Lukas S. Kindt

Der Westwald


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und warteten auf das Opfer. Die zwei Hunde- und 6 Fliegenaugen, die in ihren tiefen Höhlen in Galle und anderen eiterigen Flüssigkeiten schwammen, waren unermüdlich geöffnet, schlossen sich keine einzige Sekunde, um den Moment der Überraschung nicht zu verlieren. Ja, ich musste sehr vorsichtig vorgehen, falls ich überleben wollte...

      Die Schrotflinte, so fiel mir gerade ein, befand sich jedoch nicht oben im Schlafzimmer, sondern unten in der Waschküche, denn ich hatte sie beim Ausziehen nach der letzten Jagd achtlos abgelegt und dann dort vergessen. Meine Taschenlampe sollte sich hingegen in dem Schubladen des Schreibtisch befinden, unter dem ich gerade lag. Das war einfach genug. Nach kurzem Zögern raffte ich mich also schließlich auf, nahm die Taschenlampe heraus und schlich zur Türe.

      Langsam, Millimeter für Millimeter öffnete ich sie, wobei das unmerkliche Quietschen sich für meine angespannten Ohren anhörte, als ob ein Passagierflugzeug direkt neben mir abheben würde. Überall an meinem Körper stellten sich die Haare auf und Ich rechnete schon fest damit, dass mich die widerliche Fratze dieses grässlichen Monstrums mir sofort direkt entgegenstarren würde, aber nein, der Gang war absolut verwaist.

      Meine Augen hatten sich indessen an die Dunkelheit gewöhnt, sodass das spärliche Mondlicht durch die aufgebrochene Dachlücke ausreichte, um zu erkennen, dass sich das Monster nirgendwo dort befand. Ich checkte dabei natürlich auch die Wände und vor allem die Decke ab. Ich hatte nämlich zuvor nur zu genau gehört, wie es nach oben geklettert war, aber leider waren die Geräusche zu dumpf gewesen, um genauere Details ausmachen zu können. Ich schätzte deshalb, dass das Wesen irgendwo im ersten Stock lauerte. Höchstwahrscheinlich zumindest… Es war also ein Glück für mich, dass ich in die andere Richtung, in den Keller hinabmusste.

      Hastig doch mit äußerster Vorsicht schlich ich also zum Kellerabstieg, der sich genau unter der Wendeltreppe befand. Mir fiel dabei auf, dass es außer dem aufgebrochenen Dach über mir keinerlei Schäden an dem Gebäude oder der Einrichtung gab. Das Wesen war also auf seiner Jagd äußerst sorgfältig vorgegangen und hatte nirgendswo blind gewütet. Das sprach für eine weit höhere Intelligenz, als ich erwartet hätte. Natürlich beruhigte mich aber diese Erkenntnis keineswegs. Meine Augen glitten dementsprechend ängstlich den düsteren Abstieg hinab, aus dem mir nun ein kalter, modriger Luftzug entgegenschlug. Und obwohl ich wusste, dass sich das Monster wohl in der anderen Richtung befand, war mir dieser düster starrende Abgrund doch äußerst suspekt. Aber ich durfte nicht mehr länger zögern. Jederzeit konnte nämlich dieses grässliche Wesen, das den Leichnam meines Hundes geschändet hatte, zurückkommen und dann wollte ich bestimmt nicht mehr hier sein. Kurzentschlossen trat ich also den Abstieg an.

      Dunkelheit umhüllte mich, als ich das spärliche Mondlicht verließ und mich zittrig die eiserne Treppenreling hinunter tastete. Ich bewegte mich dabei mit einer absoluten Schneckengeschwindigkeit. Ich konnte nicht riskieren, auch nur das geringste Geräusch zu verursachen. Jeder kleinste Splitter auf der Treppe oder ein unachtsames Stolpern in der Dunkelheit konnte nämlich dem irgendwo im Haus verborgenen Monster meine Anwesenheit verraten. So wandelte ich also weiter die Treppe hinab.

      Die Schwärze um mich herum drückte mir dabei schon nach kurzer Zeit die Luft ab. Ich atmete stoßhaft, meine Hände klammerten sich schweißverschmiert an die kühle Reling. Es roch zudem seltsam. Zwar nicht stinkend aber doch irgendwie... unangenehm. Meine überreizten Sinne machten mir sogar vor, dass in der modrigen Luft ein leichter Hauch von Hundefutter wäre, was natürlich aber kompletter Blödsinn war. Ich hatte nämlich nichts mehr davon in meinem Haus, seit mein alter Kumpel im Herbst des letzten Jahres an einer Wasserlunge gestorben war. Ja, die Dunkelheit in Kombination mit meinen von Panik strapazierten Sinnen mussten mir also etwas vorspielen. In der Angst pflegt immerhin der Mensch sich selbst mit seinen eigenen Erinnerungen zu quälen. Zumindest redete ich mir all das ein, als ich in der nicht enden wollenden Schwärze nach unten stieg und von altbekannten Gerüchen und Eindrücken übermannt wurde.

