Benedict Dana

Mo Morris und der Supervirus


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begann dann aus mehreren Einzelteilen eine Armbrust zusammenzubauen.

      „Was ich euch jetzt noch zeigen werde, ist, nun… ich möchte sagen, schon ziemlich speziell und ihr könnt wirklich von Glück sagen, dass ich in der kurzen Zeit noch daran gekommen bin. So etwas liegt nämlich auch im Lager von Diamond Investigations nicht einfach so herum!“

      Als er ihnen daraufhin vier kreisrunde Metallplatten vor die Füße legte, an denen starke Elektromagneten, Akkus, Handgriffe und Spanngestelle angebracht waren, verwandelte er sich in ihren erstaunten Augen zu einem Magier, der einen lebendigen, weißen Hasen aus einem Zauberhut zog.

      „Die Dinger werden an die Unterarme geschnallt und an den Griffen kann man sich zusätzlich festhalten. Mit diesem Knopf hier schaltet ihr den Magneten ein. Funktioniert im Grunde wie eine Leiter. Ihr heftet euch an die Bordwand, zieht euch hoch und schaltet den Magneten für einen Moment aus, um ihn ein Stück weiter oben anzusetzen. Vorher werfen wir noch den Enterhaken hoch, so dass ihr euch gleichzeitig am Seil sichern könnt. Allerdings gibt es nur eins davon, das heißt, der Erste geht vor, der Zweite seilt sich an ihn an. Ich schlage vor, dass Jayden vorangehen wird.“

      Er grinste wegen ihrer großen, staunenden Augen und klopfte Jayden ein paar Mal auf seinen muskulösen, gut durchtrainierten Oberarm. Dann zog er sich wieder in die Navigationsecke zurück, um die aktuelle Position und Entfernung des Zielobjektes zu überprüfen.

      „Das verfluchte Höllenschiff hat seinen Kurs geändert!“, schimpfte er wenige Minuten später laut auf. „Sieht fast so aus, als ob Novia Scotia nicht das endgültige Ziel der Reise wäre. Falls es weiter in den Norden rauf geht, würde ich an eurer Stelle darauf achten, das Schiff früh genug zu verlassen. Sollte es die Passage durch die Baffin Bay in den Arktischen Ozean nehmen, müsstet ihr ein warmes Plätzchen in einer Kajüte finden, sonst würden euch bald große Eiszapfen an den Nasen wachsen!“

      Seine Show war danach noch nicht vorbei, denn nun holte er die zweite seiner beiden großen, schwarzen Taschen hervor. Als erstes zog er zwei schwarze Surfanzüge heraus, die er ihnen vor die Füße warf.

      „Die Dinger hier werden euch warm und trocken halten und in der Dunkelheit unsichtbar machen. Falls ihr bei eurer Rückkehr über Bord gehen müsst, werdet ihr es damit eine Weile im Wasser aushalten können.

      Außerdem hätten wir hier dann noch ein Funkgerät, einen GPS-Sender und zwei Waffen. Ihr solltet auch noch ein bisschen Proviant mitnehmen. Ach ja, eine wasserdichte Leuchtpistole ist auch noch dabei. Das Ding könnte sehr wichtig werden, falls ich euch irgendwo aus dem Meer fischen muss…“

      „Du solltest noch einmal genauer erklären, wie du dir den Rückzug vorstellst“, fiel Jayden mit düsterer Miene bei dem Stichwort „aus dem Meer fischen ein“.

      „Im Grunde ist es doch ganz simpel. Sobald ihr Tim mit Hilfe des GPS-Gerätes an Bord gefunden habt, befreit ihr ihn und seilt euch wieder ab. Falls das nicht möglich ist, springt ihr eben und ich nehme euch dann wieder auf. Wenn ihr Glück habt, findet ihr irgendwo eine Rettungsinsel an Deck. Das Motto der Mission lautet: Findet ihn, befreit ihn, bringt ihn her!“

      Der hart gesottene Ex-Soldat ballte seine rechte Faust, so als wollte er allerhöchste Entschlossenheit demonstrieren. Als er sah, dass seine Erläuterungen auf keine große Begeisterung stießen, fügte er besänftigend hinzu:

      „Keine Angst, ihr werdet schon nicht ersaufen. Ich sagte ja bereits, ihr geht nur von Bord, wenn ich nahe genug bin, ansonsten wartet ihr. Falls ich euch nicht mehr einholen kann, könnt ihr auch versuchen, euch an Bord zu verstecken, bis ihr irgendwo in der Nähe der Küste abspringen könnt. In jedem Fall werde ich euch per GPS orten und zu Hilfe kommen. Noch irgendwelche Fragen, Jungs?“

      Sie schwiegen, obwohl eine zentrale Frage nach wie vor unbeantwortet geblieben war: Wie war eigentlich Diamond an Bord des Schiffes gelangt, wenn sie dafür einen derartigen Aufwand treiben mussten?

      Plötzlich kam Mo der ganze Plan völlig irrsinnig vor und er verfluchte insgeheim Betty, wegen der er sich auf all das eingelassen hatte. Hatte ihn ihre Schönheit so sehr gereizt, dass seine Vernunft außer Gefecht gesetzt worden war?

