Benedict Dana

Mo Morris und der Supervirus


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schon immer wichtig gewesen“, entgegnete Betty knapp, während sie aufstand, um zu einem kleinen Holzschränkchen zu gehen, das vor einem großen, bodenlangen, nach vorne zur Strasse hinausweisenden Eisensprossenfenster stand. Sie holte eine Broschüre des betreffenden Jachthafens aus einer Schublade des Schränkchens heraus und notierte an ihrem Schreibtisch den Schiffsnamen und die Nummer des Liegeplatzes darauf. Als ihr Blick zufällig auf den mit hängenden Ohren vollkommen platt auf dem Fußboden liegenden Dr. Watson fiel, schien sich irgendetwas in ihr zu regen und sie meinte mit einer weichen Stimme:

      „Ich werd’ Ihrem Hund eine Schale Wasser holen! Ist ja heute eine Affenhitze draußen, die Mensch und Tier gleichermaßen in den Wahnsinn treiben kann!“

      Sie verschwand durch eine schmale Glastür in einer kleinen Teeküche und stellte wenig später eine Wasserschale vor den Hund. Mo beobachtete versonnen, wie sich Dr. Watson schlabbernd über das kühle Nass hermachte, und wechselte dann plötzlich in einen ganz anderen, sehr sachlichen Tonfall über.

      „Also gut, Betty, ich denke, wir sollten uns nichts vormachen und mit offenen Karten spielen! Ihnen dürfte klar sein, dass wir uns für Tims Verschwinden vor allem deshalb interessieren, weil er sich mit den Internetmanipulationen beschäftigt hat!“

      „Natürlich, mir ist vollkommen klar, dass Sie hier nicht aus reiner Sorge um ihn erschienen sind.“

      „Wir sind mit einem großen Sack voller Fragen zu Ihnen gekommen. Vor allem wollen wir erst einmal wissen, wann und auf welche Weise Sie das letzte Mal Kontakt mit Tim hatten. Und dann wäre da ja noch diese spezielle Ortungstechnologie, die Sie bereits am Telefon erwähnt hatten und mit deren Hilfe Sie ihn aufspüren wollen. Erfreulicherweise haben Sie mich diesbezüglich sofort ins Vertrauen gezogen.“

      „Wären Sie nicht ein uralter Bekannter von Tim, hätte ich es sicher nicht getan.

      Der letzte Kontakt war vor drei Wochen per Telefon, als Tim aus einem Hotel in Washington anrief. Es war gestern genau 21 Tage her, was eine ganz bestimmte Bedeutung hat. Gemäß einer alten Abmachung zwischen ihm und mir soll ich nämlich nach exakt 21 Tagen zu speziellen Mitteln greifen, wenn ein solcher Fall wie jetzt eintritt. Ich weiß, es klingt etwas seltsam, aber es hängt mit Tims Schwäche für Numerologie zusammen. Speziell die Sieben hat große Bedeutung für ihn und er strukturiert mit ihr die verschiedensten Zusammenhänge in seinem Leben. Das ist ein regelrechter Tick von ihm. Er glaubt wohl, dass es ihm Glück und besonderen Schutz einbringt.

      Jedenfalls habe ich mich an diese alte Abmachung gehalten und habe am 7. Tag, nachdem ich nichts mehr von ihm gehört habe, die ersten Erkundigungen eingezogen. Am 14. Tag habe ich dann den Kreis der Maßnahmen erheblich erweitert und am 21. Tag – der zufällig gestern gewesen ist – wollte ich eigentlich die letzte und entscheidende Stufe zünden. Ich habe damit nur gewartet, damit wir die Ortung heute gemeinsam vornehmen können.“

      Betty blickte sie abwechselnd mit bedeutungsschwerer Miene an und strich nervös die Falten ihres knappen Rockes glatt. Mo musste sich dabei zwingen, den Duft ihres verführerischen Parfums zu ignorieren und seinen Blick nicht von ihrer hübschen, cremefarbenen Kostümjacke hinunter zu ihren grazilen Knien und wohlgeformten, nackten Unterschenkeln wandern zu lassen. An diesem Tag wurde es für ihn höchste Zeit zu lernen, nicht mehr nur Bettys Schönheit zu sehen, sondern auch ihre Persönlichkeit ernst zu nehmen. Er beugte sich zu ihr über den Tisch und drang mit einem besonderen Interesse auf sie ein:

      „Bevor wir uns mit der Ortung beschäftigen, sollten wir noch ein paar grundsätzliche Punkte klären. Was hat Ihnen Tim bezüglich seiner Nachforschungen über die Internetstörungen alles gesagt? Hat er Sie über die Arbeitsergebnisse auf dem Laufenden gehalten?“

      „Nein, hat er nicht. Er sagte nur mehrfach, er hätte sich eine heiße Spur in Washington gekauft, und wenn er die zu barer Münze machen könnte, wäre er bald fein raus. Er dachte in letzter Zeit immer öfter an den Ruhestand. Wahrscheinlich wollte er mich mit seinem Erfolg beeindrucken und erst dann alles verraten, sobald er sich seiner Sache sicher genug ist. Ich weiß im Grunde nicht mehr, als dass es eben mit den Internetstörungen zusammenhängt. Er sprach von dem Fall seines Lebens und war regelrecht besessen davon!“

