Lars Hermanns

Fairview - Schleichender Tod


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Intensivstation, durch die sie Juan in seinem Bett sehen konnten. Er befand sich in einer beinah aufrechten Position, wurde intubiert, und zahlreiche Schläuche führten in seinen Körper hinein, andere hinaus. Lois weinte, und auch José konnte seine Tränen nicht zurückhalten. Juan war ihr einziger Sohn … und sie hatten eine riesige Angst, dass sie ihn jetzt vielleicht verlieren könnten.

      Sie durften keine fünf Minuten bleiben, da führte Dr. Asclepius sie wieder zurück in den Wartebereich.

      »Sie können hier und jetzt nichts für Ihren Jungen tun. Bitte fahren Sie nach Hause. Wir werden alles in unserer Macht stehende tun, um Ihren Sohn zu retten. Das verspreche ich Ihnen!«

      Er verabschiedete sich von Juans Eltern, die zusammen mit Brenda Lee das Hospital verließen. Nachdem sie draußen waren, richtete der Arzt das Wort nun an die drei Polizisten vor ihm: »Der Junge hatte wirklich riesiges Glück! Nur ein kleines Stückchen tiefer, und wir hätten nichts mehr für ihn tun können.«

      »Doktor«, meldete sich nun William zu Wort. »Ganz ehrlich: Wie stehen seine Chancen?«

      »Ich kann es Ihnen wirklich nicht sagen. Es hängt nun von allen möglichen Faktoren ab. Glücklicherweise konnten wir ihn sehr zeitnah operieren. Außerdem ist er noch sehr jung und verfügt über eine ausgezeichnete Konstitution. Solange keine Komplikationen auftreten, denke ich, dass er es schaffen wird. Wichtig ist, dass er absolute Ruhe hat. Die gebrochene Rippe wird ziemlich bald verheilt sein. Doch die Regeneration des Lungenflügels wird ihre Zeit brauchen.«

      »Danke, Doktor. Bitte halten Sie mich auf dem Laufenden!«

      »Das werde ich, Chief.«

      Gegen 0:15 Uhr verließen O.C., Gordon und William das Hospital. William und Gordon verabschiedeten sich vom Sheriff und gingen zu Williams Truck.

      »Unser erstes Wiedersehen hatte ich mir etwas anders vorgestellt«, sagte Gordon. »Bist du soweit okay?«

      »Ja, Gordon. Danke. Doch ich ärgere mich, dass das passieren musste.«

      Sie packten Gordons Reisetasche und Aktentasche auf die Rückbank des roten Dodge RAM, stiegen ein, und William lenkte den Truck vom Parkplatz.

      »Nimm es dir bitte nicht zu sehr zu Herzen, Billy.«

      »Er ist noch so verdammt jung, Gordon. Er kam erst letztes Jahr von der Police Academy.«

      »Und trotzdem wusste er, dass sein Beruf auch Gefahren mit sich bringt. Du kannst nichts dafür, dass man auf ihn geschossen hat.«

      William schwieg, denn er wusste, dass Gordon recht hatte – wie so oft. In den vergangenen Jahren, seit William 2012 von der Militärpolizei zum NYPD gewechselt war, hatte Gordon ihm immer wieder erklärt, dass manche Dinge einfach so sind, wie sie sind. William machte sich zu allem immer viel zu schnell viel zu viele Gedanken. Und sein väterlicher Freund musste ihn immer wieder daran erinnern, dass William nicht auf alles Einfluss nehmen konnte, um es zum Besseren zu wenden.

       Sweetwater Creek Drive, Fairview, Georgia

      Es war beinah 0:30 Uhr, als sie Billys Haus am Sweetwater Creek erreichten. Die Temperaturen waren deutlich zurück gegangen und durften jetzt um den Gefrierpunkt herum liegen. William schnappte sich Gordons Taschen und verschloss die Garage, ehe er mit ihm zusammen zur Haustür ging.

      »Wenn es nachher hell ist, wirst du den Anblick erst richtig genießen können.«

      Sie gingen ins Haus, und William stellte die Taschen zunächst neben die Treppe. »Möchtest du was trinken, Gordon?«

      »Danke, Billy. Ich nehme mir nur wieder etwas Wasser aus deinem Kühlschrank. Es ist schon spät, und wir beide sollten so bald wie möglich ins Bett gehen.«

      »Okay. Ich bringe deine beiden Taschen in mein vorläufiges Gästezimmer. Die Treppe hoch, zweite Tür rechts.«

      »Danke, mein Junge.«

      Glücklicherweise hatte William noch immer die Matratze, die Cynthia vor seiner ersten Nacht im eigenen Haus hergebracht hatte.