      Er schnappte sich den kleineren der Gummianzüge und verzog sich in seine Kajüte, um ihn anzuprobieren. Als er bald darauf wieder den Salon betrat, verrieten ihm Mickeys und Jaydens beifällige Blicke, dass er in dem engen Anzug so überzeugend wie ein echter „Froschmann“ aussah. Tatsächlich fügte sich seine nicht gerade große und kräftige, dafür aber bewegliche und schlanke Gestalt sehr passgenau in das Gummi, wodurch es plötzlich so aussah, als ob er der Prädestinierteste von ihnen dafür wäre, des Nachts auf hoher See eine steile Bordwand hochzuklettern. Sein schwarzes, vom Meersalz strähnig gewordenes Haar korrespondierte ideal zu dem Tarnschwarz des Anzugs und in sein schmales und intelligentes Gesicht hatte sich ein harter Zug von unbeugsamer Entschlossenheit gegraben, der ihm bisher noch nicht anzumerken gewesen war. Die Abenteuer, die er in seinem Leben bereits erlebt hatte, waren Mickey und Jayden weitestgehend unbekannt und genau das war auch der Grund, warum sie ihn bisher unterschätzt hatten. Spätestens in diesem Moment hatte er ein weiteres Mal in seinem Leben die Wandlung von dem Kriminologen und Dozenten Dr. Morris in den Detektiv und Ex-Polizisten „Inspector Mo“ vollzogen – eine Wandlung, die eigentlich schon immer Ausdruck eines komplexen Doppellebens gewesen war und sich manchmal nur noch schwer in einer einzigen Persönlichkeit vereinigen ließ.

      -

      Einige Zeit später hatte sich die Situation dramatisch gewandelt. Ein nervtötender Pieplaut erfüllte unablässig die ganze Kajüte und ließ sich nicht abstellen, solange das Sonargerät eingeschaltet war. Er hatte schon seit Minuten eine gefährliche Nähe zu einem großen, schwimmenden Objekt angezeigt, ohne dass dieses schon zu sehen war. Während sich Jayden durch das Fiepen an das akustische Warnsignal in einem Flugzeug erinnerte fühlte, das den Piloten auf so überlebenswichtige Dinge wie etwa die Gefahr eines Strömungsabrisses durch zu niedrige Geschwindigkeit oder ein kurz vor der Landung noch nicht ausgefahrenes Fahrwerk hinwies, musste Mo in dem engen Bauch der „Star of Atlantis“ eher an ein U-Boot im Krieg denken, das in die gefährliche Nähe eines feindlichen Flottenverbandes geraten war. Der Torpedo, der ein solches U-Boot praktisch in jedem Moment hätte zerreißen können, wäre in ihrem Fall die mehrere Zoll dicke Stahlwand eines mächtigen Dampfers gewesen, die den schlanken Kunststoffrumpf der Yacht so mühelos durchschnitten hätte, wie ein frisch gewetztes Küchenmesser ein Stück weichen Käse. Die Daten, die das Sonar auf den letzten paar hundert Yards geliefert hatte, wiesen unmissverständlich auf ein Riesenschiff hin, dessen Besatzung in der Dunkelheit noch nicht einmal bemerkt hätte, wenn es zu so einem fatalen Seeunfall gekommen wäre.

      Bei aller Gefahr hatte die Situation für Mo auch etwas Großes und Erhabenes an sich und so symbolisierte für ihn das laute Warnsignal und die rote Lampe, die in der Navigationsecke ständig nervös aufblinkte, das Zusammenspiel höherer, schicksalhafter Kräfte, die sich trotz ihrer intensiven Vorbereitungen nur sehr bedingt beherrschen ließen.

      Mickey, der stramme Ex-Soldat und großmäulige Captain, der immer so hart und cool getan hatte, wirkte inzwischen erschreckend planlos auf sie und lief konfus in der Kajüte hin und her. Als sie sich dem unbekannten Schiff laut Instrumenten auf 400 Yards genähert hatten, fiel ihm erst unter lauten Flüchen wieder ein, dass der Gegenstand, den er lange vergeblich gesucht hatte und der gerade jetzt unerlässlich geworden war, in einem Schrank über der Kochnische lag: Das Fernglas mit integriertem Nachtsichtgerät. Im selben Moment wurde Mo von einer leichten Benommenheit befallen und ihm kam es so vor, als legte sich irgendein dichter, lähmender Schleier über die gesamte See, wofür es keinerlei rationale Erklärung gab. Als er sich von dem Kapitän das kostbare Utensil aushändigen ließ und mit Jayden das Deck betrat, glaubte er, er könnte die unheimliche Aura des fremden Schiffes bereits deutlich spüren, obwohl noch nichts zu sehen und zu hören war. Er lehnte sich über die Reling und ließ solange den Blick über die unruhige See schweifen, bis er in dem typisch grünlichen Schimmer des Nachtsichtgerätes einen riesigen Umriss wahrnahm, den er im ersten Moment einem gigantischen, tief über dem Meer hängenden Wolkengebilde zuschrieb. Erst als er das Gerät schärfer stellte, gingen ihm langsam die Augen auf und er stammelte ehrfürchtig:

      „Ich