Sabine Hentschel

Kind der Drachen - Vergangenheit oder Zukunft?


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ihren Klauen und hob mich in die Lüfte. Trease und Isma ließen kleine Wolken vor uns erscheinen, durch die sie hindurchflog. Dann drehte sie ein paar Pirouetten. Alles, um mich abzulenken. Ich schmunzelte. Das war einfach süß von ihr.

      Einen Moment später ließ sie mich in der Luft los, ich verwandelte mich und flog ihr hinterher. Immer tiefer und knapper über der Meeresoberfläche. Das Wasser spritzte, als sie es mit den Klauen berührte.

      »Zephus!«, rief ich, als mich ein ganzer Wasserschwall erwischte. Sie lachte laut, als sie es bemerkte.

      Ich schüttelte erbost den Kopf. Zephus bewegte sich daraufhin spiralförmig durch die Luft nach oben und ließ sich von dort nach unten ins Wasser fallen. Es spritzte tierisch. Trease, Isma und ich konnten uns geradeso in Sicherheit bringen.

      Ein paar Minuten später gesellten sich Tara, Niel, Kira und Osiris zu uns. Sie hatten das laute Platschen von Zephus gehört und kamen, um nachzusehen, was los war. Als ihnen klar wurde, was passiert war, stürzten sich die Vier mit Zephus erneut in den Himmel und ließen sich bis kurz über die Wasseroberfläche fallen. Sie hatten sichtlich Spaß dabei. So viel wie seit Langem nicht mehr.

      Nur Danny und Elen blieben gemeinsam mit Chris und Varush an Land zurück. Varush war sichtlich enttäuscht, dass er nicht mit uns fliegen konnte. Wie gern hätte er wohl den Blödsinn mitgemacht. Elen versuchte ihn aufzumuntern, während Danny mit Chris über irgendetwas diskutierte. Ich nehme an, es ging um ihren Vater Daamien. Denn so wie sie die Mimik verzog, schien sie nicht sonderlich von Dannys Ideen begeistert. Lediglich von Le war weit und breit nichts zu sehen.

      Kira nutzte die Gunst der Stunde und schlich sich von hinten an Danny heran. Dann packte sie ihn und zog ihn hinunter ins Wasser. Als er aus dem Meer wiederauftauchte, schrie er ihr hinterher: »Na Warte. Ich krieg dich.«, Dann verwandelte er sich und folgte ihr. Während Tara ihr zur Hilfe eilte, kamen Niel und Osiris überein, dass sie Danny beistehen sollten. So kam es, dass Tara plötzlich samt Osiris im Wasser landete und Kira sich in den Wolken versteckte. Ich hatte mich unterdessen zu Zephus zurückgezogen und saß auf ihrem Rücken, von wo aus ich die Szenerie betrachtete. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass Niel mich ebenfalls in die Geschichte involvieren wollte. Er schlich sich von hinten an mich heran und riss mich von Zephus’ Rücken herunter. Im Flug gab er mir einen flüchtigen Kuss. In Gedanken war ich bereits davon ausgegangen, dass auch wir gleich im Wasser landen würden, aber Niel fing uns kurz davor ab und flog wieder nach oben.

      Er lächelte mich überglücklich an: »So könnte es jeden Tag sein. Für den Rest unseres Lebens!« Ich küsste ihn sanft auf dem Mund und biss ihm dabei vorsichtig in die Lippe. Als ich mich wieder von seinen Lippen löste, wollte ich noch etwas sagen, aber plötzlich schrie Danny uns von Weitem zu: »Deckung!«

      Als ich mich umdrehte, sah ich, wie eine kleine Propellermaschine um Haaresbreite an Zephus vorbeiflog.

      »Runter!«, schrie Niel und packte mich am Arm. Wir landeten etwas unsanft auf einem der Türme neben Tara und Osiris. Elen, Varush und Chris standen noch immer auf der Mauer. Sie bemerkten erst in diesem Moment, dass etwas nicht stimmte und eilten zu uns.

      »Wo ist Kira?«, rief Osiris in die Runde.

      Ich blickte mich suchend um. Einen Augenblick glaubte ich, dass ihr etwas passiert sei, aber Niel entdeckte sie.

      »Da oben!«, sagte er. »Sie ist bei Zephus!«

      Ich flog auf direktem Weg zu ihnen, ohne eine Reaktion

      der anderen abzuwarten. Osiris schrie mir hinterher: »Bleib hier!«

      Während Niel ihn beruhigte: »Lass sie.«

      Zephus stand quasi in der Luft. Ich konnte ihr Herz bereits von Weitem schnell und unregelmäßig schlagen hören. Sie hatte einen riesen Schreck bekommen. Trease und Isma errichteten sofort eine dicke Wolkenmauer um die Insel in der Hoffnung, dass sie das Flugzeug abwehren würde. Woher kam dieses Flugzeug? Hatte Garushin meinen Plan durchschaut? Hatten sie uns gesehen? Wir warteten eine gefühlte Ewigkeit. Doch es geschah nichts. Allmählich machte sich eine tiefe Unruhe in uns allen breit.

