Johanna Marie Jakob

Taterndorf


Скачать книгу

„Vielen Dank für Ihre Gastfreundschaft. Wir sehen uns sicher zum Gottesdienst. Und wenn Sie Zeit haben, schauen Sie ruhig mal vorbei, vielleicht Sonntag zum Kaffee?“ Es klang halbherzig und der Pastor ging nicht darauf ein.

      „Ich werde mir etwas einfallen lassen, um sie da wenigstens für ein paar Stunden rauszuholen“, sagte Magdalena, als sie mit dem Ziegengespann um die Ecke waren. „Er kann sie doch nicht einsperren. Sie könnte mir helfen und ich weiß, dass sie es gern tun würde.“

      Wilhelm nickte. „Du hast recht, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, was genau sie tun sollte.“

      „Während ich die Kinder unterrichte, könnte Christine für sie kochen, damit alle gleich nach der Schulstunde essen können.“

      „Vielleicht kann ich kochen? In Basel bin ich der Köchin oft zur Hand gegangen.“

      Magdalena sah ihn erstaunt an. „Du musst Arbeit für die Männer suchen. Du musst Gelder auftreiben, Behördengänge erledigen. Du wirst den Bau des Sittigungshauses leiten und keine Zeit haben, mir zu helfen.“

      Ein scharfer Wind kam auf und blies das gelbe Laub von den Obstbäumen über die Dorfstraße. Wilhelm zog seinen Mantel enger zu. Magdalena hatte alles bereits durchdacht. Beschämt gestand er sich ein, dass er bisher ins Blaue hineingelebt hatte. Wenigstens in den letzten Tagen auf dem Krankenlager hätte ein Plan in seinem Kopf entstehen müssen. Stattdessen hatte er kostbare Zeit vergeudet.

      „Wenn Christine nicht kommen darf, finden wir jemand anderen, der für die Kinder kocht“, sagte er. „Ich werde Berthold fragen, wenn ich ihm nachher die Ziegenböcke zurückbringe, ob er nicht jemanden kennt, der dafür geeignet ist.“

      „Käthchen kann gut kochen.“ Christian, der die Böcke führte, mischte sich ein. „Sie wohnt in den 22 Häusern. Manchmal gibt sie uns zu essen. Sie jagt uns nie weg und was sie kocht, schmeckt wirklich gut.“

      „Kannst du mich zu ihr bringen, vielleicht morgen?“

      Christian nickte verdrossen.

      „Was ist heute los mit dir? Ist dir eine Laus über die Leber gelaufen?“, fragte Wilhelm, der sich schon geraume Zeit über die Einsilbigkeit des sonst so lebhaften Jungen wunderte.

      „Ich habe keine Läuse. Mutter reißt mir den Kopf ab, wenn ich welche nach Hause bringe.“

      „Das war nur im übertragenen Sinn gemeint. Du wirkst traurig.“

      „Ich denke die ganze Zeit, dass ihr jetzt nicht weit vom Backhaus wohnt und euer Brot sicher selbst holen werdet.“

      „Was ist so schlimm daran?“, fragte Wilhelm begriffsstutzig.

      Magdalena griff nach seinem Arm. „Du machst dir Sorgen um deinen Botenlohn, stimmt‘s?“

      Christian nickte. „Mutter war stolz auf mich, weil ich immer Brot für die Kleinen beschafft habe.“

      „Sieh mal, deine Geschwister werden zu mir in die Schule kommen. Dort erhalten sie jeden Tag eine warme Mahlzeit, vielleicht kocht Käthchen für sie.“

      Der Junge schien um keinen Deut erleichtert. „Kann ich auch in deine Schule kommen?“

      „Nun, ja …“ Magdalena war versucht, ihm übers Haar zu streichen, wobei sie feststellte, dass er genau so groß war wie sie selbst.

      Christian sah sie niedergeschlagen an. „Ich bin zu alt.“

      Wilhelm nickte. „Du bist groß und kräftig. Genau genommen könntest du schon arbeiten gehen. Wir müssen uns überlegen, wo die Altersgrenze unserer Schüler sein soll.“

      Magdalena seufzte. Daran hatte sie nicht gedacht.

      „Wir werden von Fall zu Fall entscheiden“, sagte Wilhelm.

      Sie hatten das Fuhrwerk leer geräumt und Christian damit zu Berthold, dem Stiernacken, geschickt. Zum ersten Mal waren sie allein in ihrem neuen Zuhause. Magdalena wedelte mit einem Federwisch über Tisch und Stühle und lächelte zufrieden.

