Benedict Dana

Mo Morris und der Supervirus


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Esstisch nieder. Danach dauerte es nicht lange, bis Mickey eine seiner beiden am Boden liegenden großen Taschen öffnete, eine Flasche Whisky herauszog und sie mit einer übertriebenen Geste brutal laut auf den Holztisch knallte.

      „So, jetzt machen wir erst mal reinen Tisch! Schließlich wollt ihr Landratten ja sicher wissen, was euch in den nächsten Tagen erwarten wird! Dass es sich um keine Kreuzfahrt mit Kabinensteward, üppigem Bordbuffet und Deckliegestühlen handelt, habt ihr ja bereits geahnt!“

      Es machte ihm offensichtlich Spaß, sich vor ihnen wie ein alter, kerniger, ihnen an Erfahrung überlegener Seebär zu geben, und er schenkte den Whisky so reichlich in die Gläser ein, als würde es sich um reines Wasser handeln. Obwohl ein seltsamer Überschwang in seinem ganzen Verhalten lag, bemühte er sich merklich um einen rationalen Ton, als er begann ihnen ein paar grundlegende Dinge zu erklären.

      „Du hast es noch nicht mitgekriegt, Meisterdetektiv, aber wir haben inzwischen die offene See erreicht und werden bis auf weiteres der Küste Long Islands ost-nord-östlich folgen. Das Ruder ist zurzeit auf Autopilot gestellt, das heißt, wir werden abwechselnd Nachtwache halten, um regelmäßig den Kurs zu kontrollieren und die See voraus zu beobachten. Die technischen Details des Cockpits werde ich euch gleich noch erklären. Die Instrumente können auch hier drinnen in der Navigationsecke abgelesen werden. Man kann auch von dort das Ruder bedienen und mit Hilfe dieses Bildschirms und einer Kamera nach draußen gucken.“

      Er wies zu der Navigationsecke, beugte sich dann abermals zu einer seiner Taschen hinunter und zog dieses Mal eine Mappe heraus, in der mehrere zusammengefaltete Karten lagen. Er breitete eine von ihnen auf dem Tisch aus und fuhr fort:

      „Diese Karte hier haben Betty und ich gestern angefertigt. Sie zeigt unseren Kurs und den des Schiffes, das wir erreichen wollen. Wenn das betreffende Objekt bei gleich bleibender Geschwindigkeit denselben Kurs der letzten Tage beibehält, müsste er sich mit unserem ungefähr an diesem Punkt schneiden. Der Berechnung liegen die Werte aller bisherigen Ortungen zugrunde, von denen wir die letzte heute Abend vorgenommen haben.“

      Er wies mit ahnungsvoller Miene auf eine rot markierte Stelle und ließ zunächst unausgesprochen, was sie dort seiner Meinung nach erwarten würde. Dann fuhr er fort:

      „Die entsprechenden Koordinaten befinden sich etwa 400 Meilen von hier, dabei rede ich von Landmeilen wohl gemerkt. Die eine Hälfte der Strecke liegt in Küstennähe, die andere auf hoher See. Unsere durchschnittliche Reisegeschwindigkeit dürfte je nach Wetterlage irgendwo zwischen 5 und 6 Knoten liegen, so dass wir unser Ziel mit etwas Glück in rund drei Mal 24 Stunden erreicht haben werden.“

      „Und wann setzen wir die Segel?“, schaffte Jayden es zum ersten Mal, eine kurze Frage einzustreuen.

      „Irgendwann am Vormittag, jedenfalls heute Nacht nicht mehr. Da ihr von nichts eine Ahnung habt, möchte ich euch morgen früh erst einmal ein bisschen was übers Segeln erklären. An diesem Punkt hier…“, er wies erneut auf die Karte und nahm vor dem Weiterreden schnell einen kräftigen Schluck Whisky, als müsste er seine Stimme ölen, „…werden wir voraussichtlich langsam von der Küste abweichen und Kurs auf Nantucket Island nehmen. Spätestens dann werden wir auch die Segel setzen. Wir werden die Insel südlich streifen und dann endgültig auf die hohe See hinausfahren.“

      Während Mickey redete, vertiefte sich Mo für eine Weile in sein Gesicht und stellte erleichtert fest, dass sich in dessen vielen Falten durchaus so etwas wie Charakter und höhere Erfahrung erkennen ließ, nachdem er ihn auf den ersten Blick einfach nur als einen harten und eher simpel gestrickten Menschen eingeschätzt hatte.

      „Du scheinst dich gut auf dem Schiff auszukennen. Bist du mit ihm schon mal auf See gewesen?“, fragte er ihn in der vertraulichen Art, die sich zwischen ihnen in dieser Lage wie selbstverständlich ergab.