      Ich sah mich sogar urplötzlich wieder mit meinem alten Hund in den herbstroten Wäldern auf die Jagd gehen, oder gelegentlich in die Stadt zum Einkaufen fahren. In der Tat, mein treuer Freund hatte mich wirklich überallhin begleitet, selbst in die düstersten Schluchten meines Lebens: Die Scheidung von meiner Frau, der Tod meiner Mutter, der Verlust einer langjährigen Arbeit, ich hatte viele Tiefen in meinem Leben durchstanden und in allen war mir mein Hund ein treues Licht an meiner Seite gewesen. Ohne ihn wäre ich wahrscheinlich auch lange nicht so alt geworden. Und jetzt?… Und jetzt hatte dieses verdorbene Wesen aus dem Sturm seine Leiche in Besitz genommen! Wandelte darin herum, als ob es ihr Schneckenhaus oder gar nur ein Kostüm wäre! Wenn ich nicht so viel Angst gehabt hätte, wäre ich wahrscheinlich in diesem Moment und bei diesem Gedanken sogar zornig geworden. Die Dunkelheit und die allumgebende drückende Furcht ließen mich aber nur meine zittrigen Fäuste ballen. Machtlos und in Schweiß gebadet schwankte ich weiter dahin.

      Und langsam…. ganz langsam... begann sie mir weiter Geschichten zu erzählen, die ewige Dunkelheit… Ich hörte auf einmal ein sphärisches Flüstern, dann das Rauschen von entfernten Höhlenbächen und der Geruch von nassem Hundefell stieg mir urplötzlich in die Nasse. Und da! Ja, genau da! Hörte ich nicht auf einmal ein klakern, wie als ob 13 Spinnenbeine rasch und elegant über eine nasse Mauerwand kraxelten? Da! Direkt über mir! Das musste das Ungeheuer sein! Es war nun direkt über mir!

      Doch als ich genauer hinhörte und mit weit aufgerissenen Augen nach oben starrte, konnte ich nichts mehr hören, außer das heftige Klopfen meines von Angst malträtierten Herzens. Es war nun alles wieder still. Nur die Panik in mir schrie aus voller Kehle auf. Als ich deshalb einige Zeit lang nichts mehr weiter vernahm, begann ich aber die Lügen der Angst allmählich zu durchschauen. Sie wollte mich nur mit unsinnigen Geschichten und Fantasiegespinnsten aufhalten. Ich musste schnell weiter und das Gewehr holen! Ich durfte nicht mehr darauf hereinfallen! Hastig setzte ich mich also wieder in Bewegung.

      Und da fühlte ich endlich die erlösende Kühle der Türklinke, die zur Waschküche führte, in meiner Hand. Zum ersten Mal seit langer Zeit machte sich Erleichterung in mir breit. Ich brauchte jedoch trotzdem noch geschlagene zwei Minuten, um die Türe so geräuschlos wie möglich zu öffnen. Die Scharniere waren immerhin schon seit langer Zeit nicht mehr geölt worden und ich wollte absolut nichts riskieren auf den letzten paar Metern. Doch dann war der Spalt endlich weit genug geöffnet, sodass ich geschwind hindurchschlüpfen konnte. Und da war sie! Durch den Kellerrost fiel ein heller Strahl Mondlicht direkt auf meine Schrotflinte, die in der Mitte des Raumes an der Waschmaschine lehnte. Der schwarzgefärbte Lauf glänzte mit verlockender Sicherheit im Schein des Vollmondes.

      Nun hielt mich nichts mehr. Ich packte das wunderschöne Ding und begann sofort ohne zu zögern zwei Kugeln in den Lauf zu schieben. Selbst im schummrigen Licht des Kellers arbeiteten dabei meine von langjähriger Erfahrung sicheren Hände ohne Fehl und Tadel. Der Hahn klackte schließlich befriedigend. Ich konnte nicht umhin, zu grinsen, als ich diesen satten Ton hörte. Ja, ich fühlte mich nun definitiv sicherer. Wie ein alter Freund schmiegte sich das Holz das Schaftes an meine Schulter und beruhigend kühl fühlte es sich an, wenn ich prüfend über den Lauf strich. Nun hatte ich wesentlich bessere Chancen gegen dieses Ungeheuer. Siegessicher drehte ich mich um.

      Und die Fratze des alten Monsters aus dem nördlichen Wald starrte mir direkt entgegen. Ich ging in die Knie. Ich sah nichts mehr. Woher kam all das Blut her? Ach ja, es war kein Blut, sondern meine Augen selbst rannen mir nun die Wangen herunter, als das Wesen erneut diese grässlichen Worte an mich richtete:

      »Endlich! Endlich habe ich dich gefunden. Ich habe ja solchen Hunger, Herr und Meister. Du sollst mich füttern! Wieso ist also meine Schüssel leer?« Das Wesen bellte und die Beine spreizten sich in alle Richtungen aus. Es richtete sich nun zu seiner vollen Größe auf. Die Mandibeln schnappten gierig. Zitternd richtete ich mein Gewehr da hin, wo ich die entstellte Schnauze vermutete. Ich drückte ab. Der Knall war in dem kleinen Raum markerschütternd. Schießpulverrauch stieg mir beißend in die Nase. War es nun endlich tot? War ich endlich befreit?

      »Das will ich nicht fressen!«

      Ich spürte nun ein Kratzen über mein Gesicht. Offenbar streichelte das Wesen mit seinem haarigen Insektenbein darüber. Ich konnte es nicht mehr ertragen. Noch einmal drückte ich ohne zu zielen blind ab.

      »Auch