Ana Marna

Spurensucher


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Hackordnung ganz oben rangierte. Kian stand offenbar an zweiter Stelle, Roland an letzter. Reece und die beiden anderen, Finn und Scott, lagen irgendwo dazwischen.

      Liam schob sich herum, so dass sie wieder unten lag.

      „Reece holt dich ab“, brummte er, während er sich weiter in ihr bewegte. „Zieh irgendwas Hübsches an. Ein Kleid oder sowas.“

      „Ich besitze kein Kleid. Also musst du dir jemand anderen suchen.“

      Sie schlang die Arme um den breiten Hals und zog seinen Kopf nach unten, bis er zwischen ihren Brüsten lag. Er stieß ein unwilliges Brummen aus und rieb das Gesicht an ihr.

      „Es gibt niemand anderen. Aber du hast ja noch einen Tag Zeit und kannst eins kaufen!“

      „Liam!“ Sie versuchte, ihn weg zu stemmen. „Ich trage keine Kleider. Das sieht bescheuert aus und ich kann mich darin überhaupt nicht richtig bewegen.“

      Er hob den Kopf und grinste sie an.

      „Okay, dann gehen wir zwei morgen früh shoppen. Das will ich sehen!“

      Ihr Protest prallte an ihm ab und schien ihn nur zu amüsieren. Schließlich gab sie entnervt auf. Nur mit Grausen dachte sie an den morgigen Tag.

      Kleider waren das Allerletzte!

       *

      Er machte seine Drohung tatsächlich wahr. Nach dem Frühstück schleifte er sie in das nächstbeste Bekleidungsgeschäft und zwang sie dazu, ein Kleid nach dem anderen anzuprobieren, bis er sie mit einem zufriedenen Ausdruck betrachtete.

      Raven war eher skeptisch. Das grüne Kleid, das sie trug, war enganliegend, sehr gewagt ausgeschnitten und wirkte in ihren Augen eher nuttig. Liam aber war zufrieden.

      „Hervorragend“, entschied er. „Das passt!“

      Als sie das Geschäft verließen, war zumindest Ravens Laune auf dem Tiefpunkt.

      „Verrat mir wenigstens, was ich tun soll“, forderte sie.

      „Ablenken.“

      „Na super, und wobei?“

      „Wir schnappen uns eine Zielperson und du lenkst derweil alle ab.“

      „Und wie bitte schön soll ich das tun? Und wo überhaupt?“

      „Im Sweet Dating House.“

      „Wo?“

      Er wiederholte seine Aussage, was Raven nicht wirklich weiterbrachte.

      „Und was ist das für ein Haus?“

      „Ein Puff.“

      „Ich soll in einen Puff? Seid ihr noch ganz dicht?“

      Ravens Stimme schraubte sich empört in die Höhe.

      Liam schubste sie in seinen Wagen. Als er sich auf den Fahrersitz schob, grinste er sie an.

      „Süße, du sollst da nicht arbeiten, sondern sie ablenken, damit wir ungestört unseren Job erledigen können.“

      Er startete den Wagen und fuhr los.

      Nach fünf Minuten meinte Raven: „Stopp. Halt sofort an!“

      Er gehorchte tatsächlich und fuhr den Wagen an die Seite.

      Raven hielt ihm die Hand hin.

      „Geld“, verlangte sie. Er starrte erst auf ihre Handfläche, dann in ihr Gesicht.

      „Was?“

      „Ich soll in einen Puff, dafür brauche ich Knete.“

      Nach kurzem Zögern zog er tatsächlich ein Portemonnaie hervor und drückte ihr fünfzig Dollar in die Hand.

      „Reicht das?“, knurrte er säuerlich.

      „Vielleicht, warte hier!“

      Sie stieg aus und sah zu ihren Hunden.

      „Ihr wartet auch.“

      Dann drehte sie sich um und ging auf einen kleinen Supermarkt zu.

      Zwanzig Minuten später kletterte sie mit einer Tüte in der Hand wieder auf den Beifahrersitz und klatschte das Restgeld auf die Armatur.

