Benedict Dana

Mo Morris und der Supervirus


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Äußerungen und Aufrufen geführt haben. Das Hauptquartier der Sekte befindet sich in Utah auf ein paar Hektar Land in den Bergen, wo sich ihre Mitglieder ihre ganz eigene Welt geschaffen haben – eine Welt, die von Einsamkeit und einem nur geringfügigen Einsatz von moderner Technik geprägt ist. So weit ich weiß, wird die Siedlung von ihnen Mount Zion genannt.“

      „Es hätte also ursprünglich meine Aufgabe sein sollen, diese Siedlung zu besuchen und dort Nachforschungen anzustellen? Und Sie denken ernsthaft, eine solche Sekte hätte die Macht, das Internet in umfassender Weise zu stören? Gibt es dafür auch nur die geringsten Hinweise? Ich möchte das ganz spontan aus dem Bauch heraus für großen Unsinn halten!“

      „Es gibt keine Hinweise, aber genügend Gründe. Aber das ist ja jetzt nicht mehr wichtig. Lassen Sie mich lieber auf den Punkt kommen, der relevant für Sie ist!“

      „Nein bitte, ich möchte gerne etwas über diese Gründe hören, es interessiert mich sehr!“, insistierte Mo so nachdrücklich, dass Baker etwas widerwillig zu erklären begann:

      „Nun, die Mormonen und Indianer der Endzeit betrachten Fernsehen, Radio und Internet als Technologien des Bösen, deren Absicht es ist, den gesamten Äther mit den Auswüchsen der modernen Gesellschaft zu durchdringen und zu einer Einflusssphäre Satans zu machen. Der Geist der Menschen soll demnach ständig so sehr mit weltlichen Ideen beschäftigt werden, dass darüber die Verbindung zu der rein geistigen, formlosen Wirklichkeit, also zu Gott, in Vergessenheit gerät. Sie interpretieren die modernen Massenmedien als eine permanente Störung, die den Menschen rund um die Uhr mit irdisch-illusionären Bildern, Ideen und Werten bombardiert, bis er gänzlich degeneriert und unmerklich unter dem alles infiltrierenden Einfluss weltlich-satanischer Mächte steht.

      Für sie ist das Internet nicht eine der bedeutendsten technischen Entwicklungen des beginnenden dritten Jahrtausends, sondern der Meilenstein für das Anbrechen eines dunklen Zeitalters, in dem schließlich das Tier – wie es in der biblischen Offenbarung des Johannes heißt – auf dem Thron der Welt sitzen wird und die gesamte Menschheit mit satanischen Idolen und falschen Werten beherrscht.

      Das Internet wird als eine Schlüsseltechnologie satanischer Macht interpretiert, die in diesem dunklen Zeitalter – der Endzeit – nach und nach immer weiter um sich greift und alle Bereiche des alltäglichen Lebens bestimmt, wodurch es schließlich auch zu totaler Kontrolle und Überwachung kommt. In ihren Augen sind Konsum, Propaganda, Gewalt, Pornografie, verzerrte Werte, Idolatrie und so weiter die typischen Inhalte, die Fernsehen und Internet dominieren und den menschlichen Geist in einer dunklen Gottesferne festhalten.“

      Baker unterbrach sich und kramte ein Papier aus seiner Aktentasche heraus. Seinem ganzen Wesen war deutlich anzumerken, dass er sich mit der Ideologie der „Mormonen und Indianer der Endzeit“ nicht nur oberflächlich auseinandergesetzt hatte. Bald fuhr er fort:

      „Ich habe hier ein Pamphlet der Sekte aus dem vorletzten Jahr, in dem es unter anderem etwa heißt:

       Der Beginn des dunklen Zeitalters, das uns in der Offenbarung des Johannes mit der Herrschaft des Tieres angekündigt wird, ist längst eingetroffen und ist nicht erst in ferner Zukunft zu erwarten. In der Offenbarung wird uns die 666 als die Zahl des Tieres genannt und wir wissen, dass diese Zahl in vielen modernen Zeichen und Symbolen eine große Rolle spielt.

       Das WWW des World Wide Web ist eine direkte Entsprechung dieser Zahl, zumal das W in hebräischer Schreibweise – Waw – nicht nur dem Zahlenwert 6 entspricht, sondern ihm auch ähnlich sieht. Die drei W stehen für Inhalte, die zwar nicht alle durch und durch böse sind, in denen sich aber die satanischen Idole und falschen weltlichen Werte mit dem Guten und Gesunden so untrennbar vermischen, dass der Geist fast unmerklich beeinflusst wird.

       Das WWW ist eine Spielart des Zeichens, das eines Tages zum Zeichen aller Menschen wird, die unter der Herrschaft des Tieres stehen und ohne dieses Zeichen nicht mehr am öffentlichen Leben teilnehmen können. Die Offenbarung des Johannes sagt uns dazu:

       Die Kleinen und die Großen, die Reichen und die Armen, die Freien und die Sklaven, alle zwang es (das Tier), auf ihrer rechten Hand oder ihrer Stirn ein Kennzeichen anzubringen. Kaufen oder verkaufen konnte nur, wer das Kennzeichen trug: den Namen des Tieres oder die Zahl seines Namens. Hier braucht man Kenntnis. Wer Verstand hat, berechne den Zahlenwert des Tieres. Denn es ist die Zahl eines Menschennamens, seine Zahl ist sechshundertsechsundsechzig.

