Ana Marna

Spurensucher


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stieß er heraus. „Wirst du dann etwa mein Schwiegervater?“

      „Davon solltest du ausgehen.“ Tuckers Lächeln war jetzt eindeutig spöttisch.

      „Fuck“, wiederholte Connor. „Weiß sie davon?“

      „Natürlich, sie musste dem ja zustimmen.“

      Warum hatte Ro ihm nichts davon erzählt? Warum war er nicht gefragt worden?

      „Trag’s mit Fassung“, schlug Tucker vor. „Ich musste das tun. Schon allein, um sie vor diversen Ämtern zu schützen. Und da ich nun mal die Verantwortung für sie übernommen habe, war es auch meine Entscheidung. Und Ediths natürlich.“ Ein Schatten huschte kurz über sein Gesicht. „Ich habe Aurora nahegelegt, dir nichts davon zu sagen, da das meine Aufgabe ist. Ich bin erfreut, dass sie sich daran gehalten hat.“

      Connor verschluckte ein unmutiges Knurren. Ihn erfreute das keineswegs. Aber er konnte Ro natürlich verstehen. Tucker duldete es nicht, wenn jemand sich nicht an seine Anweisungen hielt, und Ro musste schließlich noch etliche Monate bei ihm wohnen.

      „Wirst du Auroras Vater suchen?“, kam Tucker wieder auf das Anfangsthema zurück.

      Connor nickte. Vermutlich würde Bryan ihn sowieso irgendwann damit beauftragen. Solche Suchen hatten nie oberste Priorität, doch wurden sie in ruhigeren Zeiten gerne aufgegriffen, um die Ranger zu beschäftigen. Und da Ro zu ihm gehörte, war es naheliegend, ihn zu schicken. Gefallen tat ihm das Ganze nicht. Sicher, vielleicht hatte Ro Glück und ihr Erzeuger war völlig ahnungslos von ihrer Existenz und ein netter Kerl. Doch ihre Mutter hatte eher abwertende Bemerkungen über ihn fallen lassen. Daran konnte Ro sich noch erinnern. Die Chance, dass ihr Vater einer von den Guten war, erschien daher gering. Sie selbst äußerte nie den Wunsch, etwas über ihn herauszufinden. Vermutlich hatte sie Angst, enttäuscht zu werden. Doch darauf nahmen Leitwölfe nun mal keine Rücksicht. Und ein Tucker O’Brian, geschweige denn Chief Bryan, sowieso nicht. Oberste Priorität hatte bei ihnen die Sicherheit der Wölfe und nicht die Befindlichkeit eines pubertierenden Teenagers.

      „Unter einer Bedingung“, schob Connor nach.

      Tucker hob fragend die Augenbrauen.

      „Wenn sich rausstellt, dass ihr Vater ein Scheißkerl ist, darf Ro es nicht erfahren, außer sie äußert selbst den Wunsch.“

      „Hm.“ Der Leitwolf überlegte kurz. „Von meiner Seite aus geht das in Ordnung. Den Chief musst du selbst fragen.“

      Damit war es wohl beschlossene Sache.

       *

      Aurora liebte es sichtlich, an Connors Arm durch Barnshire zu schlendern. Und er genoss ihre Nähe. Er warf ihr nicht vor, dass sie ihm nichts von der Adoption erzählt hatte. Schließlich hatte Tucker es von ihr verlangt. Auf seine Frage, ob sie sich damit denn wohlfühlte, hob sie die Schultern.

      „Es ist okay. Edith ist tatsächlich wie eine Mutter für mich. Und Tucker ... na ja. Ich habe ihm klar gesagt, dass ich in ihm nicht einen Vater, sondern einen Gefangenenwärter sehe. Das war anscheinend okay für ihn. Er hat mir vorgeschlagen, mein Zimmerfenster mit Gittern zu versehen, damit es authentischer ist.“

      Connor musste lachen. Das war mal wieder typisch. Für beide.

      Damit war das unangenehmste Thema wohl erledigt und sie genossen ihren ersten gemeinsamen Nachmittag zu zweit.

      Sie besuchten nur wenige Geschäfte, wo Ro sich eine neue Jeans und Turnschuhe kaufte. Danach gingen sie ins Kino und Essen. Für mehr war keine Zeit. Aber es war mehr, als sie bisher gehabt hatten.

       *

      Eine seltsame Stimmung lag über Dark Moon Creek, als Connor und Aurora um kurz vor sechs am Abend ankamen.