      Gordon stieg die Treppe hinauf und kam zu William ins Gästezimmer. »Schön hast du's hier. Viel Platz.«

      »Danke, Gordon. Doch ich bin immer noch dabei, mich hier richtig einzurichten.«

      Williams Möbel und restliches Hab und Gut waren erst am Montag geliefert worden. Seither verbrachte er viel Zeit damit, sich einzurichten. Erst kurzfristig war ihm dann aufgefallen, dass er für Gordon ein Zimmer und ein Bett bräuchte. Somit hatte er das Zimmer neben dem Bad auch endlich einer Bestimmung zugeführt. Direkt daneben befand sich seine Bibliothek, die er sich noch einrichten wollte. Doch dafür bräuchte er entsprechende Schränke, die er bisher noch nicht kaufen konnte. Hinter der Bibliothek war schließlich sein eigenes Schlafzimmer. Den Abschluss bildete ein Zimmer, das später ein weiteres Badezimmer werden würde. Doch war dies der einzige Raum des Hauses, der nicht renoviert worden war. Daher nutzte ihn William vorerst als Abstellkammer für seine Werkzeuge. Bald schon würde er dort sein eigenes Badezimmer einrichten, die Tür direkt zum angrenzenden Schlafzimmer versetzen und den Zugang vom Flur aus schließen.

      Gordon sah sich die große Matratze an, die auf dem Boden lag. »Kein Bettgestellt?«

      »Sorry …«

      Gordon musste lachen. »Sollte ich nicht mehr hoch kommen, werde ich dich rufen!«

      Samstag, 28. Februar 2015

       Cherokee County Sheriff Department, Canton, Georgia

       O.C. Thomas war wieder beizeiten in seinem Büro und saß über verschiedenen Aktenordnern. Samstags nahm er sich zumeist vor, zumindest bis mittags die Stellung zu halten. Doch heute war ihm nicht wirklich nach Arbeit zumute. Der gestrige Abend war anstrengend gewesen. Einem Polizisten fiel es nun einmal nicht leicht, einen Kollegen im Krankenhaus zu wissen; selbst dann nicht, wenn er ihn nicht besonders gut kannte. Oft genug war er in einer ähnlichen Situation gewesen, wie sie William gerade durchstehen musste. Nur hatte O.C. wenigstens seine ihn liebende Frau Mabel, die ihm in solchen Momenten unter die Arme griff. Waren Cynthia und William schon so weit, dass sie ihm eine Stütze sein würde? Vermutlich nicht…

      Er legte den aktuellen Ordner beiseite, griff nach seiner kleinen Maiskolbenpfeife und stopfte sie mit einer Virginia-Perique-Mischung. Nachdem er sie angesteckt hatte, lehnte sich O.C. in seinem Bürosessel zurück und dachte nach. Ihm war klar, dass er William helfen wollte. Beistand würde er ihm derzeit nicht bieten, das konnte dessen alter Freund aus New York vermutlich deutlich besser. Doch er würde ihn später auf jeden Fall wieder besuchen. Mabel hatte samstags ihren großen Putztag – und O.C. tat daher an diesem Tag immer alles nur erdenkliche, um ihr ja nicht im Weg zu stehen. Wie oft hatte sie ihn schon aus dem Haus geworfen, weil er ihr angeblich im Weg war? O.C. schmunzelte bei dem Gedanken an seine Frau – und morgen würde er mit ihr vermutlich wieder zum Essen ausgehen.

      Nachdem er so in Gedanken ein Weilchen vor sich her geraucht hatte, fasste O.C. einen Entschluss. William war vermutlich zu sehr in Gedanken – und mit den Eltern des armen Officers beschäftigt –, als dass er dazu kommen würde, sich um einen schnellen Ersatz zu kümmern. Und da fiel O.C. ein, worüber sie sich vergangene Woche erst unterhalten hatten.

      Er setzte sich an seinen Computer und suchte nach der Email, die er William nach ihrem Gespräch hatte zukommen lassen … und da war sie!

Michael Luther White

      O.C. konnte sich wirklich noch sehr gut an diesen jungen Mann erinnern. Und er war sich sicher, dass er auch William als neuer Officer zusagen würde. Also wollte er mal zusehen, dass er den Dingen ein wenig nachhalf. Er klemmte sich die Pfeife zwischen die Zähne und wählte die Nummer des Sheriff Departments in Cobb County.

      Als sich am anderen Ende jemand meldete, sagte er bloß: »Hallo Deputy, hier ist Sheriff O.C. Thomas aus Cherokee County! Verbinden Sie mich bitte mit Deputy Michael L. White … danke, ich warte … er hat heute seinen freien Tag? …