      „Was denkst du?“, fragte Wilhelm.

      „Oh, ich denke so vieles gleichzeitig. Womit beginne ich den Unterricht, was koche ich für die Kinder, wann schreibe ich meinen Eltern? Ich muss ihnen unbedingt Nachricht senden, sie werden sich sorgen. Vater könnte für uns Spenden in Nürnberg sammeln, meinst du nicht?“ Eine vorwitzige Haarsträhne fiel ihr immer wieder ins Gesicht und sie pustete sie energisch nach hinten.

      Wilhelm zog sie an sich. „Was würde ich nur ohne dich anstellen?“, murmelte er und küsste sie auf die Stirn. Sein Blick fiel auf die Schlafkammertür.

      Sie lächelte spitzbübisch. „Na jedenfalls nicht …“

      Ein Klopfen unterbrach sie. Einen Moment lang sahen sie sich verdutzt in die Augen. „Schon wieder Christian?“

      Er öffnete die Tür. Im Halbdunkel des ausklingenden Tages stand eine breite Männergestalt mit einem Hut. Vor dem Bleigrau des Himmels wirkte die Silhouette beinahe bedrohlich. „Ja?“

      „Herr Blankenburg?“

      „Ja.“

      Der Mann griff nach oben und zog seinen Hut vom Kopf. Hervor kamen helle Locken, die sich wie Sprungfedern in alle Richtungen ausbreiteten. Ein leichter Stallgeruch wehte ins Haus. „Ich bin der Dorfschulze, Wilhelm Henkel, Schäfermeister auf dem Amt.“

      Während Wilhelm noch immer auf eine Erklärung für den unangemeldeten Besuch wartete, drängte sich Magdalena nach vorn. „Treten Sie ein, Meister Henkel. Bitte!“

      Verdattert machte Wilhelm den Weg frei. Derbe Stiefel polterten in die Stube und hinterließen feuchte Abdrücke auf den Brettern. Magdalena unterdrückte den Impuls, zum Wischlappen zu greifen. „Nehmen Sie Platz!“

      Der neue Stuhl knarrte, als er sich am Tisch niederließ. Sie zündete die Lampe an und der Mann bekam ein Gesicht. Helle Augen blitzten unter dichten Augenbrauen hervor, ein Rest Sommerbräune betonte eine rosa Narbe, die sich über die rechte Wange zog. In seinen Locken glänzten bereits silbrige Strähnen, doch er strahlte eine Jugendlichkeit aus, die Magdalena im Stillen auf seine Arbeit an der frischen Luft zurückführte.

      „Was führt Sie zu uns?“, fragte Wilhelm und setzte sich.

      Der Mann hob die Augenbrauen und sah ihn direkt an. „Es gibt Gerüchte im Dorf, denen ich als Schulze nachgehen muss.“

      „Was für Gerüchte?“

      „Es heißt, Sie wären hier, um die Tatern sesshaft zu machen.“

      „Und wenn es so wäre?“

      „Wir wollen diese Schmarotzer hier nicht. Sie bringen nur Ärger. Und davon haben wir schon genug mit den Zugezogenen vom Eichsfeld.“ Seine schwieligen Hände zupften an Magdalenas Tischtuch.

      Sie horchte auf. „Ärger?“

      Der Mann sah sie erstaunt an, als sollte sie die Antwort bereits kennen. „Die schwarzen Vögel stehlen wie die Raben.“ Er grinste vor Freude über sein Wortspiel. „Unsere Bauern müssen nachts die Felder bewachen, sonst finden sie am nächsten Morgen nur leere Furchen. Sie klauen Brennholz und holen die Hühner aus den Ställen, schneller als ein Fuchs es vermag.“

      Wilhelm neigte den Kopf. „Wenn sie arbeiten gehen würden und ein Einkommen hätten, dann müssten sie nicht für ihr Überleben stehlen. Genau das wollen wir erreichen.“

      „Arbeiten?“ Der Mann schnaufte und schüttelte seine Locken. Der Schafgeruch verstärkte sich. „Da müsste wohl ein Wunder geschehen.“

      „Mit Gottes Hilfe auch das“, erwiderte Wilhelm salomonisch und Magdalena verkniff sich ein Lächeln.

      „Sie sagten etwas von Ärger mit den Zugezogenen?“, fragte sie.

      Der Schäfermeister hob die Stimme. „Was glauben Sie, wen sie uns damals geschickt haben, die Schwarzkittel? Als Weber angeworben wurden, kamen nicht die ordentlichen und fleißigen Leute,