Gabriele Beyerlein

Es war in Berlin


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Kein Mensch kann sich vorstellen, dass eine junge Dame aus freien Stücken eine Partie ausschlägt wie diese – einen Hauptmann des Königin-Elisabeth-Garde-Grenadier-Regiments mit hervorragenden Aufstiegschancen, einen Spross aus bester Familie, der dir die Tore zur Hofgesellschaft weit geöffnet hätte! Wenn du, aus welchen Gründen auch immer – ich muss ja nicht alles verstehen – den Hauptmann nun einmal abgewiesen hast, so ist das ein Grund mehr, dass du dich unbefangen in der Öffentlichkeit präsentierst. An einem Tag wie heute gibt es keinen besseren Ort dafür als den Zoologischen Garten. Dein Vater hat einen Tisch reservieren lassen.«

      Und dann mit einem feinen Lächeln: »Wer weiß, was sich daraus ergibt. Zum Glück kann sich ja jeder ausrechnen, dass eine gute Mitgift auf dich wartet. Mag sein, es hat deinen Wert sogar gesteigert, dass du Hauptmann von Klaasen einen Korb gegeben hast. Es gibt dir ja in gewisser Weise etwas Interessantes, einen so begehrten Heiratskandidaten abgewiesen zu haben. Den einen oder anderen möglichen Freier wird es natürlich abschrecken, er wird sich sagen, mit Hauptmann von Klaasen könne er nicht mithalten, und wird sich von vornherein keine Chancen ausrechnen. Aber einen wirklich Großen mag es gerade auf dich aufmerksam machen.«

      Margarethe hatte sich abgewandt, weil sie nicht gewusst hatte, wie sie sonst die Welle von Hass verbergen sollte, die auf einmal in ihr aufgestiegen war.

      Wie die Mutter darüber sprach – als sei sie ein Reitpferd, das zur Versteigerung geführt werden sollte! Kein Wort des Verständnisses für den inneren Kampf, den sie diese Entscheidung gekostet hatte.

      Da wurde immer von Liebe als dem Wichtigsten im Leben einer Frau geredet und von der Stimme des Herzens – und wenn man dieser Stimme folgte und ohne Liebe nicht heiraten wollte, wurde man behandelt wie eine Idiotin. Dabei war es das Aufrichtigste, was sie je in ihrem Leben getan hatte.

      Sie wollte sich und dem Hauptmann nicht Gefühle vorgaukeln, die sie nicht hatte, und dann eines Tages wie Nora sagen müssen: Ich liebe dich nicht mehr, deshalb verlasse ich dich. War es da nicht viel redlicher, zu sagen: Ich liebe Sie nicht, deshalb kann ich Sie nicht heiraten?

      So hatte sie es natürlich nicht gesagt. Sie hatte ihn schonen wollen. Und hatte ihn doch verletzt.

      Wieder und wieder ging sie die Szene durch. Seine wohlgesetzten Worte, die so hölzern dahergekommen waren, dass man wohl gespürt hatte, er hatte sie sorgfältig einstudiert. Hätte sie da nicht schon eine Antwort finden müssen, in seine Rede eingreifen, sich und ihm das Peinlichste ersparen? Warum war sie so stumm gewesen, hatte wie paralysiert auf dem Sofa gesessen, statt geistesgegenwärtig die Situation zu retten? Sie hatte es stattdessen so weit kommen lassen, dass er vor ihr niedergekniet war.

      Welche schlechten Bücher schrieben vor, dass ein Mann in dieser Situation zu knien habe? Hatte niemand daran gedacht, wie es die Würde eines Mannes beleidigen musste, umsonst gekniet zu haben? Oder sollte es die Dame völlig hilflos machen, sodass ihr ein Nein unmöglich würde?

      Sein Niederknien hatte sie stattdessen aus ihrer Erstarrung wachgerüttelt. »Um Himmels willen, Herr Hauptmann, erheben Sie sich!«, hatte sie ausgerufen. »Ich bin es nicht wert, dass Sie vor mir knien!« Und dann hatte sie nach Worten gesucht, die nicht verletzend waren, und doch gewusst, dass es diese Worte nicht gab. Schließlich hatte sie begonnen, von Nora zu reden und davon, wie ihr bei dem Stück bewusst geworden sei, dass sie erst einmal sich selbst finden müsse, ehe sie sich einem anderen geben könne, geben dürfe.

      Er hatte sie nicht verstanden. Er hatte nur das Nein gehört. Sein Abschied war überstürzt und kalt gewesen. Seither hatte sie ihn nicht wiedergesehen.

      Sie war froh darum.

      Aber der Augenblick würde kommen, musste kommen, an dem sie wieder mit ihm zu sprechen hatte. Die Kreise der Familien von Zug und von Klaasen überschnitten sich zu sehr, als dass ein Ausweichen möglich gewesen wäre. Und nun auch noch der Zoologische Garten!