      »Es scheint nicht wiederzukommen.«, sagte ich zu Zephus, Danny und Kira gewandt.

      »Konntest du etwas sehen? Oder jemand erkennen?«, fragte Danny Zephus daraufhin. Aber diese schüttelte den Kopf.

      »Das heißt, wir können nur abwarten, was Trease und Isma sagen.«, antwortete Kira für sie.

      »Was ist, wenn sie uns entdeckt haben?«, sagte ich mit zitternder Stimme. Das Adrenalin pumpte durch meine Adern. Ich hatte nur noch einen Gedanken: Was machen wir jetzt?

      Kira versuchte, mich zu beruhigen: »Noch wissen wir ja nicht, wer es war.«

      Danny grummelte vor sich hin: »Was zum Teufel dauert das solange.« Eine Minute später kamen Trease und Isma zu uns zurück. Der Schreck stand ihnen ins Gesicht geschrieben. Sie waren genauso überrumpelt wie wir.

      »Trease? Hast du etwas erkennen können.«, fragte ich sie rasch.

      Aber Trease wusste scheinbar nicht so recht, was sie sagen sollte. Sie zögerte und stupste Isma mit dem Elenbogen an, als wollte sie sagen, mach du das.

      »Trease!«, rief Zephus streng.

      Woraufhin allerdings Isma antwortete: »Ich habe nicht viel sehen können. Aber es war definitiv eine Maschine mit dem Siegel der königlichen Familie. Wahrscheinlich ein Versorgungsflieger mit Nachschub für die Insel.«

      »Das heißt, sie wissen jetzt, dass wir hier sind!«, fügte Danny besorgt an.

      »Was machen wir jetzt?«, fragte Isma in die Runde und plötzlich waren alle Blicke auf mich gerichtet. Was sollten wir nun tun?

       Die Welt erwacht aus ihrer Starre.

       (Daamien)

      Das Gewitter zieht herauf

      Garushin verließ noch am Abend der geplanten Hochzeit Schloss Hluboka. In seiner unbändigen Wut hatte er die gesamte Kirche in Schutt und Asche gelegt. Caras kleines Schachspiel und ihre heimliche Flucht, hatten tatsächlich eine uralte, tiefsitzende Wut in ihm geweckt. Ein Schmerz, der mit dem Tod seines Sohnes Siron vor all den Jahren begann und schon einmal einen Drachen hart zu Boden gezwungen hatte. Er würde sie nicht gewinnen lassen. Um keinen Preis würde dieses Drachenkind ihn bezwingen.

      Um die Suche nach den Verrätern Cara, Daamien und Partu besser koordinieren zu können, flog er noch in der Nacht zusammen mit Wara, Tamilia und Marces zurück nach Südafrika in ihr Hauptquartier. Er wusste, dass er die ganze Sache so schnell wie möglich beenden musste, bevor die anderen, untreuen Unsterblichen Wind von der Sache bekamen und begannen sich ihr anzuschließen.

      Als sie am nächsten Morgen in den Luftraum von Südafrika eindrangen, dachte er wehmütig zurück an die guten alten Zeiten: Sie besaßen einst ein schönes und ruhiges Anwesen in der Provence. Alles war perfekt. Die anderen Unsterblichen hatten sich in ihrer Sorge, den Menschen zu Schaden, so weit wie möglich von diesen zurückgezogen, dass Garushin der einzige war, der in ihrer Nähe blieb. Die Menschen hatten ihn bewundert. Für seine Kraft. Für seine Intelligenz. Er war ein Mann von Welt – ein Vorbild. In jenen Tagen hatte er alles, was man sich wünschen konnte: Macht. Geld. Eine Familie. Eine wunderschöne Tochter und zwei vor Kraft strotzende Söhne, die ihm gehorchten und seinem Willen folgten. Aber dann kam das Jahr, indem Siron, sein ältester Sohn, nicht mehr die zweite Geige spielen wollte. Siron suchte nach mehr. Seine Gier nach Macht und Anerkennung verwandelte sich in blinde Zerstörungswut. Aus den einst so friedlichen Tagen entstanden durch Sirons Taten flächendeckende Unruhen. Siron und seine Männer zogen von Dorf zu Dorf, töteten Frauen und Kinder, setzten die Häuser in Brand und schoben es den Drachen in die Schuhe. Es ging Jahre lang drunter und drüber, bis sich die Drachen entschlossen, Siron Einhalt zu gebieten. Der König der Drachen, Dakoon, beendete das Leid der Menschen, indem er Siron tötete.

      Aber mit dem Tod von Siron wurde eine viel düstere Macht in die Welt hineingeboren, ein stetig wachsender Wunsch nach Vergeltung,