Benedict Dana

Mo Morris und der Supervirus


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in nicht allzu langer Zeit in einer Mappe mit dem Aufdruck „Top Secret“ auf den Schreibtischen aller führenden Geheimdienstfunktionäre in Washington landen würden.

      Sie setzten ihren Weg fort und nach der letzten Containerreihe breitete sich vor ihnen die spitz zulaufende Bugfläche aus, auf der sich Ankerwinden, Seile und zwei auf Schienen laufende Lastkräne befanden. Sie entdeckten mit Hilfe des Nachtsichtgerätes einen zentralen Deckaufbau mit einer unverschlossenen Tür, die sie in einen unbeleuchteten Schacht gelangen ließ. Eine Eisentreppe führte tiefer und tiefer in den Schiffsbauch wie in den Schlund eines sie bei lebendigem Leibe verschlingenden Seeungeheuers hinab und verstärkte mit jeder Stufe seltsame Ahnungen und Ängste. Am Fuß der Treppe stand in einer dunklen Ecke eine Leiter, die zu einem Stahlpodest mit einem dahinter liegenden Durchgang führte, und auf der gegenüberliegenden Seite war eine schottenartige Tür mit einem großen Eisenrad zu sehen.

      Es war Mo, der begann das Rad so vorsichtig im Zeitlupentempo aufzudrehen, als hätte er Angst, die Dämonen der Unterwelt durch zu laute Geräusche zu wecken; in dem leisen Quietschen des Metalls lag ein solch verheißungsvoller Ton, dass sie bereits etwas von der großen Überraschung ahnten, die sie hinter der Tür erwartete. Der Durchgang, der sich vor ihnen auftat, war mit Getränkekisten und Müllsäcken voll gestellt und wurde durch den schmalen Lichtstreifen einer spaltbreit offen stehenden Tür erhellt. Das laute Summen, das plötzlich zu vernehmen war, erinnerte an einen Hochspannungstransformator in einem Umspannwerk.

      Als Mo durch den Türspalt spähte, erstarrte sein ganzes Wesen zu einem einzigen Erstaunen. Er blickte direkt in einen riesigen Raum hinein, der sich schier endlos durch den Schiffsrumpf zog und von Neonröhren taghell erleuchtet wurde; die unzähligen, etwa 3 Yards hohen und breiten sowie 6 Yards langen Apparate, die sich durch dicke Kabelstränge verbunden in nicht enden wollender Zahl auf Stahlpaletten aneinander reihten, sahen wie die einzelnen Untereinheiten eines Mega-Computers aus. Ihnen wurde ohne große Worte sofort klar, was für eine unglaubliche Entdeckung sie hier, mitten auf hoher See, hunderte Meilen vor der Küste außerhalb der amerikanischen Hoheitsgewässer, gemacht hatten: Es handelte sich zweifellos um ein gigantisches Computerlabor, das in dem normalerweise mit Fracht gefüllten Schiffsbauch ein perfektes Versteck gefunden hatte. Die Bestandteile dieses Labors stammten wahrscheinlich aus den Containern, die sich oben auf Deck befanden, und konnten jederzeit wieder in diese verladen werden.

      „Ich weiß noch nicht genau, was es ist, aber ich weiß, dass es nichts Gutes ist…“, stammelte Jayden mit einer solchen Ehrfurcht vor sich hin, als hätte er nicht nur einen Megacomputer, sondern ein lebendiges Wesen vor sich, eine Monsterkrake etwa, die im Halbschlaf vor sich hindöste und jederzeit durch ein zu lautes Wort geweckt und zu gefährlicher Aktivität angestachelt werden konnte. Der Zusammenhang zwischen ihrer Entdeckung und den Internetstörungen schien unausgesprochen auf der Hand zu liegen, genauso wie kein Zweifel daran bestand, dass das Computermonster mit Hilfe der Schüssel auf Deck mit einem Satelliten in Verbindung stand und der tiefere Grund für den Elektrosmog war.

      Als plötzlich auf dem breiten Mittelgang zwei Gestalten in weißen Schutzanzügen auf einem kleinen Elektrowägelchen aus den Tiefen des Schiffbauches herangefahren kamen, zogen sie schnell die Tür wieder zu. Sie beobachteten durch einen winzigen Spalt, wie der Wagen in die kleineren Nebengänge zwischen den Apparaten abbog, dabei hin und wieder über einen der am Boden verlaufenden Kabelbäume hüpfte und manchmal stehen blieb, damit Fahrer und Beifahrer absteigen und irgendwelche Daten auf den Displays der Apparate ablesen konnten. Es handelte sich anscheinend um eine harmlose Routinekontrollfahrt, die für sie jedoch plötzlich gefährlich wurde, als der Elektrowagen in kaum 10 Yards Entfernung stehen blieb und eine der beiden Gestalten auf die Tür zukam.

      „Rückzug!“, stieß Jayden sofort geistesgegenwärtig hervor und packte Mo, um ihn zurück zu der ersten Tür zu ziehen und den Durchgang so schnell wie möglich zu verlassen. Sie schafften es nicht mehr, die Tür mit dem Stahlrad zu verschließen, und drückten sie mit den Händen zu, während sie mit den Pistolen im Anschlag an den Wänden lehnten. Sie hörten das Klirren von Flaschen aus einer der Getränkekisten und warteten mit höchster Anspannung ab, bis die Geräusche wieder verstummten.

