Dr. Hanspeter Hemgesberg

Erkrankungen im Bewegungsapparat


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werden.

      Schmerz ist nicht gleich Schmerz!

      Vielmehr wird Schmerz in seinem Ausmaß (Intensität) und seiner Andauer subjektiv empfunden und erlebt.

      Das nennt man Schmerz-Erleben.

      Nach Dr. Gerhard Opitz (Orthopäde und Schmerzmediziner, München) ist Schmerzerleben gekennzeichnet durch individuelle und mehr-dimensionale Faktoren (diese sollten unbedingt bei jeder Schmerz-Therapie gekannt und berücksichtigt werden!).

      Schlüsselworte sind dabei u.a.

      Rational-Kognitive und Emotional-Affektive Schmerzkomponenten, somato-motorische und vegetative Reflexantworten, sympathische Nozireaktion, die dünn-myelinisierten A-Delta-Fasern, C-Fasern, A-Beta-Fasern, neuro-endokrine Regulationsstörungen und das individuelle Schmerz-Kontroll-System.

      Nervenfasern, die Reize von äußeren Bereichen an das ZNS weiterleiten, nennt man afferente Nervenfasern.

      Leiten Nervenfasern umgekehrt Impulse vom ZNS in periphere Bereiche, spricht man von efferenten Fasern.

      Bei den „Nozizeptoren“ (Schmerz-Rezeptoren) ist zu differenzieren zwischen zwei verschiedenen Typen, welche für zwei völlig verschiedene „Schmerzarten“ zuständig sind:

      1. Nozizeptoren mit A-Delta-Fasern

      sind schnell-leitende Fasern; sie verursachen und leiten weiter einen hellen und stechenden Schmerz (z.B. Nadelstich); wird auch als

      „1. Schmerz“ bezeichnet.

       2. Nozizeptoren mit C-Fasern

      sind langsam-leitende Fasern, die mehr einen dumpfen, tiefer-gelegenen Schmerz weiterleiten; dies wird auch genannt

      „2. Schmerz“.

      Diese Feststellungen und Kenntnisse bedeuten:

      Jeder Mensch hat sein, ihm eigenes, hoch-individuelles Schmerz-Empfinden

      (Schmerz-Wahrnehmung).

      Das ist vom Behandler nicht objektiv zu erfassen bzw. nachzuweisen.

      Folge:

      Vom Therapeuten kann so nur eingeschränkt auf die „wirkliche“ Schmerz-Intensität (Schmerz-Grad/SG) rückgefolgert werden.

      Hier ist der Patient gefragt:

      Einmal durch die regelmäßige Dokumentation in einem sogen. „Schmerz-Tagebuch“ (diese Dokumentation ist eine unerlässliche Hilfe zum Krankheits- und bes. Therapie-Verlauf) und möglichst präziser Selbst-Beurteilung (mehrmals tgl.) des jeweiligen/aktuellen „Schmerz-Grades“ (SG = Schmerzintensität) unter Zuhilfenahme einer VAS (= Visuellen Analog-Skala).

      Fazit:

      Der Schmerzgrad drückt den Stellenwert aus, den der Schmerz aktuell für den jeweils Betroffenen hat!

      Schmerz-Beeinträchtigung:

      Sie ist ebenfalls eine individuelle Festlegung durch den Kranken.

      In knappen Worten:

      Sie hängt ab einmal von der Andauer der chronischen Schmerzen, deren Schmerzgrad-Bandbreite (Spitzenwerte, durchschnittliche Werte) und deren Lokalisation und nicht zuletzt von der Ursache des Schmerzes (Traumafolge, OP-Folge, Phantom-Schmerz, psychogener Schmerz, Schmerz bei neurologischen Krankheiten und/oder bei Stoffwechselerkrankungen u.a.); aber auch von der Art und Belastung (z.B. unphysiologische Körperhaltung) unter der Arbeit.

      Sprechen wir noch kurz über und zum

      Schmerz-Kontroll-System;

      korrekter von den beiden Systemen:

      Das aktivierende absteigende supra-inhibitorische (inhibitorisch = hemmend, bremsend, abschwächend) System und die segmental spinalen Hemm-Mechanismen.

