Benedict Dana

Mo Morris und der Supervirus


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seid. Ich werde die erste Nachtwache bis 2 Uhr übernehmen und danach Jayden als Ersten aufwecken. Von mir aus könnt ihr euch zusammen in die große Vorschiffskajüte verziehen. Ich bin nicht schwul und ich schnarche, daher kann ich es unter diesen Umständen am besten alleine aushalten, he, he, he…“

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      70 Stunden, nachdem die „Star of Atlantis“ in der Bannister Bay in See gestochen war, lag Mo mit kreidebleichem Gesicht in seiner Koje und versuchte, sich zur Ablenkung krampfhaft auf den Bildschirm eines kleinen DVD-Gerätes über der Kajütentür zu konzentrieren. Er konnte der Handlung des laufenden Filmes nicht im Geringsten folgen und als in einer Szene plötzlich ein gedeckter Tisch voller Speisen zu sehen war, befiel ihn wieder das große Würgen. Obwohl sein Magen längst leer war, beugte er sich zum x-ten Mal zu dem Eimer neben seiner Koje hinunter und verfluchte stöhnend und spuckend die gesamte Seefahrt. Während er mit der rechten Hand den Eimer festhielt und sich mit der linken Hand an den Bettrahmen klammerte, damit ihn der gewaltige Wellengang nicht auf den Boden schleuderte, presste er mit den Beinen die Flasche Whisky fest auf die Matratze, die er sich unter seine Kniekehlen geklemmt hatte. Als eine günstige Gelegenheit kam und die Yacht nach einer heftigen Erschütterung durch ein längeres Wellental glitt, ließ er kurz den Bettrahmen los und schnappte sich schnell die Flasche, um durch einen tiefen Schluck die brennende Magensäure aus seinem Mund zu spülen. Er wollte sich schon wieder zurücklehnen, um wenigstens für ein paar Sekunden zu entspannen, doch da öffnete sich die Kajütentür. Jayden trat mit einem zynischen Grinsen herein, hielt den erbärmlichen Zustand seines Partners mit der Kamera seines Smartphones fest und verschwand sofort wieder. Er konnte nicht schnell genug dagegen protestieren und ahnte bereits, dass dieses Foto eines Tages in irgendeiner Runde Anlass zu allgemeiner Erheiterung werden würde.

      Er hatte die ganze Zeit nichts davon mitbekommen, wie Jayden fieberhaft damit beschäftigt gewesen war, die Wassermengen vom Boden des Salons aufzuwischen, die mehrmals über den Niedergang in die Kajüte gespült worden waren, und wie Mickey über zwei Stunden lang draußen am Ruder gegen das Meer gekämpft hatte, indem er mit voller Maschinenkraft gegen den Wind und die monströsen Wellen angesteuert hatte. Als die See nach Anbruch der Dunkelheit endlich ruhiger wurde, goss er nach und nach den letzten Rest des Whiskys in sich hinein und spürte voller Befriedigung, wie sich eine wohlige Wärme in ihm ausbreitete und die Übelkeit langsam verdrängte. Das Schicksal ließ ihm nur wenig Zeit, die Genesung von der Seekrankheit zu genießen, da gegen Mitternacht Mickey in die Kajüte hineingepoltert kam und lautstark rief:

      „Ich habe eben mit Betty über Funk gesprochen! Nach ihren Berechnungen könnte es zwischen 3 und 4 Uhr soweit sein! Du musst wieder klarkommen, Mann! Vielleicht haben wir heute Nacht unsere einzige Chance. Am besten leistest du deinen Kumpel auf Deck Gesellschaft und schnappst frische Luft. Im Gegensatz zu dir hat er sich inzwischen zu einem echten Seemann gemausert, dem man getrost das Ruder überlassen kann!“

      Mo schlüpfte hastig in seinen Pullover und seine Wetterjacke und folgte der Anweisung des „Captains“ zum Frischlufttanken an Deck zu gehen. Draußen empfing ihn als Relikt des Sturmes ein mächtig pfeifender Wind, der nach drei sonnigen Tagen auf See eine unangenehme Kälte mit sich brachte und die „Star of Atlantis“ mit beängstigender Seitenneigung und einer Geschwindigkeit von knapp 7 Knoten immer tiefer in die Gefahrenzone hineintrieb. Jayden hatte sich in der kurzen Zeit gute Segelkenntnisse angeeignet und schien trotz der stetig näher rückenden Gefahren, der Dunkelheit und des rauen Wetters seine helle Freude an dem Steuern der Yacht zu haben. Er steckte in einer gelben Wetterjacke und hatte sich an der Bordwand angeleint, damit er sich bequem in das Seil hineinlehnen konnte. Mo klammerte sich neben ihn an die Reling und kämpfte tapfer gegen die letzten Wehen der Seekrankheit an. Von den erhabenen Gefühlen, die ihn während der letzten Tage immer dann übermannt hatten, wenn sich die „Star of Atlantis“ bei einer steifen Brise extrem in die See gelehnt und sich mit stolzem Heben und Neigen des spitzen Rumpfes ihren Weg durch die unendliche Weite des Atlantiks erkämpft hatte, war unter diesen Umständen nicht mehr viel zu spüren. Jayden schrie ihm ein paar Worte direkt ins Ohr, doch er verstand ihn nicht. Das Getöse der Wellen und das Pfeifen des Windes unterband jegliche Unterhaltung und ließ sie nur noch zu kleinen und stummen Zeugen der mächtigen Naturgewalten werden.

