Benedict Dana

Mo Morris und der Supervirus


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      „Natürlich, Sir. Wie Sie ganz richtig vermutet haben, Dr. Morris, hat unser Problem tatsächlich mit so etwas wie einem Computervirus zu tun. Normalerweise wäre dies noch kein besonderer Grund zur Aufregung, aber der jetzige Fall hat eine Dimension erreicht, die im schlimmsten Fall ein Chaos im ganzen Land, ja sogar auf der ganzen Welt herbeiführen kann. Wir haben es mit einer außerordentlichen Bedrohungslage zu tun, weil es gegen die Art von Virus, mit der der Staat erpresst wird, bisher kein wirksames Schutzschild gibt.“

      „Hat es bereits erste Störungen gegeben? Hier in Rutherford konnte ich bisher nichts davon bemerken“, fiel Mo dem jungen Agenten ins Wort.

      „Natürlich, sonst säßen wir kaum hier. Virus ist übrigens nur ein vorläufiger Arbeitsbegriff, da es sich streng genommen um eine ganz neue Art des Angriffs handelt. Details dazu erfahren Sie später. Die ersten Drohungen und Geldforderungen wurden nicht sehr ernst genommen und irgendeiner Gruppe junger Hacker zugeschrieben, die sich einen Scherz erlauben wollte. Nachdem jedoch ein bestimmtes Ultimatum verstrichen war, kam es vor wenigen Wochen zu einer Reihe von ernsten Computerstörungen in Washington, unter anderem auch in verschiedenen Regierungsbehörden, Ministerien und öffentlichen Verwaltungseinrichtungen, die nicht wie etwa das Pentagon über ein eigenes Intranet kommunizieren.

      Da es sich um eine neue Form der Manipulation handelt, konnten bisher keine Schadcodes identifiziert werden, die diese Störungen ausgelöst haben. Die Experten kämpfen gegen ungreifbare Phantome und Schatten, die in der Lage sind, die Datenflüsse in solch umfassender und rätselhafter Weise zu lähmen, als wäre die Hand des Teufels höchstpersönlich im Spiel.

      Die Funktionsfähigkeit aller infizierten Rechner wurde quasi über Nacht wiederhergestellt, nachdem eine bestimmte Geldsumme auf ein Offshore-Konto eingezahlt worden war. Die Regierung überweist inzwischen jede Woche sehr viel Geld, damit das Problem nicht um sich greift. Und daher sind nun alle guten Köpfe im Land gefragt, wie diese unhaltbare Situation möglichst schnell beendet werden kann. Sie dürfen sich geehrt fühlen dazu gezählt zu werden, Dr. Morris!“

      Bevor Mo auf diese Enthüllungen reagieren konnte, öffnete sich die Tür und Ruth kam mit einem Servierwagen herein. Nachdem sie Kaffee und Kuchen serviert hatte und gerade wieder gehen wollte, hielt er sie für einen Moment zurück und ermahnte sie mit strenger Miene:

      „Ach, Ruth… eines noch, Sie haben es ja vielleicht gehört: Was hier besprochen wird, ist streng geheim, also stehen Sie bitte nicht so dicht vor der Tür, dass man beim angestrengten Lauschen Ihren rasselnden Atem hören kann! Ihre chronische Bronchitis verrät Sie nicht zum ersten Mal, meine Liebe!“

      Als daraufhin ihre Kinnlade herunterfiel, aber kein Laut des Protests aus ihrem Mund hervorkam, wussten alle, dass sie auf frischer Tat ertappt worden war, und sie verließ wortlos den Raum.

      „Hm… unser großes und mächtiges Land wird also wegen eines klitzekleinen Computervirus oder etwas Ähnlichem erpresst… eine ziemlich peinliche Situation oder nicht? Ich nehme an, die Drohungen dieser bisher noch nicht identifizierten Macht gehen dahin, die Störungen über die gesamten USA auszuweiten, falls nicht jede Woche pünktlich bezahlt wird?“

      „Sie nehmen mal wieder ganz richtig an, Dr. Morris!“, bestätigte Jayden lebhaft und ging dann dazu über, das düstere Bild einer drohenden Katastrophe zu zeichnen. „So atemberaubend schnell und umfassend der Siegeszug des Internets während der letzten Jahrzehnte war, so verheerend könnten nun die Folgen dieser rasanten Entwicklung sein. Ich will diesbezüglich nur einmal eine zentrale Frage in den Raum stellen: Was passiert, wenn plötzlich das gesamte Netz – national oder sogar international - zusammenbricht? Insbesondere die wirtschaftlichen Folgen könnten mindestens so schlimm wie bei der Coronavirus-Pandemie ausfallen.