      Ich denke, ich brauche nicht weiter zu lesen, Sie sehen ja jetzt deutlich, in welche Richtung dieses Denken geht, Dr. Morris.“

      „Ja, in der Tat, es handelt sich offensichtlich um eine sehr fundamentalistische Lehre, interessant! Es wäre sicher spannend gewesen, nach Utah zu reisen, auch wenn es sich kaum um eine ernsthafte Spur handeln kann. Aber nun erzählen Sie mir endlich, welche Aufgabe man wirklich für mich vorgesehen hat!“

      „Nur zu gerne. Sie können übrigens diesen Auftrag als ein Privileg betrachten, weil es gar nicht so unwahrscheinlich ist, dass Sie durch ihn eine Chance auf die große Belohnung erhalten. Bei der routinemäßigen Prüfung Ihrer Akte wurde festgestellt, dass Sie seit geraumer Zeit mit Tim Diamond, dem bekannten Privatdetektiv aus New York, befreundet sind.“

      „Freundschaft ist zuviel gesagt!“, stellte Mo sofort klar. Der Name „Tim Diamond“ rasselte wie ein Paukenschlag in seinen Ohren und rief ihm sofort das Bild des Mannes vor Augen, mit dem ihn seit vielen Jahren eine ungewöhnliche Bekanntschaft verband. Sie pendelte ständig zwischen ironischer Sympathie und offener Ablehnung hin und her, was vor allem damit zu erklären war, dass sein eigenes Wesen und das des lauten, groben, von seinem prallen Ego strotzenden Diamond kaum gegensätzlicher sein konnte.

      „Zumindest kennen Sie ihn sehr gut und haben des Öfteren mit ihm zusammengearbeitet. Da auch er zu den zivilen Ermittlungskräften zählt, die derzeit zur Kooperation mit den staatlichen Diensten aufgerufen werden, wurde seine Detektei Diamond Investigations mit der Untersuchung der Internetmanipulationen beauftragt. Weil er über ein besonderes Renommee verfügt, wurde ihm dabei weitestgehend freie Hand gelassen. Interessanterweise mehren sich für uns die Hinweise darauf, dass er sich bereits vor diesem Kooperationsaufruf stark für die Internetmanipulationen interessierte. Vielleicht war einfach die hohe Belohnung der Grund, aber vielleicht verfügte er auch schon früh über besondere Spuren und Informationen, über die wir bis jetzt keine Kenntnis haben.

      Wie dem auch sei, die Sache ist die: Diamond ist seit einiger Zeit verschwunden und seine Sekretärin Betty Cadena kann oder will uns nicht sagen, wo er ist. Hinter seinem Verschwinden könnte sich vielleicht eine wichtige Spur verbergen. Wir überlassen es Ihnen, Miss Cadena näher zu befragen, da sie Sie kennt und Vertrauen zu Ihnen hat. Allerdings wird Jayden Sie begleiten und Ihnen ständig über die Schulter sehen!“

      Das Bild von Tim Diamond, das Mo eben noch vor Augen gehabt hatte, verwandelte sich in das von Betty Cadena; sie war nicht nur Diamonds Sekretärin, sondern auch seine Freundin, und weil sie außerordentlich hübsch war, hatten manche dem ungleichen Paar den Spitznamen „Die Schöne und das Biest“ verpasst. Seine Gedanken drifteten für einen Moment in Erinnerungen ab und wurden erst wieder in die Gegenwart gerufen, als Baker fortfuhr:

      „Falls die Sache mit Diamond im Sande verlaufen sollte, werde ich Sie mit einem neuen Auftrag versorgen. In zwei Wochen wird es eine Versammlung aller zivilen Ermittler in einem großen Hotel in Washington geben, bei dem die allgemeine Erkenntnislage in verschiedenen Arbeitsgruppen besprochen wird. Wenn Sie uns bis dahin irgendwelche Neuigkeiten mitzuteilen haben, wäre das nicht schlecht!“

      „Ich werde mich bemühen, Sir! Wann soll die Arbeit beginnen?“, zeigte Mo sich ohne großes Gerede einsatzbereit und demonstrierte durch seine entschiedene Stimme Tatkraft und Entschlossenheit.

      „Am besten sofort. Nehmen Sie umgehend Kontakt mit Miss Cadena auf. Die Details können Sie mit Jayden besprechen.“

      Der abschließende Klang in Bakers Worten ließ erkennen, dass er bald aufbrechen wollte, weshalb Mo sich beeilte vorzuschlagen:

      „Ihr Kollege kann von mir aus gleich hier bleiben, damit wir alles Weitere besprechen