      Als nach einiger Zeit die Klappe zur Kajüte aufging und Mickey seinen Kopf herausstreckte, kündigte sich endgültig die heiße Phase ihres Abenteuers an.

      „Ich habe auf dem Sonar ein Signal erwischt, etwa fünfzehn Meilen von hier! Streicht die Segel und kommt unter Deck! Wir werden die Maschine anwerfen und den Autopiloten einschalten!“, rief er aufgeregt und winkte sie herein.

      Nachdem sie das Hauptsegel eingeholt hatten, schlüpften sie in die Kajüte, wo ihnen der penetrante Geruch einer von Mickey zubereiteten Konservensuppe entgegenschlug. So rau das Verhalten ihres schrägen Captains oft war, so zuverlässig kümmerte er sich auch um sie, fast so als hätte er Betty einen heimlichen Schwur geleistet, durch den er sich für die Sorge um ihr Wohlergehen verpflichtet hatte.

      „Das Sonar hat ein starkes Signal gegeben, was bei dieser Entfernung für ein Riesenschiff spricht“, klärte er sie mit ernster Miene auf, während sie sich in der engen Schiffsmesse niederließen. Trotz der rapide ansteigenden Spannung hatten sie zunächst nichts Wichtigeres zu tun, als sich von ihm Kartoffelsuppe und Brot servieren zu lassen. Während sie den geschmacklosen Fraß, der ein wenig an eine Henkersmahlzeit erinnerte, missmutig in sich hineinlöffelten, fummelte Mickey an den Geräten in der Navigationsecke herum. Schließlich gab er ihnen mit knapper, militärisch klingender Sprache einen kurzen Lagebericht ab.

      „Das Objekt befindet sich jetzt etwa 14 Meilen ost-süd-östlich von uns, Geschwindigkeit cirka 4,5 Knoten. Das Erreichen von Punkt X ist je nach Wetterlage in zwei bis drei Stunden zu erwarten. Der Wind bläst glücklicherweise genau nach Osten. Falls wir die nötige Durchschnittsgeschwindigkeit nicht halten können, werden wir wieder die Segel setzen. Im Moment sieht es allerdings nicht danach aus.

      Ich werde von nun an alle zehn Minuten die verbleibende Distanz und nötige Geschwindigkeit neu errechnen. Erreichen wird Punkt X zu schnell, müssen wir warten und kreuzen, wodurch die Gefahr steigt, frühzeitig geortet zu werden; sind wir zu langsam, verpassen wir das Schiff. Hier kommt es auf das nautische Geschick eines erfahrenen Seemannes an.“

      Die Art, wie er sich durch diese Bemerkung selber auf die Schulter klopfte, ließ Mo leise aufstöhnen und die Augen nach oben rollen. Er tauschte ein wissendes Grinsen mit Jayden aus und kam dann auf den heikelsten Punkt zu sprechen.

      „Ich denke, es wird höchste Zeit, uns endlich aufzuklären, wie wir das Schiff entern sollen. Bisher hast du dich ja darüber beharrlich ausgeschwiegen.“

      „Nicht ohne Grund würde ich sagen. Schließlich wollte ich euch den Spaß an unserem kleinen Segeltörn nicht verderben…“

      Sein dreckiges Lachen ließ nichts Gutes erwarten und nachdem er ein paar obligatorische Schlucke aus einer Whiskyflasche genommen hatte, setzte er endlich zu der lange erwarteten Erklärung an.

      „Gut, kommen wir also endlich zu der Entertechnik, die ich dabei habe. Dass wir es nicht mit einer Segelyacht, sondern mit einem großen Schiff zu tun haben werden, haben wir ja von Anfang an geahnt. Ich möchte euch elenden Landratten deshalb mal eine kleine, aber feine Frage stellen:

      Was würdet ihr tun, wenn über euch eine zwanzig Yards hohe Bordwand aus purem Stahl in den Himmel aufragt, ohne dass irgendjemand so freundlich gewesen ist, für euch Superhelden extra eine Leiter anzuschweißen, he?“

      Mo und Jayden lachten. Mickeys gerötetes Gesicht sah durch seinen stoppeligen Dreitagebart, seine fragend hochgezogenen Augenbrauen und den Einfluss des Whiskys für einen Moment ungewollt lustig aus und war von einer gutmütigen Ironie beseelt.

      „Mit einer Harpune Seil und Enterhaken über die Reling schießen?“, musste Mo nicht lange überlegen, um eine plausible Antwort zu finden.

      „Sehr klug, genau richtig, das wäre schon mal der erste Punkt! Ihr werdet lachen, aber so was in der Richtung hab’ ich tatsächlich dabei!“

      Er öffnete die Tür der kleinen Seitenkajüte und zog unter seiner Koje eine der