      Als sie sich nach einigen Minuten zurück in den Gang wagten und erneut durch den Türspalt sahen, war der Elektrowagen verschwunden. Dafür gab es auf dem breiten Mittelgang eine neue Entdeckung zu machen: Ein zylinderförmiger Roboter mit drehbarem Kopf und Greifarmen steuerte einige der Computer an, um etwas in eine Öffnung einzuschieben, was wie eine große Festplatte aussah. Mo ließ den Auslöser der Kamera nicht mehr los und hatte in wenigen Minuten mehr als hundert Aufnahmen gemacht. Doch schon bald fühlten sie sich gezwungen wieder den Rückzug anzutreten, da die Zeit bis zum Morgengrauen unaufhaltsam schwand.

      Nach ihrer Rückkehr in den großen Schacht mit der Treppe wurde sofort klar, dass die Leiter zu dem Stahlpodest, die ihnen bereits zuvor aufgefallen war, der einzig mögliche Weg zu ihrem Ziel war. Das GPS-Gerät zeigte nur noch eine Entfernung von 16 Yards zu Diamond an, und der Wert verringerte sich sofort, als sie begannen die Leiter hinaufzusteigen. Auf dem Podest wartete eine verrostete Stahltür auf sie, hinter der ein stockfinsterer Gang in die letzten begehbaren Winkel des Bugs hineinführte. Die kleinen Bugkammern, die rechts und links abzweigten, waren mit Abfallsäcken gefüllt und beherbergten zahlreiche Ratten, von denen einige durch die Lichtkegel ihrer Taschenlampen fiepend und quiekend aufgescheucht wurden. Auf einmal war es, als wären sie wirklich in eine Art Unterwelt hinab gestiegen und hätten Diamond am denkbar unmöglichsten Ort der Welt aufgespürt, um seine Seele wider Erwarten noch einmal zu den Lebenden zurückzurufen. Als sie am Ende des Ganges in die letzte Bugkammer hineinleuchteten, regte sich in Mos Herz etwas, was er in Bezug auf Tim Diamond niemals für möglich gehalten hätte. Der Moment, in dem er seinen alten Rivalen aus dieser unmöglichen Lage befreite, hätte einer seiner größten Triumphe werden können, aber statt einem Triumphgefühl konnte er jetzt nur Schmerz und Mitleid empfinden. Es schien eine unsägliche Ironie des Schicksals zu sein, dass es ausgerechnet ihm gelungen war, den alten Draufgänger Diamond, der ihm nie viel zugetraut hatte und ihn wegen seiner auf Intellekt und Intuition beruhenden Arbeitsweise immer verspottet hatte, in dieser Hölle aufzuspüren und aus ihr zu befreien.

      Diamond lag auf einem Haufen Müllsäcke wie auf einem Totenbett und unter seinem zerfetzten Pullover waren überall kleine Wunden und Blutspuren zu sehen. Die fette Ratte, die eben noch an seiner mit klebrigen Abfallresten beschmutzen Jeans geschnüffelt hatte, verzog sich bei ihrem Kommen schnell und mit ihr einige Kleinere, die offenbar nur darauf warteten, dass das letzte Leben aus dem bereits wie tot herumliegenden Menschenkörper wich.

      Jayden prüfte sofort den Puls der Halsschlagader und Mo benetzte das Gesicht des Halbtoten mit Wasser aus einer Plastikflasche. Die Reaktion darauf stellte sich nur sehr verzögert ein und bestand aus einem leisen Röcheln, das so klang, als hätten sie Diamonds Geist, der sich in irgendeinem undefinierbaren Zustand zwischen Leben und Tod befand, aus einer weiten Ferne wieder in die Gegenwart zurück geholt. Als er schließlich seine Augen aufschlug, vergrößerten sich beim Anblick von Mos Gesicht entsetzt seine Pupillen und er ließ seinen Kopf mit dumpfem Stöhnen auf den Müllsack zurücksinken. Er brauchte einen Moment, um zu realisieren, dass die beiden unheimlichen Froschmänner in den schwarzen Gummianzügen, deren kleine LED-Taschenlampen den finsteren Ort in ein unwirkliches Licht tauchten, nicht etwa zu den Helfern des Fährmannes zählten, der im Hades dafür zuständig war, die Seelen der Toten über den Fluss Styx in die Unterwelt zu setzen, sondern zwei Abkömmlinge der diesseitigen Welt waren, die in den Abgrund hinunter gestiegen waren, um ihn zu retten.

      Er fing an unverständliches Zeug vor sich hinzubrabbeln, und sie machten sich daran, ihn von seinem zerfetzen und bluttriefenden Pullover zu befreien. Erst dabei bemerkten sie das ganze Ausmaß seiner Verletzungen, die wie Folterspuren aussahen.

      „Die Wunden sind noch frisch. Man hat sie ihm bestimmt erst vor kurzem zugefügt. Wahrscheinlich hat man ihn für einen Agenten gehalten und wollte um jeden Preis aus ihm herausbekommen, ob man in Washington bereits irgendetwas über das Schiff weiß“, vermutete Mo mit einem bestürzten Flüstern. Kurz darauf wurde eine rostige Schraube, die er in einer der vielen Wunden fand, zu dem eindeutigen Beweis für grausame Folter, weshalb er eine Reihe wilder Flüche ausstieß.

      Jayden