Johanna Marie Jakob

Taterndorf


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kann er uns doch irgendwie helfen.“ Sie zog ihn auf das Pfarrhaus zu, das mit seiner windschiefen Haustür verschämt hinter der Kirche hervorlugte.

      „Nein, das nicht auch noch. Mein Bedarf an Absagen ist für heute gedeckt“, widersprach Wilhelm. „Wenn, dann besuchen wir den Kolonialwarenladen.“

      Sie betraten den kleinen Laden. Der dicke Krämer stand hinter dem Tresen und fummelte an seiner Waage herum. Beim Anblick der Kundschaft wischte er seine Hände an seiner Schürze ab. „Womit kann ich dienen?“

      „Wir benötigen Geschirr, Teller, Tassen, Krüge und Töpfe. Auch Besteck und Kochlöffel.“ Diesmal führte Magdalena das Wort.

      Der Mann nickte eifrig. „Einen ganzen Hausrat. Wohl, wohl. Einiges müsste ich erst ranschaffen, habe nicht alles vorrätig. Aber hier, sehen Sie, Schüsseln aus bester Emaille.“ Geschäftig schob er die Ware über den Tresen. „Teller aus Steingut, ziemlich bruchsicher. Und hier, Brotbretter aus Buchenholz.“

      Magdalena nickte und nickte und der Krämer stapelte alles vor ihr auf. Wilhelm räusperte sich. „Lenchen, denk an die Kleiderbürste. Mit dem Rest sollten wir warten, bis der Tischler die Stube fertig hat. Dann kann die Ware gleich ins Haus geliefert werden.“

      Ein Brotbrett schwebte kurz in der Luft, dann legte der Mann es zurück auf den Stapel. „Sie ziehen in die Kate der alten Meta ein?“

      „Das Haus neben dem Schneider?“

      „Ja, dort lebte die alte Meta. Sie starb vor zwei Jahren, hatte keine Kinder. Seitdem stand das Haus leer und fiel wieder an den König. Verzeihen Sie meine Neugier, aber Sie sehen nicht aus wie Wollspinner.“

      „Nein. Wir sind das Ehepaar Blankenburg“, sie sah sich nach Wilhelm um, „mein Mann kommt aus Basel und ich stamme aus Nürnberg.“

      „Ja, das kann man hören“, sagte der Krämer lächelnd. „Hier wohnen ja Leute aus allen möglichen Gegenden, aber die Bayern hört man doch immer wieder heraus.“

      „Sie meinen die Zigeuner?“, fragte Wilhelm, um dem Gespräch endlich die richtige Richtung zu geben.

      „Wie?“

      „Sie sagten, Leute aus allen möglichen Gegenden.“

      „Ach so, nein. Die Wollspinner und die Weber wurden damals aus allen Ecken Deutschlands und darüber hinaus angeworben, die unterschiedlichsten Dialekte vermischen sich hier. Die Tatern allerdings, wenn die in ihrer Sprache loslegen, verstehen Sie gar nichts. Sind Sie vielleicht der neue Lehrer?“

      „Nein, ich bin evangelischer Missionar. Meine Frau und ich, wir sind hier, um die Zigeuner zu sittsamen Bürgern zu machen.“

      Wenn der Mann überrascht war, dann verbarg er es gut. Er deutete auf den Stapel Geschirr: „Soll ich das für Sie zurückstellen?“

      „Ja bitte.“ Magdalena nickte zufrieden. „Übermorgen ziehen wir ein. Dann hole ich das alles ab.“

      „Sie müssen nur Bescheid geben, dann lasse ich es Ihnen bringen. Ich weiß ja jetzt, wo sie wohnen. Sie sagten etwas von Kochtöpfen. An welche Größe dachten sie?“

      Am späten Nachmittag hatten sich vor dem Haus des Schneiders eine Menge Zigeuner versammelt. Die Frauen saßen am Straßenrand und schwatzten. Die meisten von ihnen trugen einen Säugling oder ein Kleinkind auf dem Arm. Magdalena erkannte die alte Frau, die ihnen den Schnaps ausgeschenkt hatte, und nickte ihr erfreut zu. Die größeren Kinder spielten laut kreischend auf dem Anger. Der Klang eines Zimbals vermischte sich mit dem Geschrei der spielenden Kinder, die zerlumpten Röcke einiger halbwüchsiger Mädchen wirbelten um ihre braunen Beine. Der Zimbalspieler war sehr jung und setzte mehrmals von vorn an, weil er sich verspielt hatte, was die Mädchen mit spöttischem Lachen quittierten. Die Männer standen für sich und zogen an ihren Pfeifen.

      Magdalena fiel auf, dass die Sintimänner besser gekleidet waren als die Frauen. Sie trugen Hosen in blank polierten Stiefeln und weiße Hemden unter den Westen oder Jacken, die zwar nicht neu, aber sauber gebürstet waren. Sie sah eine Vielfalt an Hüten und Mützen, die meist mit bunten Vogelfedern oder silbernen Knöpfen geschmückt waren.