      „Ich kenne die Star of Atlantis wie meine Westentasche. Außerdem hatte ich selber mal ein Boot. Bin unzählige Male mit Tim draußen gewesen, wenn er einen zweiten Mann gebraucht hat. Ein zuverlässiges Schiff, das natürlich seine Vor- und Nachteile hat. Es ist nicht gerade schnell, weil es nicht sehr lang ist und eine relativ geringe Segelfläche hat, dafür ist es wendig und unauffällig. Sein Kunststoffrumpf wird von dem Radar der Großschiffe meistens nicht erfasst und bei Dunkelheit ist es praktisch nicht zu sehen. Insofern macht das, was wir vorhaben, durchaus seinen Sinn und ist kein kopfloses Himmelfahrtsunternehmen.“

      „Mich interessieren im Moment vor allem zwei Punkte: Werden wir das gesuchte Schiff einholen können, wenn wir länger als geplant für die Strecke bis zum Punkt X brauchen? Wir haben bei der ersten Ortung eine Geschwindigkeit von 16 Knoten errechnet, mehr als doppelt so schnell wie unsere. Und falls wir dieses Schiff tatsächlich finden und Jayden und ich wie geplant an Bord gehen, wie werden wir hinterher wieder zusammen mit Diamond auf die Star of Atlantis zurück gelangen? Bei 16 Knoten Geschwindigkeit müssten wir uns sehr beeilen, damit wir dir nicht davonfahren!“

      „Das hast du sehr gut erkannt, Dr. Morton Morris Meisterdetektiv. Ihr müsst euch sehr beeilen, das ist wahr. Oder solange an Bord bleiben, bis ich euch eingeholt habe. Allerdings gibt es noch eine gute Neuigkeit: Das Objekt scheint sich nicht mit konstanter Geschwindigkeit fortzubewegen, sondern zeitweise nur sehr kleine Fahrt zu machen. Bei mehreren Ortungen während der letzten beiden Nächte stellten wir fest, dass die Geschwindigkeit nur noch 4 Knoten betrug. Dies ist bei unserer Berechnung von Punkt X bereits berücksichtigt worden. Da das Schiff es aus irgendwelchen Gründen offenbar nicht eilig hat und nachts deutlich langsamer fährt, müssen wir bei Dunkelheit zuschlagen, was ja sowieso unserem Plan entspricht. Falls es seinen bisherigen Kurs beibehält, läuft es direkt auf die südliche Spitze von Novia Scotia zu. Das kann sich zwar jederzeit ändern, aber wir haben ja den GPS-Empfänger dabei, so dass wir die aktuelle Position ständig überprüfen können.“

      Mickey besiegelte seine Worte natürlich gleich wieder mit einem kräftigen Schluck Whisky; als er sah, dass Mo und Jayden bisher kaum etwas getrunken hatten, spornte er sie mit einem grimmigen Lachen an:

      „Na, das fängt ja großartig an! Los, mal immer bloß runter mit dem Zeug, es wird euch helfen, die Launen der See besser zu ertragen! Glaubt mir, es hat schon seinen Grund, warum ein Seemann gerne säuft. Ihr könnt von Glück sagen, dass wir solange in Küstennähe bleiben. Wenn man irgendwann nichts Anderes mehr als eine blaue Linie am Horizont sieht und ausweglos in einer kleinen Nussschale festsitzt, kann einem schon anders werden. Viele, die es nie erlebt haben, unterschätzen das. Aber so ist es ja immer mit den Leuten, die keine praktische Erfahrung haben und immer nur labern und alles besser wissen…“

      Er schnaubte verächtlich und stand auf, um sich seine schwarze Lederjacke auszuziehen und sich ein blaues, zerknautschtes Seemannskäppi auf seinen kahl rasierten Schädel zu setzen, das er zufällig auf einem Regal über der Sitzecke fand. Durch das Käppi und den grob gestrickten Pullover, der unter der Jacke zum Vorschein kam, hatte er innerhalb weniger Sekunden eine überzeugende Wandlung von einer „Landratte“ zu einem „Seebären“ vollzogen und seiner Erscheinung einen völlig neuen Charakter verliehen.

      „Und wie werden wir genau vorgehen, wenn wir Punkt X erreicht haben? Es würde mich nicht wundern, wenn dein Plan nicht ganz mit dem von Betty übereinstimmen würde“, bemerkte Mo mit einem leicht provokanten Unterton, der den launischen Captain sofort auf die Palme trieb.

      „Wie? Warum sollte denn mein Plan nicht mit dem von Betty übereinstimmen sollen? Ich will euch jetzt mal was ganz Grundsätzliches sagen, damit ihr mich nicht etwa für ein Weichei haltet: Mir schmeckt es absolut nicht, euch Vögel alleine auf das Schiff gehen zu lassen, aber Betty besteht darauf, weil einer unbedingt auf der Jacht bleiben muss. Da ihr sie nicht zuverlässig manövrieren könnt, muss ich es eben sein. Wenn es allerdings um Tims und euer Leben geht und ihr mich braucht, könnt ihr mich anfunken, dann komme ich an Bord und pfeife auf unser Boot. Das wäre die harte Tour, denn für den Rückweg müssten wir uns dann wirklich etwas einfallen lassen…“

      „Aber wie sollen wir überhaupt auf das Schiff gelangen?“, knüpfte Mo mit anderen Worten wieder an seine erste Frage an.

      „Nur Geduld, das klärt sich alles später. Damit es zu keiner Meuterei kommt, erzähle ich euch