte Christian und deutete mit dem Kinn auf den Brief. Hatte er etwa gelesen, was sie über die Sinti geschrieben hatte?

      „Was meinst du?“

      „Diese Zeichen auf dem weißen Papier, wie Ameisen laufen sie in einer Reihe. Ich würde gern schreiben können.“

      „Ich werde es dir beibringen, versprochen.“ Sie stieß mit der verletzten Hand an die Tischkante und zuckte zusammen. „Autsch.“

      „Ich kann die alte Tante Weiß fragen, sie kennt sich aus mit Krankheiten und so etwas. Sie kann die Wunden besprechen.“ Christian sah sie fragend an.

      „Das ist nicht nötig. Ich werde die Blasen aufstechen, dann heilen sie schneller ab. Hast du Milch bekommen?“

      Er nickte. „Ja, von den Schwarz-Weißen. Das Geld ist aber alle.“

      „Das dachte ich mir schon, es waren ja nur zehn Pfennige.“

      In der Küche roch es nach gekochter Ziege und nach Kernseife. Magdalena atmete flach, weil der Würgereiz sofort wieder da war. Käthchen stand auf der Fußbank, Herrin über drei Töpfe, aus denen fettiger Dampf aufstieg.

      „Alles wieder gut?“, rief sie fröhlich und schwang den Kochlöffel.

      Magdalena nickte und riss die Tür zum Hof auf. Gierig atmete sie die frische Luft ein.

      „Na, wenn das nicht gelogen war. Hast du schon