      „Wollte er vielleicht einfach nur einen lohnenden Handel mit Informationen betreiben und hatte gar nicht den Ehrgeiz, die Sache selber aufzuklären? Schließlich ist das Ganze eine Nummer zu groß für nur einen einzigen Mann. Arbeitete er vielleicht mit irgendwem zusammen? Hatte er in Washington Kontakte zur Polizei, zum FBI oder sogar zur CIA? Oder bei wem sonst hat er seine Spur gekauft?“

      Mo schien nun endgültig den sachlichen Ton eines Inspektors anzunehmen und hatte den Sinn für Bettys schöne Beine und ihr verführerisches Parfum vorübergehend verloren.

      „Im Grunde kann ich auf Mutmaßungen auch nur mit Mutmaßungen reagieren. All das ist möglich oder eben auch nicht. Was die Frage nach seinen Kontakten zur Polizei oder den Geheimdiensten betrifft, so müssten eigentlich eher Sie als ich eine Antwort darauf finden. Soweit ich weiß, hatten Sie ja Tim durch ihre Kooperation mit dem NYPD kennen gelernt. Zumindest hier in New York hatte er schon immer eine Menge Kontakte zur Polizei und zum FBI.“

      „Hat Tim sein Apartment in der City behalten, nachdem das Büro nach Brooklyn umgezogen ist? Wo wohnt er im Moment? Leben Sie mit ihm zusammen? Obwohl ich glaubte, ihn gut zu kennen, weiß ich inzwischen eigentlich erschreckend wenig über ihn!“

      „Wie wir vorhin schon festgestellt haben, hat Tim eine besondere Beziehung zum Meer und aus genau dem Grund hat er sich vor zwei Jahren einen alten Traum erfüllt und sich für den Erlös seines Apartments ein Haus in Long Beach gekauft. Ich meine natürlich das Long Beach auf Long Beach Barrier Island und nicht das in Kalifornien. Ich bin nur manchmal an den Wochenenden bei ihm. Er ist sehr auf sich selbst bezogen, wissen Sie… er hält es nicht aus, ständig jemanden um sich herum zu haben. Sie sollten übrigens nicht denken, dass ich deswegen traurig bin…“

      „Aber nein, Betty, das denke ich nicht. Vor allem möchte ich das ja auch gar nicht!“, verlor Mo vorübergehend seinen Ernst, um für einen Moment wieder an das ironische Flirten anzuknüpfen. „Wann waren Sie das letzte Mal in Tims Haus? Haben Sie dort irgendwelche Auffälligkeiten bemerkt? Spuren einer Durchsuchung oder sonst etwas?“, drang er dann weiter auf sie ein.

      „Ich war erst gestern dort und konnte bisher nichts Auffälliges entdecken.“

      „Und was ist mit seinen Emails und SMS? Kommen Sie in sein Postfach rein? Liegt vielleicht irgendwo ein zweites Handy herum?“

      „Nein, sicher nicht. Tim ist in Sicherheitsfragen von Berufs wegen sehr genau und gründlich. Er lässt nicht einfach so Telefone irgendwo herumliegen oder schreibt das Passwort für sein Postfach auf den Memoblock, der in der Küche am Kühlschrank hängt. Er hat einige sehr ausgeklügelte Geheimhaltungsstrategien entwickelt, weil er durch seinen Job immer mit einer gewissen Paranoia zu kämpfen hat.“

      „Dann hat er also auch Sie nicht in seine Geheimnisse eingeweiht?“

      „Mir hat er prinzipiell immer nur das Nötigste mitgeteilt, das ich für meine Arbeit wissen muss. Auch von den wenigen Mitarbeitern, die uns hier in Brooklyn geblieben sind, weiß niemand über seine derzeitigen Aktivitäten Bescheid.

      Er hat einen ausgeprägten Hang zu Misstrauen und Geheimnistuerei. Das Ortungssystem, das im Fall seines Verschwindens aktiviert werden soll, spiegelt dies sehr deutlich wider. Er hat die entsprechende Software vom FBI bekommen und den Zugang und die verschiedenen Funktionen durch ein verschachteltes Passwortsystem geschützt. Um Missbrauch zu verhindern, kann man genau nachverfolgen, wann, wie oft und von wem eine Ortung gestartet worden ist. Ich glaube, er wollte damit vor allem verhindern, dass ich ihm nachspioniere. Wer weiß, vielleicht hat es mit irgendwelchen Weibergeschichten zu tun…“

      Als Mo bei dem Stichwort „Weibergeschichten“ gerade zu irgendeiner Bemerkung ansetzen wollte, schien sie dies mit einem viel sagenden Lächeln genau vorherzusehen und wehrte mit einer schnellen Handbewegung ab:

      „Sparen Sie sich Ihre Kommentare, Morton. Sie sind doch ein intelligenter Mann und müssen nicht immer in die gleiche Kerbe hauen. Je mehr Sie das tun,