      Bei dem heutigen Stand der Entwicklungen kämen logistische Ketten zum Erliegen, wichtige Handelsströme würden versiegen und auch Teile des Flug- und Zugverkehrs könnten zusammenbrechen. Ganz zu schweigen von dem Ausfall aller Online-Finanztransaktionen, was in der Bankenwelt innerhalb kurzer Zeit zum Kollaps führen würde. Wenn sich diese Störung nach und nach durch das gesamte System frisst, könnten irgendwann auch die Backups wichtiger Datenbänke infiziert werden, wodurch nicht nur in der Finanzwelt ein großes, schwarzes Loch entstehen würde. Die Steuerungen von Satelliten und Kraftwerken könnten beeinträchtigt werden und im medizinischen und militärischen Bereich könnte es zu technischen Problemen kommen. Außerdem wäre…“

      „Schon gut, ich kann mir den Rest schon selber denken. Wir hätten es schlicht und einfach mit einem Desaster zu tun, für das es in der Geschichte bisher nur wenige Beispiele gibt. Die Folgen würden sicher an die der Coronavirus-Pandemie heranreichen und unserer Wirtschaft einen weiteren herben Rückschlag verleihen. Sollte das Problem über längere Zeit bestehen bleiben, würde das nicht nur zu einer ausgewachsenen ökonomischen Krise führen, sondern könnte über kurz oder lang auch Menschenleben kosten.“

      „Sie sagen es, Dr. Morris. Das sind alles gute Gründe, warum größte Geheimhaltung geboten ist. Sollten auch nur die geringsten Gerüchte über einen drohenden Totalausfall des Internets kursieren, könnte dies als erstes zu einer Panik an den Finanzmärkten führen. Die Aktienindizes würden zusammenbrechen und viele würden versuchen, ihre Bankguthaben abzuheben und in Form von Bargeld oder physischem Gold aufzubewahren. Das könnte zu einem schlimmen Bankencrash mit Dominoeffekt führen.

      Aber damit nicht genug: Die Hardliner in Regierung, Militär und Pentagon interpretieren den jüngsten Cyberangriff als eine Form von Krieg, durch den es im Notfall legitim erscheint, konventionelle militärische Mittel zur Vergeltung anzuwenden. Viele verdächtigen die Russen und Chinesen, was sich zu einer gefährlichen internationalen Krise zuspitzen könnte…“

      Die Sorge, die Jayden bei diesen Worten in sein sympathisches Gesicht geschrieben stand, war nicht gespielt und Mo konnte in ihr deutlich ablesen, wie ernst die Lage wirklich war. Er nahm einen letzten Zug von dem beinahe schon erloschenen Zigarillo, schickte mit spitzen Lippen ein paar große, wohlgeformte Rauchkringel über den Tisch und meinte mit nachdenklicher Miene:

      „Die Eigenschaften, die Sie beschrieben haben, deuten tatsächlich daraufhin, dass es sich nicht um einen Virus im konventionellen Sinn handeln kann. Alles weist auf eine bislang unbekannte Manipulationsform hin.“

      „So ist es. Was auch immer es ist, sobald auch nur das geringste Gerücht an die Öffentlichkeit gerät, werden sich sehr schnell die größten Verschwörungstheorien darum ranken“, schaltete sich Baker wieder ein. „Leider gibt es bisher so gut wie keine konkreten Spuren und die Richtung der Untersuchungen nimmt teilweise die skurrilsten Formen an. Zudem hat die Regierung eine hohe Belohnung für die Lösung des Falles ausgesetzt, so dass es zu einem regelrechten Wettbewerb zwischen allen beteiligten Ermittlungskräften kommt.“

      „Eine Belohnung? Das höre ich natürlich gern! Könnten Sie mir freundlicherweise ein Beispiel für die skurrilen Formen der Untersuchungen nennen?“

      „Das werde ich gleich tun. Es ist natürlich so, dass die Hauptarbeit den Geheimdiensten und dem FBI zufällt, weswegen die zivilen Ermittler die Behörden zunächst bei den weniger wichtigen Spuren zu entlasten haben.“

      „Ich verstehe… Die Nebenfiguren werden auf das Abstellgleis geschoben, damit eure eigenen Leute die Chance auf die Belohnung haben. Die unwichtigste aller Spuren fällt mir bei meinem Glück dann wahrscheinlich selber zu.“

      Mos zynisches Lachen konnte Baker nicht irritieren und er entgegnete, ohne seine ernste Miene zu verziehen:

      „Interpretieren Sie es, wie Sie wollen. Allerdings liegen die Dinge in Ihrem Fall etwas anders. Sie waren zunächst für eine Spur vorgesehen, die man tatsächlich als unwichtig oder sogar absurd bezeichnen könnte, doch dann hat man sich nach der Prüfung Ihrer Akte anders entschieden.“

      „Und um was für eine Spur handelte es sich da genau?“

      „Es ging um eine verdächtige Sekte, die sich Mormonen und Indianer der Endzeit nennt und bereits vor Jahren die Aufmerksamkeit des FBI erregte. In ihrem Gedankengut vermischen sich indianische Traditionen und christlich-mormonische Ideen zu einer fundamentalistischen Lehre, für die