Lars Hermanns

Fairview - Schleichender Tod


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des Jungen in Kennesaw anwählte. Er vergaß manchmal, dass nicht jeder Polizist auch samstags im Dienst war. Es klingelte … und nach einem kurzen Moment meldete sich eine verschlafene Stimme am Telefon.

      »Deputy White? Hier ist Sheriff O.C. Thomas aus Canton. Sind Sie noch immer an einer Anstellung im Cherokee County interessiert? … Ja? … Na, wunderbar! Wann und wo können wir uns treffen und miteinander reden?«

       Sweetwater Creek Drive, Fairview, Georgia

      Gordon und William wachten beide kurz nach 7 Uhr auf. Für William war 7 Uhr beinah schon die reguläre Zeit, um das Bett zu verlassen. Zumeist stellte er sich den Wecker auf 6:30 Uhr; war Cynthia die Nacht bei ihm, wollte sie vor dem Aufstehen oftmals noch ein wenig schmusen. Heute hingegen verbrachte sie die Nacht bei sich zu Hause und ließ William vorerst mit seinem Besuch allein. Er hatte darauf bestanden, Gordon erst einmal so zu sprechen, ehe er direkt auf Cynthia zu sprechen kam. Schließlich war Gordon auch mit Williams Frau Angela befreundet gewesen; und William wusste noch nicht, wie sein alter irisch-katholischer Freund auf diese neue, plötzliche Liaison reagieren würde. Zumal William sich immer noch nicht sicher war, als was er Cynthia vorstellen sollte. Nur als eine Freundin? Sie war definitiv mehr als das! Als seine neue Freundin? Nein, denn das war sie wirklich nicht. Zumindest noch nicht! Und solange William sich seiner Gefühle nicht sicher war, würde er an dieser Situation auch vorerst nichts ändern wollen.

      So ging er in Gedanken versunken nach unten in die Küche, um für Gordon und sich Tee zu kochen. »Gordon, möchtest du gebratene Eier und Speck? Ich hätte sonst auch Kellogg's Fruit Loops mit Milch! Oder soll ich uns schnell ein paar Pfannkuchen machen? Maissirup habe ich unten im Keller!«

      Gordon war zurzeit noch im Badezimmer. Als er William rufen hörte, öffnete er die Tür und antwortete: »Was hältst du davon, wenn wir stattdessen zum Cracker Barrel fahren? Anschließend müsste ich bitte zum Walmart – ich brauche unbedingt meine Zahncreme und mein Rasierwasser!«

      »Können wir auch machen!« William stieg wieder nach oben, damit sie nicht brüllen mussten. »Ich wusste nicht, dass du keine Zahncreme mitgebracht hast.«

      »Hatte ich schon«, entgegnete Gordon. »Doch am Flughafen in Newark hat man mir Zahncreme und Rasierwasser weggenommen, weil beide Behälter jeweils mehr als 100 ml fassten. Ist das zu glauben?«

      »Du kannst Zahncreme und Rasierwasser von mir haben.«

      »Danke, mein Junge. Doch ich brauche sowieso beides neu, da ich zu Hause in North Arlington auch nichts mehr habe. Und morgen werde ich meine Tasche als Gepäck aufgeben; dann bin ich diese Sorge los.« Er grinste und schlich an William vorbei ins Gästezimmer. »In fünf Minuten wäre ich soweit!«

      William ging daher in sein Schlafzimmer und zog sich zu Jeans und T-Shirt noch ein Hemd über. Da es morgens noch knapp über dem Gefrierpunkt war, entschied er sich für ein kariertes Flanellhemd. Sein Holster mit der Pistole steckte er wieder in den Gürtel. Vor dem Schlafengehen hatte er die Waffe gründlich gereinigt und geölt, nun war sie wieder einsatzbereit.

      Er war gerade unten und zog seine Cowboystiefel an, als Gordon die Treppe herunter kam. »Seit wann trägst du Cowboystiefel?«, fragte Gordon verwundert.

      »Früher gelegentlich. Und hier? Mal sehen … vermutlich werde ich mir bald ein paar andere Stiefel zulegen. Biker Boots vielleicht.«

      Beide Männer lachten und gingen zur Garage. William öffnete sie, und Gordon bewunderte den Truck, den er am Abend gar nicht so bewusst wahrgenommen hatte.

      »Schicker Wagen!«

      »Passt zur Gegend.« William grinste und öffnete für beide die Türen. »Hier weiß man nie, was auf einen zukommt. Und da ich nun ein Haus mit Bäumen und direkt am Creek gelegen habe, werde ich vermutlich immer wieder mal was Größeres besorgen müssen. Und da kommt mir die große Ladefläche gerade recht.«

      Sie verließen das Grundstück, und William lenkte den Truck entspannt nach Fairview hinein. »Wir haben einen Cracker Barrel am anderen Ende der Stadt, direkt bei der Auffahrt zur Interstate.« Da William sich immer noch nicht so gut auskannte, programmierte er das Restaurant schnell in sein Navigationsgerät ein.

