Benedict Dana

Mo Morris und der Supervirus


Скачать книгу

mit einer passenden Geste besiegeln, nahm er die Pistole zur Hand, die immer noch vor ihm auf dem Couchtisch lag, und ließ sie am Abzug einmal um seinen rechten Zeigefinger kreisen. Allerdings hatte er dabei völlig vergessen, dass Jayden sie geladen hatte. Als sich plötzlich ein Schuss löste und mit einem ohrenbetäubenden Knall in die Decke einschlug, rissen alle die Augen weit auf und waren vor Schreck stumm. Der Putz, der von der Decke rieselte, landete genau auf Dr. Watson, weshalb er mit einem großen Satz vom Sofa sprang und sein Herrchen vorwurfsvoll ankläffte. Währenddessen öffnete sich die Tür und Ruth schaute entsetzt herein. Sie erfasste die Situation mit einem Blick und ließ bloß ihr typisches, scheinbar immerwährendes Kopfschütteln sehen, das Dr. Morris – alias „Inspector Mo“ - während der letzten Jahre schon durch viele kleinere und größere Missgeschicke begleitet hatte…

      2

      Als er seinen Wagen vor dem Tiefgaragentor eines großen Apartmenthauses in Lower Manhattan zum Stehen brachte, wies noch nichts darauf hin, welches Abenteuer ihm bald bevorstehen würde. Er gab den Code für die Tiefgarage ein, den ihm Jayden Miller per Email mitgeteilt hatte, und war nach dem Hochfahren des elektrischen Tores bloß froh, dass er endlich in das kühle Dunkel der unterirdischen Garage einfahren konnte. Die Hitze in dem alten VW war die Hölle für seinen geliebten Hund Dr. Watson, den er nur deshalb mitgenommen hatte, weil sich Mrs. Higgins am Wochenende nicht um ihn kümmern konnte. Als schließlich sein neuer Partner aus einem sich öffnenden Aufzug in die Garage trat, wurde er durch Dr. Watson so lebhaft begrüßt, dass fast seine elegante Hose zerrissen worden wäre. Im Unterschied zu Mos simpler Kleidung, die bloß aus einem T-Shirt und einer Jeans bestand, steckte der FBI-Agent in Hemd und Jackett und wirkte zusammen mit seinem modisch frisierten, lockigen Haar und seinen teuren Lederschuhen, als stünde kein wichtiger Bürotermin, sondern der Besuch in einem feinen Restaurant auf dem Programm. Die melodische Folge lauter Pieptöne, die bei der Betätigung der Fernbedienung für die Zentralverriegelung seines Wagens erklang, verriet, dass er der Besitzer eines bordeauxroten, neu aussehenden Chevrolet Camaros war, der in der hintersten Ecke der Garage parkte und mit vier angeberischen, verchromten Auspuffrohren ausgestattet war. Der teure Wagen und die Lage des Apartments mitten in Manhattan legten die Vermutung nah, dass er der Spross reicher Eltern war.

      Nachdem Mo es endlich geschafft hatte, Dr. Watson dazu zu bewegen, auf die Rückbank zu springen, startete der großvolumige V8-Motor mit ohrenbetäubendem Blubbern und Dröhnen und trieb den Camaro mit quietschenden Reifen aus der Garage hinaus.

      „Park Slope?“, fragte Jayden erstaunt, als Mo ihre Zieladresse in das Navigationsgerät eingab. „Ich dachte, Tim Diamond wäre groß im Geschäft und hätte irgendwo ein schickes Büro in der City.“

      „Er war groß im Geschäft, das schicke Büro musste einer etwas bescheideneren Adresse in Brooklyn weichen. Als ich vor drei Jahren das letzte Mal in seinem Büro war, befand es sich noch in der Upper East Side und er hatte eine ganze Reihe Angestellte für die Kleinarbeit.“

      „Erzähl mir ein bisschen mehr über ihn, was ist er für ein Kerl?“

      „Wie ich schon sagte: Diamond ist ein Typ für sich…“

      Mo entwich ein seltsames, fast etwas irres Lachen, wonach er gleich wieder seine Fassung zurück gewann. „Ich würde fast nicht zögern, ihn als ein Arschloch zu bezeichnen, aber das würde vielleicht etwas zu weit führen. Zumindest wäre es nicht übertrieben, ihn einen Egomanen zu nennen, dem man allerdings zugestehen muss, dass er trotz seiner penetranten Ichbezogenheit und Selbstverliebtheit große Fähigkeiten hat. Bei einem so außergewöhnlichen und extremen Charakter wie ihm ist es wichtig, zwischen der Persönlichkeit und den Fähigkeiten klar zu unterscheiden. Was paradoxerweise für ihn spricht, sind seine Verrücktheiten, in denen sich immerhin noch eine gewisse Originalität und Selbstironie erkennen lässt.