      „Okay. Wann gehts los?“

      „Reece holt dich um achtzehn Uhr ab“, brummte Liam und fuhr los. Sein Blick ruhte kurz auf der Tüte, aber er konnte weder sehen noch riechen, was Raven eingekauft hatte. Er nahm es hin. In wenigen Stunden würde er es sowieso erfahren.

       *

      Am Abend stand Raven in ihrem neuen grünen Kleid zwischen den Männern und versuchte, die anzüglichen Bemerkungen zu ignorieren. Alle hatten sie fassungslos angesehen, als sie sie zu Gesicht bekamen.

      Zum ersten Mal sahen sie Raven geschminkt. Und zwar intensiv. Außerdem waren ihre schwarzen Haare streng nach oben zu einem Dutt gesteckt.

      Noch ungewohnter waren die hochhackigen Schuhe.

      Doch die Männer fingen sich schnell und bekundeten sofort auf die ihnen übliche direkte Art Interesse. Nachdem Raven zum hundertsten Mal Hände weggestoßen hatte, die sich unter ihren Rock schieben wollten, fauchte sie Liam wütend an.

      „Sag ihnen, dass sie das lassen sollen, oder ihr seht mich nie wieder!“

      Er grinste nur und nickte den Männern zu.

      „Ihr habt’s gehört. Reißt euch zusammen. Also gut. Wir gehen folgendermaßen vor.“

      In kurzen Zügen erläuterte er seinen Plan. Raven, die immer noch nicht so richtig wusste, um was es überhaupt ging, trat ungeduldig von einem Fuß auf den andern.

      Sie befanden sich in der Innenstadt von Jackson Mississippi hinter einem großen Gebäude. Die Männer waren ganz in Schwarz gekleidet.

      Immerhin sah sie keine Waffen, was aber nicht viel heißen musste. Inzwischen wusste sie, dass diese Kerle Meister darin waren, selbst große Gerätschaften am Körper unterzubringen, ohne dass man sie wahrnehmen konnte.

      Liam sah sie an.

      „Du gehst in die Lobby und lenkst die Aufmerksamkeit auf dich.“

      „Jaja, das weiß ich ja schon. Und wann soll ich loslegen?“

      „Punkt einundzwanzig Uhr dreiundzwanzig.“

      Raven blinzelte ihn irritiert an.

      „Soll das jetzt ein Witz sein?“

      „Nein, ist es nicht. Uhrenvergleich!“

      Er scherzte tatsächlich nicht, das las sie in seinem Gesicht.

      Raven verdrehte die Augen, stellte ihre Armbanduhr aber nach Liams Vorgaben und kam sich dabei vor, wie in einem schlechten Spionagefilm.

      Dann griff sie nach der Tüte und pfiff Jazz an ihre Seite. Mit nur einem Hund fühlte sie sich zwar irgendwie unvollständig, doch sie hatte den ganzen Tag über ihre Strategie nachgedacht. Drei große Hunde in ein Bordell zu schleppen war sicherlich nicht klug. Einer war schon auffällig genug. Und Jazz war von ihren drei Freunden der am wenigsten Furcht einflößende.

      Also hatte sie schweren Herzens Hades und Azok zu Hause gelassen.

      Kaum war sie um die Ecke gebogen, da zog sie aus der Tüte eine Flasche und öffnete sie. Nach einer kurzen Geruchsprobe verzog sie das Gesicht. Dann kippte sie sich einen kleinen Schwapp in den Ausschnitt und verrieb ihn. Anschließend nahm sie einen Schluck in den Mund, spülte ihn hin und her und spuckte ihn auf den Bürgersteig.

      Während sie in Richtung des Puffs ging, veränderte sich ihr Gang. Aus dem unsicheren Gestöckel wurde ein schwankendes. Als sie an einem Obdachlosen vorbeikam, drückte sie ihm die Flasche in die Hand und schwankte weiter. Zwischendurch blickte sie auf die Uhr und wurde etwas flotter. Dann erreichte sie ihr Ziel und holte tief Luft. Ein verstohlener