      Mit den Eltern saß sie am blendend weiß gedeckten Tisch auf der Terrasse des Restaurants mit Blick über den Neptunteich und zuckte bei jeder Uniform eines Garde-Grenadiers zusammen, die sie im Gewühl der Menge entdeckte, welche sich auf der Lästerallee hin und her schob. Würde es ihr gelingen, Hauptmann von Klaasen mit selbstverständlicher Freundlichkeit die Hand zum Kuss zu reichen, wenn sie ihm hier begegnete? Und – würde er sie überhaupt grüßen?

      »Frau General von Klaasen! Herr General!« Der Vater war aufgestanden und machte eine weit einladende Geste auf ihren Tisch hin, an dem zu allem Übel noch zwei freie Sessel standen. »Wollen Sie sich nicht zu uns setzen?«

      Margarethes Puls schoss in die Höhe. Ein rascher Blick – nein, der Hauptmann begleitete seine Eltern nicht. Dennoch: Auch diesen zu begegnen war ihr unangenehm genug. Sie waren zweifellos in die Heiratspläne ihres Sohns eingeweiht gewesen. Wie stand sie nun vor ihnen da!

      Sie lächelte mit verzweifelter Höflichkeit, machte einen Knicks vor der Generalin, reichte dem General die Hand zum Kuss. Aufgesetzt heiter beteiligte sie sich an den Floskeln der Gesprächseröffnung, doch bald verstummte sie. Der Vater diskutierte mit dem General über die im Reichstag zur Abstimmung anstehende Umsturzvorlage und erregte sich über die Bestrebungen des Zentrums, diesen gegen anarchistische Attentate und die Umtriebe der Sozialdemokraten – gegen Aufreizung zu Klassenhass, Verächtlichmachung des Staates, öffentliche Angriffe auf Ehe, Familie und Eigentum und gegen Aufforderung zur Begehung strafbarer Handlungen – gerichteten Gesetzentwurf für seine katholischen Zwecke zu missbrauchen, indem es auch Angriffe auf die christliche Religion und Kirche unter verschärfte Strafen gestellt sehen wollte.

      Die Mutter verwickelte die Generalin in ein Gespräch über die Planung des Wohltätigkeitsfestes. Bemüht unauffällig beobachtete Margarethe die Frau des Generals. War diese bei der Begrüßung nicht mehr als kühl zu ihr gewesen? Schon fühlte sie sich schuldig. Von allen alten Damen, die im Haus der Eltern verkehrten, war ihr diese die liebste. War die Generalin nun ernstlich gekränkt?

      »Wie weit ist denn Ihr Kostüm gediehen, Margarethe?«, fragte die Generalin unvermittelt und sah sie an.

      »Oh nein, ich dachte«, sie kam ins Stocken, setzte neu an: »Ich habe nicht damit gerechnet, dass diese Theateraufführung stattfinden sollte, jetzt, in dieser Besetzung.« Sie spürte, wie ihr Kopf heiß wurde.

      »Mein liebes Kind«, Frau von Klaasen tätschelte ihr die Hand, »gerade jetzt, gerade in dieser Besetzung! Alle Damen des Wohltätigkeitsvereins waren immerhin schon in die Planung dieses Stückes eingeweiht. Sie werden sich den Mund zerreißen, wenn wir das jetzt zurückziehen. Wir wollen doch unsere Familienangelegenheiten nicht in die Öffentlichkeit zerren, nicht wahr? Auch wenn es mir wirklich leidtut, dass dies nun die Angelegenheiten von zwei Familien bleiben. Ich hätte mich gefreut, Sie zur Schwiegertochter zu haben. Aber ich rechne es Ihnen hoch an, dass Sie nicht dem Kalkül gefolgt sind, eine glänzende Partie zu machen, sondern Ihrem Herzen. Das Herz schaut nun einmal nicht auf Rang und Namen. Das Herz ist ein eigen Ding. Bleiben Sie sich treu, Margarethe.«

      Wärme stieg in ihr auf, Erleichterung und eine tiefe Traurigkeit. Wie schön wäre es gewesen, wenn es anders gewesen wäre, wenn Sie zu dieser Frau »Mutter« hätte sagen dürfen! »Ich danke Ihnen für Ihr Verständnis«, sagte sie leise, »ich danke Ihnen so sehr!«

      »… und dann bilden sie sich auch noch ein, wenn sie die Absolution erhalten hätten, wäre alles wieder gut!«, erregte sich der Vater im Gespräch mit dem General über die Katholiken der Zentrumspartei.

      Margarethe saß still.

      Unendlich erleichtert beteiligte sie sich bald an dem Gespräch über die Planung des Wohltätigkeitsfestes und versprach, sich unverzüglich um das Kleid zu kümmern. Selbst die Vorstellung, mit Hauptmann von Klaasen gemeinsam auf der Bühne zu stehen, erschien ihr auf einmal möglich. So erleichtert fühlte sie sich, dass sie nichts mehr schrecken konnte. Sie würde die Kränkung durch Freundlichkeit wettmachen.

      »Nun, dann steht ja dem Erfolg unseres Wohltätigkeitsfestes nichts mehr im Wege«, meinte die Generalin abschließend, als Margarethes Vater schließlich zum Aufbruch drängte. »Dann können wir bei unserer Mittelvergabe im Sommer vielleicht auch ihre Protegée berücksichtigen, Margarethe. Wie hieß doch diese