      Beim aktivierenden System

      verlaufen die Wege über Stimulation der aufsteigenden A-Delta- A-Beta-Afferenzen. Das System gibt Kollateralen zum Mittelhirn (Mesencephalon) und zwar zum peri-aquaductalen Grau; von dort und dem Nucleus Raphe magnus (Raphekerne in der Medulla oblongata/ verlängertem Mark & Tegmentum pontis/ hinterer Teil der Brücke - sie bilden den wichtigen Neurotransmitter Serotonin! Sie haben Verbindung zum Limbischen System und zur Kleinhirnrinde) zum Hinterseitenstrang (Funiculus posterior medullae spinalis) und zum Hinterhorn des Rückenmarks (Cornu posterius medullae spinalis und zu den opioidergen = encephalinergen Interneuronen [d.s. „Schaltneurone“; zu unterscheiden zwischen hemmenden und erregenden = inhibitorischen]).

      Zum hemmenden System:

      A-Delta-Fasern können ihren Kontakt zu inhibitorischen Interneuronen im Hinterhorn und Bereich ihrer Nerven-Endigungen „C-Fasern-vermittelte“ Schmerzen bremsen [Therapie-Optionen dazu: Akupunktur und Akupunktur-Injektionen, Kälte - aber auch über GABA-erge (Gamma-Amino-Buttersäure-vermittelte) Interneurone, die mit A-Fasern vernetzt sind (dadurch kommt es zur Blockade der ins Rückenmark/RM eintreffenden C-Fasern-Impulse)].

      Gereizt werden können die A-Beta-Fasern durch z.B. Massagen, Lymph-Drainagen, Chirotherapien (Manuelle Medizin, Osteopathie) und Bewegungs-Therapien; dadurch werden die zugehörigen inhibitorischen Interneurone angeregt.

      „Substanz P“

      „P“ von Pain (Schmerz).

      Es handelt sich dabei um ein Neuro-Peptid (d.s. Peptide, die im Nerven-Gewebe vorkommen) und gehört zur Gruppe der Neurokinine (NK) (früher: Tachykinine); das Peptid besteht aus 11 Aminosäuren (eigentlich nur deren 8, aber einige mehrfach - Arginin-Prolin-Glutamin-Phenylalanin-Leucin-Methionin) und dazu angekoppelt NH2 (Aminogruppe).

      Gebildet wird P von Leukozyten und von Nervenzellen.

      P wird als Neurotransmitter bei Schmerz-Rezeptoren (Nozizeptor) und Schmerz-leitenden „C-Fasern“ angesehen.

      Wird ein Nozizeptor erregt, dann wird dort P freigesetzt.

      P spielt auch als Modulator bei Entzündungen eine Rolle.

      Ein Überschuss an Substanz P wird heute als mögliche Ursache des „Muskelschmerzes“ (u.a. beim Fibromyalgie-Syndrom) angesehen!

      Bei lokalen/örtlichen Entzündungen wird P von afferenten Neuronen der Spinal-Nerven (Rückenmarksnerven) und in Projektionsbahnen (d.s. Nerven-Bahnen, die Erregungen/Impulse aus dem Körper zum Großhirn und umgekehrt leiten. Zu unterscheiden zwischen kurzen Bahnen = sie verbinden die Großhirnrinde mit dem Hirnstamm und lange Bahnen = sie verbinden Großhirnrinde mit dem RM) gebildet.

      Substanz P bewirkt eine starke Erweiterung der Blutgefäße und steigert die Durchlässigkeit der Gefäßwand. Zudem bewirkt sie eine Steigerung der Sensitivität der Schmerzneurone im Rückenmark.

      Substanz P reguliert auch die zielgerichtete Einwanderung von Leukozyten (= Chemotaxis). Leukozyten exprimieren sowohl Substanz P als auch den Substanz P-Rezeptor (Neurokinin-1 Rezeptor, NK-1R).

      Substanz P bindet an den NK-1-Nozizeptor.

      Substanz P-Antagonisten (= Gegenspieler) sind augenblicklich stark im Fokus der wissenschaftlichen Forschung, z.B. für Schmerz-Therapie und als Antidepressivum. [Vorab als Therapie-Option: Capsaicin, eine Substanz aus Paprika