      Zeitweilig hat er mal gesoffen, aber er hat auch immer wieder aufgehört. Wie es sich für einen echten Privatdetektiv gehört, war er natürlich auch ein Weiberheld, aber seit er mit der schönen Betty Cadena zusammen ist, ist das anscheinend Vergangenheit. Sie ist locker 25 Jahre jünger als er und wie man hört, hat sie ihn völlig umgekrempelt.

      Den Namen Diamond verwendet er übrigens, um sein Privatleben zu schützen. Er hat das offiziell durchgekriegt, weil er manchmal mit dem Staat und der Polizei zusammenarbeitet, ähnlich wie ich. Sein echter Nachname ist nicht sehr klingend und lautet Bickelberger.“

      „Wir haben es also mit einem prallen Ego zu tun, das Fähigkeiten besitzt, mit einem Super-Püppchen zusammen ist und inkognito lebt“, fasste Jayden kurz und treffend zusammen.

      „Genauso ist es“, bestätigte Mo lachend. „Hoffentlich ist er vor seinem Verschwinden auf einer heißen Spur gewesen. Dann hätte er für uns bereits eine wertvolle Vorarbeit geleistet. Ich ahne mittlerweile sehr genau, dass uns die Geschichte auf die richtige Fährte führen wird. Außerdem spüre ich, dass Du und Baker mir bezüglich dieses Virus’ noch nicht die ganze Wahrheit gesagt habt. Ich möchte alles erfahren, was du darüber weißt!“

      Sie bewegten sich mittlerweile auf den Brooklyn-Battery-Tunnel zu, der Manhattan an der Mündung des East Rivers in den Hudson mit Brooklyn verband. Es war für sie der schnellste Weg nach Park Slope, wo sie ein sehr entscheidendes Gespräch mit Diamonds Freundin und Mitarbeiterin Betty Cadena zu führen hatten. Wie entscheidend es sein würde, konnte sich Mos feiner Intuition noch nicht ganz erschließen, aber immerhin wusste er, dass es mit Sicherheit folgenreich war.

      Jayden zögerte zunächst mit den Details herauszurücken, die bisher noch unter Geheimhaltung gefallen waren. Doch dann verriet er etwas sehr Entscheidendes:

      „Wie wir bei unserem ersten Gespräch schon festgestellt hatten, gehen die Experten nicht von einem Virus im klassischen Sinn aus. Es handelt sich um eine Hybridform, in der bestimmte Schadcodes die direkte Manipulation von IP-Adressen steuern. Es sieht so aus, als würde das Netz mit Milliarden künstlich generierter IP-Adressen überschwemmt, wodurch die DNS-Server der großen Internetprovider nicht mehr in der Lage sind, Millionen Computern eine korrekte Adresse zuzuweisen. Und in der Folge kommt keine Internetverbindung zustande…“

      Seine Erläuterungen klangen routiniert und fast beiläufig, aber für Mo waren sie bedeutend genug, um ihm spontan ein ungewöhnliches Bild vor Augen zu rufen. Es ließ sich nur schwer mit dem Anblick der vor ihnen fahrenden Autos und Straßenschluchten in Einklang bringen, weil es auf eine rein geistige, surreale Ebene verwies: Es war das abstrakte Bild eines riesigen Computers, der verborgen in einem Versteck in irgendeinem einsamen Erdteil stand und ständig riesige Mengen IP-Adressen ausspuckte; sie umzogen wie Wolken den gesamten Erdball und lähmten den freien Datenaustausch aller Menschen und Nationen.

      Das laute Motordröhnen im Brooklyn-Battery-Tunnel unterbrach ihr Gespräch, und erst als sie die schier endlose Röhre nach 3000 Yards auf der anderen Seite wieder ausgespuckt hatte, war Mo in der Lage zu fragen:

      „Hat es eigentlich vor kurzem neue Störungen gegeben?“

      „Washington ist seit einiger Zeit störungsfrei, aber dafür hat es vor zwei Tagen die ersten Probleme im Großraum von New York gegeben. Anschließend ging eine Geldforderung bei der Regierung ein.“

      „Und warum erfahre ich erst jetzt davon? Ich habe darüber nichts gehört oder gelesen!“

      „Ich habe es selber erst heute Morgen telefonisch durch Baker erfahren“, wies Jayden den Vorwurf mit gutem Grund zurück. „Man versucht, das Problem aus dem öffentlichen Bewusstsein fernzuhalten, indem man den Medien Anweisung gibt, möglichst nicht über die Sache zu berichten. Im Pentagon und bei den Geheimdiensten kursiert inzwischen die Theorie, dass es den Erpressern möglicherweise nicht primär um das Geld geht. Es könnte sich um ein Täuschungsmanöver handeln, um von ihren wahren Absichten abzulenken und Zeit für die Perfektionierung ihrer Manipulationstechnologie zu gewinnen. Wenn es stimmt, wären alle bisherigen Störungen nur so etwas wie ein großer Feldversuch, ein gigantisches Experiment, um das Potential dieser Technologie zu testen und zu einer mächtigen Geheimwaffe weiterzuentwickeln. Es ist wie gesagt nur eine Theorie, aber kommt dir dazu vielleicht irgendeine