Johanna Marie Jakob

Taterndorf


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an.

      „An welche Kosten haben Sie gedacht?“

      „Einfach, es muss alles einfach sein und darf nicht viel kosten.“

      Der Mann furchte die Stirn und sog an seiner Pfeife. „Also Fichte.“

      „Sie müssen keine Sorge haben wegen der Bezahlung, das Landratsamt übernimmt die Kosten, gegen Quittung, versteht sich. Es soll alles bescheidene Ware sein.“

      „So, so. Möbel auf Staatskosten, verstehe.“ Wenn er neugierig war, verbarg er das gut.

      Magdalena scheute sich inzwischen, von ihrer Mission zu erzählen. Sie fürchtete, der Mann würde den Auftrag ablehnen, wenn er von ihrer Aufgabe erfuhr. Mit Staunen sah sie, wie Christine mit ihrem Bruder kommunizierte. Ihre Hände führten einen wahren Tanz auf, sie wies die Straße entlang, verknotete die Finger, legte dann beide Hände aneinander wie zum Gebet, um sie dann in schnellem Wechsel ins Gesicht und zum Herzen zu führen.

      Ihr Bruder nickte mehrmals.

      „Sie wollen sich ein Haus aussuchen?“, fragte er.

      „Das hat sie ihnen erzählt?“, fragte sie verblüfft.

      Er schmunzelte. „Sie hat als Kind ihre eigene Sprache entwickelt. Sie spricht mit den Händen. Leider bin ich der Einzige, der sie versteht, seit unsere Eltern tot sind.“

      „Und ihr Mann?“

      Zum ersten Mal huschte ein dunkler Schatten über das freundliche Gesicht des Mannes. „Seine Heiligkeit macht sich nicht die Mühe, seine Frau verstehen zu wollen. Es genügt ihm, wenn sie ihn versteht.“

      Christine legte beschwichtigend ihre Hand auf seinen Arm.

      „Ja, schon gut.“ Er wandte sich an Magdalena: „Wenn Sie Hilfe benötigen, können wir gemeinsam ein brauchbares Haus aussuchen. So müssen Sie nicht warten, bis Ihr Mann wieder auf den Beinen ist.“

      Magdalena strahlte und nickte Christine dankbar zu.

      Nach weiteren drei Tagen war Wilhelm so weit genesen, dass er an Magdalenas Arm einen Spaziergang bis ins Neue Dorf wagen konnte. Tags zuvor war sie mit ihm schon bis zur Kirche gegangen und hatte ihm vom Gottesdienst erzählt. Pastor Blumes Meinung zu ihrer Mission hatte sie ihm allerdings verschwiegen.

      Die Dorfstraße war leer, bis auf ein paar streunende Katzen. Hinter einigen Fenstern klapperten die Webstühle. Die unbewohnten Katen im oberen Teil der Straße hatte sie beim Rundgang mit Gottfried Schwarzburger als unzumutbar verworfen. „Viel zu viel Aufwand“, hatte er gesagt. Wilhelm nickte jetzt zustimmend.

      Durch das Fenster des Kolonialwarenladens wurden sie von mehreren Augenpaaren gemustert. Magdalena nickte freundlich. Eine Reaktion konnte sie nicht erkennen. Die katholische Kirche hockte verlassen in der trüben Herbstsonne.

      „Du hast das allerletzte Haus in der Straße gewählt“, stöhnte Wilhelm und blieb am Rande des Angers stehen. Auf seiner Stirn standen feine Schweißperlen, obwohl die Luft herbstlich kühl war. Mit Todesverachtung streifte sein Blick die Kneipe am unteren Ende des Platzes.

      „Nein, wir sind gleich da.“ Magdalena tat vor Freude einen kleinen Hüpfer. Sie zog ihn ein paar Schritte weiter, an der Schule vorbei zu einem Haus, aus dem eifriges Hämmern und Klopfen drangen.

      „Was sagst du?“, fragte sie.

      Er musterte die Fassade, die mit den kärglichen Resten ihrer Kalkbemalung ein wenig an eine gescheckte Kuhhaut erinnerte. Die Fachwerkbalken waren ausgeblichen und hoben sich nicht mehr vom Lehmverputz des Mauerwerkes ab. Von den zwei Fenstern war eines blind, das andere war offensichtlich erneuert worden und spiegelte das fahle Sonnenlicht wider. Die Tonziegel auf dem Dach hatten die Farbe von nassem Herbstlaub, aber sie waren vollzählig und der Schornstein stand einigermaßen gerade.

      „Wilhelm?“ Sie zerrte ungeduldig an seinem Arm.

      „Sieht aus wie eine einäugige Kuh.“

      Sie hatte jetzt keinen Sinn für seinen Humor, erst recht nicht für Sarkasmus. „Lass uns hineingehen.“

      Er zögerte. Aus dem Fenster des Nachbarhauses hing eine Traube schwarzhaariger Kinderköpfe. Über dem Tor baumelte eine große hölzerne Schere im Wind.