      »Du hast ein Navi?«

      »Glaube mir, Gordon, ohne ist man hier aufgeschmissen.«

      So fuhren sie zum Frühstücken und kamen gegen 7:45 Uhr an. William parkte seinen Truck in der Sonne und nicht allzu weit vom Eingang entfernt. Als sie sich nun auf den Weg dorthin begaben, bemerkte Gordon die Schaukelstühle, die vor dem Restaurant zum Verkauf angeboten wurden. »Sowas wäre gut für deine Veranda, mein Junge.«

      Sie schauten sich die Schaukelstühle an, die von robuster Qualität zu sein schienen. William stimmte Gordon zu – das wäre das Richtige für die Veranda. Doch zunächst wollten sie frühstücken.

       Short Street, Fairview, Georgia

      Brenda Lee klingelte um 8 Uhr an der Tür der Familie Lopez. Lois öffnete ihr und ließ sie hinein. José war bereits sehr früh wieder zur Arbeit gefahren, und auch Lois würde spätestens in einer Stunde wieder los müssen.

      »Ich wollte nur kurz nach dir schauen, Lois«, sagte Brenda Lee und nahm ihre Freundin in den Arm. »Wie lange musst du heute arbeiten?«

      »Von 9:30 Uhr bis 14 Uhr.«

      Sie setzten sich hin und tranken Kaffee. Lois hatte sich einigermaßen beruhigt, doch Brenda Lee war sich sicher, dass es bloß Fassade war. »Kann ich irgendwas für euch tun?«

      Lois schüttelte nur den Kopf und trank einen Schluck Kaffee. »Danke, das ist lieb von dir. Bete für meinen Jungen … mehr kannst du nicht tun.«

      »Wer kümmert sich in der Zeit um King?«, wollte Brenda Lee wissen.

      »Das tue ich. Er ist ein lieber Hund, doch er vermisst sein Herrchen. Vorhin war er das erste Mal mit mir Gassi, und José hatte ihn gestern ausgeführt, kurz bevor ich ihn zu Hause erreichen konnte.«

      Wieder schwiegen beide und tranken ihren Kaffee. Brenda Lee hatte selbst einen Hund, der an ihr hing; einen weißen Beagle namens Snoopy. James, ihr Mann, hatte ihn ihr kurz nach der Hochzeit geschenkt. Da sie beide den ganzen Tag arbeiteten, hatte sich seither Brenda Lees Mutter Alice um den Hund gekümmert und diesen zu sich genommen. Doch da sie ebenfalls in Fairview wohnte, konnte Brenda Lee ihren Hund jederzeit sehen.

      »Möchtest du, dass ich später bei dir vorbei schaue?«

      »Danke, Brenda. Doch das ist nicht nötig. Ich habe viel zu tun … Haushalt und King. Und nachher kommt José von der Arbeit. Dann werden wir bestimmt im Hospital vorbeischauen.«

      Sie tranken wieder schweigend ihren Kaffee, ehe Brenda Lee nach etwa einer halben Stunde das Haus der Familie Lopez verließ. Lois war eine starke Frau, das wusste Brenda. Doch die Angst um ihren Sohn setzte ihr mehr zu als sie selbst vielleicht zuzugeben bereit war. Brenda Lee stieg wieder in ihren blauen Toyota Tacoma und fuhr zu ihrer Mutter.

       Fairview, Georgia

      William und Gordon hatten gut gefrühstückt und fuhren nun bereits zum Walmart, damit Gordon sich mit Zahncreme und Rasierwasser eindecken konnte. Kurz nach 9 Uhr verließen sie den Supermarkt wieder und fuhren zurück zum Cracker Barrel. Während des Frühstücks, der Fahrt zum Walmart und sogar noch, während sie nach Gordons Rasierwasser suchten, hatte dieser William mit den Schaukelstühlen in den Ohren gelegen.

      Gleich nachdem sie wieder auf dem Parkplatz standen, gingen sie zur Veranda des Restaurants und schauten sich die Schaukelstühle genauer an. Gordon fand zwei, die ihm auf Anhieb gefielen. Und auch William sagten diese beiden sehr zu. Dennoch war Gordon nicht schlecht erstaunt, als sein Freund noch zwei weitere Schaukelstühle auswählte. Die wetterfesten Schaukelstühle hatten ihren Preis, und für rund $1,200 wanderten sie auf Williams Ladefläche, auf der sich noch immer der Regalschrank befand, den er mit Juan am Abend zuvor im Home Depot gekauft hatte.