      Zwei Männer, die die Straße hinaufkamen, musterten die Menschenansammlung misstrauisch. Magdalena erkannte den Stiernacken und seinen blonden Saufkumpanen, der Linzer genannt wurde. Sie stieß Wilhelm an und nickte den Männern zu.

      „Guten Abend, Frau Missionarin“, sagte der Stiernacken, als er sie erkannte. „Was wird ‘n das hier? ‘ne Igelfresserversammlung?“

      Wilhelm trat einen Schritt vor. „Guten Abend. Wie geht es Ihren Ziegenböcken?“

      Der Linzer grinste. Stiernacken sah ihn verständnislos an.

      „Sie schulden mir noch eine Fahrt, schon vergessen? Ich habe dafür bezahlt. Drei Krüge Bier und sechs Schnäpse. Sie stehen doch zu Ihrem Wort?“

      Der Mann murmelte irgendetwas Unverständliches und wollte weiter in Richtung Kneipe. Wilhelm vertrat ihm den Weg. „Ich brauche morgen ein Fuhrwerk nach Bleicherode. So gegen neun.“

      „Ja, schon gut. Kommen Sie zu dem Haus dort unten, das mit dem hellen Tor.“ Er machte ein finsteres Gesicht und deutete vage die Straße hinab. Sein Kumpan feixte.

      „Schönen Gruß an den Wirt!“, rief Wilhelm ihnen hinterher.

      Aus der Menge der Zigeuner, die vorm Haus des Schneiders standen, löste sich Christian Steinbach, Magdalena erkannte Christoph Weiß und lächelte ihm zu.

      Wilhelm ergriff das Wort: „Ich schlage vor, wir gehen in mein Haus, vielleicht von jeder Familie ein Vertreter?“ Er sprach so laut, dass alle ihn hören konnten. Wie immer wirkte er ruhig und gelassen. Magdalena erkannte am leichten Zucken seiner Mundwinkel, dass er alles andere als ruhig war.

      Zwei alte Zigeuner traten auf ihn zu. Christoph Weiß machte sie bekannt: „Das ist mein Vater, unser bulibasha Ludwig Weiß, Löschhorn genannt. Und dies ist Carl Mettbach. Auch er trifft Entscheidungen für uns. Sie werden sich deine Worte anhören, Wilhelm Blankenburg.“

      Wilhelm reichte beiden Sinti die Hand und wies auf Magdalena. „Meine Frau ist an unserer Mission beteiligt. Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, dass sie an dem Gespräch teilnimmt?“

      Mit klopfendem Herzen begrüßte Magdalena die beiden Männer. Der bulibasha trug einen grauen Wollmantel, der vorn mit lauter Silberköpfen besetzt war, ähnlich dem eines Soldaten. Darunter dunkle Stiefel, die zwar abgetreten, aber blank gewienert waren. Seinen grauen Haarschopf bedeckte eine pelzverbrämte hohe Mütze, ähnlich dem Tschako der Gendarmen. Seine Gesichtshaut erinnerte an altes Sattelleder, ein ordentlich gezwirbelter Schnauzbart verlieh ihm ein strenges Aussehen. Zwei schwarze Augen funkelten sie an, aus denen Weisheit und Schläue sprachen.

      „Madame Blankenburg, es ist mir eine Ehre“, sagte er und es klang aufrichtig.

      Sie lächelte und neigte den Kopf. „Ganz meinerseits, Herr Weiß.“

      Der alte Mettbach war groß und hager, sein Rücken krümmte sich leicht, als fürchte er ständig, mit dem Kopf irgendwo anzustoßen. Sein weißes Haar hatte er zu einem Zopf gebunden. Darüber saß ein breiter Schlapphut mit einer hellen Feder. Eine Weste aus bunten Katzenfellen schützte ihn vor der kalten Herbstluft, darunter trug er ein weißes Hemd, dessen weite Ärmel sich über seinen Händen bauschten. Der unvermeidliche Schnauzbart war gelb vom Tabakrauch. Er musterte sie kurz und nickte ihr stumm zu.

      Sie betraten die Stube und Wilhelm entschuldigte sich wegen der fehlenden Möbel.

      „Wir sind es gewohnt, auf dem Boden zu sitzen“, sagte der bulibasha und ließ sich an der Wand nieder. Mettbach folgte seinem Beispiel. Beide griffen sofort nach ihren Pfeifen. Wilhelm setzte sich ungeschickt den beiden gegenüber und sah Magdalena auffordernd an. Sie fühlte sich unbehaglich, noch nie hatte sie mit Gästen in einem leeren Zimmer auf dem Fußboden gesessen. Aber hier in diesem Dorf war sowieso alles anders. Seufzend ging sie sich neben ihrem Mann in die Hocke und zog ihr Kleid sittsam um die Füße.