      Magdalena war seinem Blick gefolgt. „Dort wohnt der Schneider Rippling. Er vermietet seine Stube an Christians Mutter und ihre Familie. Du weißt, der Junge, der uns das Brot bringt.“

      Wilhelm nickte und winkte den Kindern zu. Sofort verschwanden die Köpfe, das Fenster war plötzlich leer. Die Scheibe klapperte bedenklich, als es von unsichtbarer Hand abrupt geschlossen wurde.

      „Dann nicht“, brummte er und folgte seiner Frau durch das geöffnete Tor über einen kleinen grasbewachsenen Hof ins Haus. Der Tischler, der mit einem Lehrburschen den Dielenfußboden ausbesserte, begrüßte ihn und fragte nach seinem Befinden. Dann zeigte er ihnen die Räume, die sie bewohnen sollten. Es gab eine Stube, deren Wände geweißt werden mussten und eine kleine Schlafkammer. Hier stand bereits ein helles Bett, das nach frischem Nadelholz roch. Wilhelm sog den Duft tief ein. Er liebte diesen Geruch, er verbreitete ein Gefühl von Sauberkeit und Gemütlichkeit. Anerkennend fuhr seine Hand über die glatt gehobelten Bretter. „Gute Arbeit!“

      Schwarzburger schmunzelte zufrieden. „Wenn die Dielen fertig sind, kann der Junge die Wand in der Stube kalken. Tisch und Stühle stehen bei mir in der Werkstatt. Ich denke, übermorgen können Sie einziehen.“ Er zog seine Pfeife aus der Tasche.

      „O Wilhelm, wir müssen Bettzeug besorgen. Und Geschirr für die Küche.“ Magdalena hob die Hände.

      „Haben wir denn eine Küche?“

      „Komm mit.“ Sie zog ihn weiter, während Schwarzburger seine Pfeife stopfte.

      Im hinteren Teil des Hauses befand sich eine jämmerlich kleine Kammer mit festgestampftem Lehm als Fußboden, auf dem ein schmutziger alter Herd stand. Ein winziges Fenster voller Spinnweben zeigte hinaus in den Garten. „Hier kann ich kochen. Ich muss natürlich erst mal gründlich putzen.“ Sie wollte optimistisch klingen, aber es gelang ihr nicht.

      Er zog sie an sich. „Meine tapfere Frau. Was würde ich nur ohne dich machen?“

      Sie lächelte, doch ihre Augen glänzten verräterisch. „Es ist doch nur für ein paar Monate, bis das Sittigungshaus fertig ist.“

      „Lass uns beten, dass die Spenden reichlich eingehen werden. Der Landrat meinte, ganz ohne Hilfe aus der Bevölkerung könne er das Haus nicht finanzieren.“

      „Beten allein wird nicht ausreichen. Wir werden hausieren gehen müssen.“ Dabei dachte sie an die Einstellung der Bauern in Wenden und ihr Mut sank noch tiefer. Doch sie durfte sich nichts anmerken lassen. „Wir sollten uns auf die Städter konzentrieren. Sie sind offener für das Elend anderer Menschen und haben meist mehr Geld.“

      „Ich habe von Arnstedt gebeten, in Nordhausen einen Spendenaufruf an die Kirchen zu geben. Morgen werde ich nach Bleicherode gehen. Er empfahl mir, mit dem dortigen Superintendenten zu reden, ein Mann namens Hahn.“

      „Ich begleite dich. Vielleicht können wir ein Fuhrwerk mieten und gleich einkaufen?“, fragte sie.

      „Ich werde mit Pfarrer Montag reden. Er darf seine eigenen Gemeindemitglieder nicht in diesem Elend sitzen lassen. Vielleicht kann er ein oder zwei Kollekten entbehren.“

      Hinter ihnen betrat der Tischler den Hausflur. Offensichtlich hatte er Wilhelms letzte Worte gehört, denn er legte die Stirn in Falten und nahm die Pfeife aus dem Mund. „Von dem erwarten Sie lieber nichts. Der verabreicht eher dem Teufel das Abendmahl, bevor er nur einen Finger für die Tatern krumm macht. Und Kollekten entbehren kann er ganz bestimmt nicht.“ Schwarzburger deutete mit seiner Pfeife über den Hof, wo der Blick direkt auf die katholische Kirche fiel. „Haben Sie sich mal das Pfarrhaus angesehen? Das fällt ihm bald über dem Kopf zusammen. Die katholische Gemeinde ist ärmer als ihre eigenen Kirchenmäuse. Alles nur Leineweber und Wollspinner, die gerade so viel verdienen, dass sie sich den