      Trauer lag in der Luft. Ros gute Laune verflog mit einem Schlag.

      „Edith“, flüsterte sie. „Bestimmt ist irgendetwas mit ihr.“

      Sie rannte auf Tuckers Haus zu und stürmte hinein. Connor folgte ihr mit langen Schritten. Niemand war auf den Wegen zu sehen. Das Dorf wirkte wie ausgestorben.

      Als er das Haus betrat, roch er sofort den typischen Geruch eines Sterbenden.

      Und Tuckers Pein.

      Edith O’Brian saß auf ihrer Lieblingscouch neben ihrem Mann und hatte den Kopf in seine Achselhöhle gebettet. Der Leitwolf hielt sie so sanft und liebevoll in den Armen, dass es Connor die Kehle zuschnürte.

      Aurora hatte sich von der anderen Seite an Edith gekuschelt und ihr Gesicht in dem Schoß der alten Frau vergraben. Ihr zuckender Körper verriet, dass sie weinte.

      Edith sah ihm mit einem sanften Lächeln entgegen. Ihre sonst so strahlend blauen Augen waren trüb und ihr runzliges Gesicht wirkte grau und eingefallen.

      „Hallo Connor“, flüsterte sie. „Gut, dass ich dich noch zu sehen bekomme. Ich wollte dir noch etwas mit auf den Weg geben.“

      Sie winkte ihn mit einer schwachen Bewegung näher.

      Wie selbstverständlich kniete er vor ihr nieder.

      „Mein Sohn.“ Sie hob den Arm und berührte seine Stirn. „Ich hätte es gerne erlebt, dass du und Ro heiratet und danach glücklich werdet. Denn das werdet ihr, davon bin ich überzeugt. Zweifle nie daran. Ich weiß, du machst dir große Sorgen um unsere kleine Ro, aber das musst du nicht. Sie hat einen starken Willen, aber ein gutes Herz. Und solange ihr zwei zusammenhaltet, werdet ihr jede Schwierigkeit meistern. Und sei ein wenig geduldig mit Tucker. In seinen Bemühungen, alles richtig zu machen, schießt er manchmal übers Ziel hinaus.“

      Tucker entglitt ein leises Schnaufen und er küsste sanft Ediths Stirn. Diese lachte leise und zwinkerte Connor zu.

      „Er ist ein guter Ehemann. Er hört ab und zu auch auf seine Frau. Ich hoffe, das wirst du auch tun.“

      „Das werde ich, Edith. Ganz bestimmt.“ Seine Stimme war ungewohnt kratzig.

      „Gut, mein Sohn.“

      Sie strich sanft über Auroras braunen Haarschopf.

      „Mein Kind. Geh mit Connor. Du kennst doch meine Lieblingsstelle im Garten, nicht wahr?“

      Ro hob den Kopf und nickte mit tränenverquollenem Gesicht.

      „Geht dorthin und betet für meine Seele. Ich möchte mit meinem Lieblingswolf noch ein wenig alleine sein.“

      „Ich ... ich werde dich so sehr vermissen“, flüsterte Ro.

      „Ich weiß. Aber so ist nun mal der Lauf der Welt. Jedes Leben endet einmal und meines war ein schönes, für das ich sehr dankbar bin. Ich hatte einen wunderbaren Ehemann, durfte unzählige wunderbare Kinder großziehen und genoss eine aufregende und spannende Zeit. Mehr kann man doch nicht erwarten, oder?“

      Aurora schluchzte auf, erhob sich aber.

      Connor zog sie an sich und führte sie nach draußen. Ein letzter Blick zurück zeigte ihm, wie die Sterbende ihre Arme um Tuckers Hals schlang und seinen Kopf zu sich herunterzog.

      Sie gingen zum Garten und setzten sich unter eine alte Eiche.

      Aurora rollte sich auf seinem Schoß zusammen und ließ ihrer Trauer freien Lauf.

      Als nach einer halben Stunde ein lautes Klageheulen die Luft durchschnitt, drängte Connor nur mühsam die Tränen zurück. Sekunden später fielen die Dorfbewohner in das Klagegeheul mit ein.

      Alle trauerten um Edith O’Brian. Ausnahmslos.

       Ranger Zentrale, Minnesota

      Chief Bryan wirkte skeptisch.

      Das war schon mal ein schlechtes Zeichen. Connor starrte bemüht lässig auf den breiten Brustkasten, der sich vor ihm aufgebaut hatte. Dem Rudelführer der Minnesota-Ranger in die Augen zu blicken, war nie